Das große Impfen

"Unser Ziel ist, bis zum Sommer 70 Prozent unserer erwachsenen Bevölkerung geimpft zu haben", erklärte EU-Präsidentin Ursula von der Leyen am 19. Januar 2021 in Brüssel. "Das könnte die Wende in unserem Kampf gegen das Virus sein." Auf Deutschland heruntergebrochen, heißt das: 55 Millionen Menschen brauchen bis Sommer zwei Covid-19-Impfungen, um gegen das Virus immun zu sein. Zu Redaktionsschluss am 4. Februar haben in Deutschland aber nur rund 2,1 Millionen ihre erste Impfdosis erhalten. Zum Vergleich: In Israel ist schon jeder Vierte gegen Covid-19 geimpft. "Wir können unser Verimpfungsziel in Deutschland bis Herbst trotzdem noch erreichen", meint Matthias Klumpp, Professor Health Care Logistics beim Fraunhofer Institut für Materialfluss und Logistik. Grund für seine Zuversicht sei, sagt er, dass im Moment mangels ausreichender Impfstoffe weniger als die Hälfte der insgesamt 100 Impfzentren in Deutschland mit voller Kapazität arbeiten. Mittlerweile hätten aber sowohl Biontech/Pfizer als auch AstraZeneca zugesichert, ihre Produktionskapazitäten nicht nur zu erhöhen, sondern auch mehr Impfstoff auszuliefern. Herausforderung, aber machbar Sportlich wird es dennoch: Immerhin sollen über 55 Millionen Menschen geimpft werden und dafür rund 110 Millionen Dosen Impfstoff produziert, abgefüllt, gekühlt, transportiert und am Ende in die Impfstationen verteilt werden. "110 Millionen Impfdosen sind eine Herausforderung - aber für die Logistik machbar", sagt Wissenschaftler Klumpp. "Wir verfügen hierzulande über genügend Logistik-Anbieter - sowohl große, mittelständische als auch kleinere Unternehmen", sagt er. So befördere die Logistik in Deutschland jährlich allein etwa 200 Millionen tiefgekühlte Pommes-Portionen. 110 Millionen Impfdosen sind da also vergleichsweise wenig. Über einen Zeitraum von neun Monaten hinweg, bei 100 Impfzentren sowie Verteilung über die Hausärzte bedeuten die 110 Millionen Impfdosen etwa 10.000 bis 20.000 Impfdosen pro Tag für ein Impfzentrum. "Dies passt in zwei bis vier übliche Transportkisten", sagt Klumpp. Trockeneis sorgt für richtige Temperatur Trivial sind das logistische Handling und die Verbringung der Impfstoffe trotzdem nicht. Das zeigen die Ausführungen von Pharmalogistik-Expertin Nicola Spiggelkötter im Kasten auf Seite 21. Die zentrale Herausforderung liegt im Transportgut selbst: So sind die mRNA-Impfstoffe, insbesondere von Biontech/Pfizer, extrem temperatursensibel und stellen dadurch große Anforderungen an Transport, Umschlag, Lagerung und Distribution. Jedes einzelne Glied in der Logistikkette muss dabei funktionieren, damit das Vakzin wirksam bleibt. Die vom Hersteller vorgegebenen Temperaturen müssen dafür strikt, selbst auf weiten Distanzen über mehrere Tage, konstant eingehalten werden. Damit dies gelingt, wird für die passive Kühlung in der Regel Trockeneis verwendet, das in der Luftfahrt sogar als Gefahrgut behandelt werden muss. Hinzu kommt, dass in der Impfstoff-Logistikkette eine Vielzahl unterschiedlichster Akteure in den Prozess involviert ist - allein hier in Deutschland. Im Falle Biontech/Pfizer übernehme zum Beispiel der Hersteller selbst die Verteilung der Impfstoffe bis in die von den Bundesländern eingerichteten Anlieferungsstellen, erklärt eine Sprecherin des Bundesgesundheitsministeriums (BMG). Für den Impfstoff von Moderna und mögliche Impfstoffe weiterer Hersteller übernehme dagegen die Bundeswehr den Transport. Die Bundeswehr wiederum hat, wie im Januar bekannt wurde, Hellmann Worldwide Logistics mit der deutschlandweiten Verteilung der Covid-19-Impfstoffe in die 16 Verteilerzentren der Bundesländer beauftragt. Wer in der Logistik zum Zuge kommt Um den Transport ab Anlieferungsstelle kümmern sich dagegen die Bundesländer eigenverantwortlich, so die BMG-Sprecherin, die diese Aufgaben in den vergangenen Monaten ausgeschrieben und an externe Dienstleister vergeben haben. So übernimmt DHL Supply Chain die Impfstofflogistik für Niedersachsen und Baden-Württemberg, während in Nordrhein-Westfalen Kühne + Nagel als Dienstleister zum Zuge kommt. Trans-oflex wird bayernweit die Corona-Impfstoffe unter anderem an Impfzentren verteilen (siehe VR2/2021). In Brandenburg liefert im Auftrag des Brandenburger Gesundheitsministeriums das Unternehmen Unitax-Pharmalogistik die Covid-19-Impfstoffe von Biontech/ Pfizer und von Moderna aus. "Jeden Tag fahren sechs bis zehn Unitax-Spezialfahrzeuge rund 45 Stationen an. Übermittelt werden diese Aufträge an unsere EDV jeweils um 15 Uhr direkt vom Gesundheitsministerium", erklärt Geschäftsführer André Reich. Eingespieltes Team mit den Behörden Dass der Impfstoff von Biontech/Pfizer aktuell bei minus 75 Grad Celsius gelagert und gekühlt transportiert werden muss, ist laut Unternehmer Reich für Unitax keine Herausforderung. "Als Pharmalogistiker sind wir darauf spezialisiert, permanent die Kühlkette einzuhalten, zu monitoren und zu dokumentieren", sagt er. Dank aktiver Temperaturführung liege die Innentemperatur in den Unitax-Fahrzeugen also permanent zwischen fünf und minus 20 Grad Celsius - je nach Anforderung des jeweiligen Vakzins. "Abgesehen von kleineren Ruckeleien in der EDV in der Anfangsphase hat eigentlich alles reibungslos funktioniert", resümiert der Mittelständler stolz. Selbst von den vielfach kritisierten Impfstoff-Engpässen habe er bislang nichts gespürt. "Bei uns funktioniert alles. Die Zusammenarbeit mit den Behörden klappt bestens. Wir sind da ein eingespieltes Team." Warum aber hinkt Deutschland bei der Covid-19-Impfung dann doch so meilenweit hinter Ländern wie Israel und Großbritannien hinterher? "Es ruckelt am Anfang und am Ende der Transportkette", analysiert der Supply-Chain-Experte Klumpp vom Fraunhofer IML die aktuelle Misere. So gebe es am Anfang der Transportkette durch die Lieferengpässe der Impfstoff-Hersteller Abstimmungsprobleme, erklärt Klumpp, während es am Ende der Transportkette bei der Terminfindung mit den zu impfenden Personen vor Ort hake. "Alles, was die Transport- und Logistikunternehmen in der Mitte der Transportkette tun, funktioniert dagegen gut", lobt der Logistikexperte. So sei bislang an keiner Stelle Transportgut verloren gegangen, und jeder Dienstleister habe seine Aufgaben bislang ordnungsgemäß durchgeführt. In Kürze Schon in wenigen Monaten will Deutschland 70 Prozent der erwachsenen Bevölkerung gegen Covid-19 geimpft haben. Anfang Februar haben aber gerade einmal 2,5 Prozent ihre erste Impfdosis erhalten. Damit die Impfoffensive vorankommt, muss auch die Logistik Höchstleistungen bringen. "Der Druck auf die Logistikdienstleister ist groß" - Pharmalogistik-Expertin Nicola Spiggelkötter, Unternehmensberatung Knowledge & Support in Bad Harzburg Bis Sommer oder auch Herbst sollen 70 Prozent der Menschen hierzulande gegen Covid-19 geimpft werden. Das ist das Ziel der Politik. Wie gut sind die Logistikdienstleister gerüstet? Der Druck auf die Dienstleister ist groß. Das logistische Handling ist ja nicht trivial. So muss der Covid-19-Impfstoff von Biontech/ Pfizer entlang der gesamten Transportkette bei minus 75 Grad Celsius temperiert sein. Die Betriebe, die diese Transporte mit Lkw durchführen, etwa vom belgischen Pfizer-Produktionsstandort Puurs zu den Verteilzentren in Deutschland, sind aber sehr gut vorbereitet. Das sind alles ausgewiesene Pharma-Spezialisten, die GDP-zertifiziert sind. Problem ist natürlich auch für sie, dass die Impfdosen-Mengen fallweise nicht in den geplanten Mengen kommen - Stichwort Planung von Kapazitäten. Wo sehen Sie in der Transportkette das größte Gefährdungspotenzial? Bei der Feinverteilung. Die Impfstoffdosen müssen ja auf Abruf von den Verteilzentren abgeholt und in einwandfreier Qualität und in klar definierten Zeitfenstern zu den Impfzentren befördert werden. Entscheidend ist aber, dass diese Zustellunternehmen die Temperierung der Impfstoffe während des gesamten Transports lückenlos monitoren und dokumentieren können. Zumal in der Impfstoff-Transportkette die unterschiedlichsten Akteure und EDV- Systeme miteinander kommunizieren. Das ist natürlich oft ein Problem. Trotzdem finde ich es gut, dass viele Logistikunternehmen diese wahrlich nicht triviale Aufgabe übernehmen. Viele sind sogar stolz, dass sie damit etwas Gutes für die Bevölkerung tun. Und das ist ja auch der Fall. Was könnte trotzdem in der Impfstofflogistik noch besser laufen? Im Grunde müssten die Mitarbeiter in den Gesundheitsministerien und -ämtern sowie in den Impfzentren in einer Schulung vermittelt bekommen, wie sensibel diese Impfstoffe sind und auf welche Kriterien geachtet werden muss, um deren Qualität und Wirksamkeit zu erhalten. eh Hilfreiche Tipps Der Transport und das logistische Handling der Covid-19-Impstoffe ist anspruchsvoll und erfordert Expertise. Christian Specht, Geschäftsführer des European Institute for Pharma Logistics (EIPL) liefert die wichtigsten Antworten rund um das Thema. www.verkehrsrundschau.de/plus/impfstofflogistik

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