Das Drei-Stufen-Modell

Ist der Schaden mal passiert, fragt sich: Wer wird abkassiert?Das Drei-Stufen-ModellEin beschädigter LKW, Fehlbestände im Lager – selbst dem besten Mitarbeiter unterlaufen Fehler. Doch wer zahlt den Schaden? Die Regeln des Bundesarbeitsgerichts zur Arbeitnehmerhaftung erschweren es Chefs, ihre Mitarbeiter in Regress zu nehmen. Ein Ausweg sind präventive Maßnahmen.Kleiner Fehler, große Folgen: Pflichtverletzungen können im täglichen Leben Schadensersatzansprüche nach sich ziehen. Und das schon bei leichtester Fahrlässigkeit, das heißt bei einer kleinen Unachtsamkeit. Im Arbeitsleben würde dieser Grundsatz für Arbeitnehmer zu teils fatalen und existenzvernichtenden Ergebnissen führen. Häufig sind die Tätigkeiten gefahrträchtig und bergen per se ein Schadensrisiko. Fast jedem LKW-Fahrer wird schon mal ein Verkehrsunfall passiert sein. Der Arbeitnehmer kann den Risiken im Job nicht ausweichen. Es wäre daher – auch wenn es zulasten der Arbeitgeber geht – ungerecht, ihn für jegliche Schäden, die er bei der Arbeit verursacht, in vollem Umfang haften zu lassen. Denn: Wo gehobelt wird, da fallen Späne! Das Bundesarbeitsgericht hat Haftungserleichterungen für Arbeitnehmer entwickelt. Nach einem dreistufigen Haftungsmodell zählt der Grad des Verschuldens des Arbeitnehmers. Es gilt:keine Haftung bei leichter Fahrlässigkeitanteilige Haftung bei mittlerer Fahrlässigkeitvolle Haftung bei Vorsatz und (in der Regel) grober Fahrlässigkeit.Gerichte haben SpielraumWie der Grad des Verschuldens einzustufen ist, hängt vom Einzelfall ab. Die Gerichte haben einen erheblichen Beurteilungsspielraum. Ein Umstand, der es für die Praxis nicht gerade einfach macht, die Rechtslage richtig einzuschätzen.Leichte Fahrlässigkeit liegt vor, wenn es sich um nur geringfügige und leicht entschuldbare Fehler handelt, die jedem Arbeitnehmer unterlaufen können. Paradebeispiel ist der leichte Einparkschaden. Sach- und Vermögensschäden gehen bei leichter Fahrlässigkeit komplett zulasten des Unternehmers.Mittlere Fahrlässigkeit ist anzunehmen, wenn der Arbeitnehmer Regeln missachtet oder Routinehandlungen unterlässt, die nach allgemeiner Lebenserfahrung nicht zwangsläufig zu Schäden führen müssen. Tritt dennoch ein Schaden ein, muss der Arbeitnehmer einen Teil aus eigener Tasche zahlen. Wie groß dieser Teil ist, hängt auch davon ab, wie viel der Arbeitnehmer verdient, wie er sich vor dem Schaden verhalten hat, wie seine sozialen Verhältnisse sind und ob der Schaden vom Chef hätte versichert werden können. In der Regel überschreitet der vom Mitarbeiter zu tragende Teil ein bis zwei Bruttomonatsgehälter nicht.Vorsatz setzt Wissen und Wollen vorausHandelt der Arbeitnehmer grob fahrlässig oder sogar vorsätzlich, dann trägt er grundsätzlich die volle Verantwortung. Grob fahrlässig handelt ein Arbeitnehmer, wenn sein Fehler besonders schwer wiegend ist, wenn er also außer Acht lässt, was jedem eingeleuchtet hätte. Als "Bauchformel" gilt: Denkt sich ein Dritter angesichts des Schadenereignisses "Wie dumm kann man nur sein ?!", wird grobe Fahrlässigkeit vorliegen. Die Gerichte berücksichtigen allerdings auch die individuellen Fähigkeiten des Arbeitnehmers. War er nämlich in der konkreten Situation und nach seinen persönlichen Fähigkeiten nicht in der Lage, die gebotene Sorgfalt zu erkennen, wird ein Gericht grobe Fahrlässigkeit in der Regel nicht annehmen. Aber auch bei grober Fahrlässigkeit darf der Mitarbeiter noch hoffen: In Extremfällen ist selbst bei gröbster Fahrlässigkeit eine Haftungserleichterung möglich, wenn zwischen Lohn und Schaden ein "krasses Missverhältnis" besteht. Vorsatz ist gegeben, wenn der Arbeitnehmer um die Folgen seines Handelns weiß und diese will beziehungsweise diese billigend in Kauf nimmt. Vorsatz setzt damit auch Wissen und Wollen des Schadens voraus. Es reicht nicht aus, wenn der Arbeitnehmer vorsätzlich eine Weisung missachtet. Vielmehr muss sich sein Vorsatz zumindest billigend auch auf den Schaden erstrecken. Ein Beispiel: Nimmt eine Angestellte (zumindest bedingt) vorsätzlich Falschbuchungen vor, ist sie verpflichtet, dem Arbeitgeber die Kosten für die Neuerstellung der Buchhaltung zu erstatten. (Landesarbeitsgericht Rheinland-Pfalz, Urteil vom 7. März 2008, Aktenzeichen: 9 Sa 652/07)Die Beweislast trägt der ArbeitgeberDer Umfang der Haftung des Mitarbeiters kann durch ein Mitverschulden des Chefs begrenzt sein. Das Erzeugen von Termindruck, etwa durch nicht haltbare Zeitvorgaben, Überforderung des Arbeitnehmers etc. kommen hier zum Tragen. Auch die Versicherbarkeit des Schadens ist zu berücksichtigen. Kann sich der Chef gegen Schäden angemessen versichern, wird die Haftung des Mitarbeiters auf den Selbstbehalt zu reduzieren sein. Die Beweislast für die Voraussetzungen eines Schadenersatzanspruches trägt der Arbeitgeber in vollem Umfang. Er muss beweisen, dass der Arbeitnehmer eine Pflichtverletzung begangen hat, infolgedessen ein Schaden entstanden ist und den Arbeitnehmer ein Verschulden mindestens in Form mittlerer Fahrlässigkeit trifft. Diesen Nachweis zu erbringen, stellt für den Chef eine erhebliche Hürde dar. Zudem sind durch den Mitarbeiter leicht fahrlässig verursachte Schäden nach der Rechtsprechung unbeachtlich.Vorsicht bei vertraglichen HaftungsregelnImmer wieder versuchen Unternehmer, diesen Problemen mit Haftungsregelungen in Arbeitsverträgen aus dem Weg zu gehen. Hier ist Vorsicht geboten. Die Einstellung der Gerichte zur Abänderung der Haftungsgrundsätze ist eindeutig. Von den Regeln über die Haftung im Arbeitsverhältnis kann weder in Arbeits- noch in Tarifverträgen zulasten des Arbeitnehmers abgewichen werden! Diese Aussage ist jedoch nicht so zu verstehen, dass Abänderungen der Haftungslage des Arbeitnehmers stets ausgeschlossen sind. Es kommt vielmehr darauf an, dass das generelle Schutzniveau der Haftungsgrundsätze nicht unterschritten wird. Entscheidend ist, dass im wirtschaftlichen Ergebnis keine Verschärfung der Arbeitnehmerhaftung eintritt. Als wirksam werden solche Vertragsregeln angesehen, die bei klar ausgewiesener "Risikozulage" eine gegenüber der Rechtsprechung verschärfte Haftung des Mitarbeiters auch für leichte Fahrlässigkeit vorsehen.Derartige Abreden sind häufig in Arbeitsverträgen von Mitarbeitern anzutreffen, die die Verantwortung für eine Kasse oder ein Warenlager haben. Durch "Mankoabreden" sollen sie verpflichtet werden, etwaige Fehlbeträge im Kassen- oder Lagerbestand aus dem eigenen Geldbeutel auszugleichen. Und das schon bei leichter Fahrlässigkeit.Schadenvermeidung soll sich auszahlenSolche Mankoabreden sind wirksam, wenn sie sich grundsätzlich an den oben dargestellten Haftungsgrundsätzen orientieren. Eine Mankoabrede muss zudem eine Entschädigung/Risikozulage, auch "Mankogeld" genannt, vorsehen und die Haftung des Arbeitnehmers ausdrücklich auf dieses Mankogeld begrenzen. Schließlich darf nur der Arbeitnehmer Zugriff auf den Kassen- oder Lagerbestand haben, der für einen etwaigen Fehlbetrag haften soll. Nur so kann er dafür Sorge tragen, dass ein Manko nicht entsteht. Eine Mankoabrede kann für den Arbeitnehmer einen zusätzlichen Anreiz darstellen, die Kasse oder das Warenlager nach bestem Wissen und Gewissen zu verwalten. Denn für ihn bedeutet "kein Fehlbestand = Extraverdienst".Die Idee der Schadenvermeidung lässt sich auf sonstige "schadenträchtige" Arbeitsbereiche übertragen. Beim Einsatz von KFZ beispielsweise in Form von Prämien für vermiedene Unfallschäden. Hier liegt das Augenmerk nicht auf der Erweiterung der Haftung, sondern auf der Vermeidung von Schäden. Der Mitarbeiter erhält eine Prämie für Unfallfreiheit.Der Rückgriff auf den Mitarbeiter bei einem Schaden ist nur eingeschränkt möglich. Daher sollte sich Schadenvermeidung für Chef und Mitarbeiter auszahlen. In entsprechenden Vereinbarungen liegt eine Chance. ❙❚■ Peter Sausen ist Rechtsanwalt der Kanzlei Dahl - Rechtsanwälte in Köln. Er berät und vertritt Unternehmen in arbeitsrechtlichen Fragen.Tipp: Chefs können folgende Klausel mit dem Ziel der Vermeidung von Fehlbeständen verwenden:Haftung des Mitarbeiters/Mankoklausel"Der Mitarbeiter ist in seiner Abteilung für den Warenbestand/die Kassenführung verantwortlich. Der Warenbestand/Kassenbestand wird betriebsüblich regelmäßig in Anwesenheit des Mitarbeiters kontrolliert. Ergibt sich hierbei eine Fehlmenge oder ein Fehlbetrag, so hat der Mitarbeiter hierfür einzustehen. Die Haftung ist in diesem Fall begrenzt auf das Bruttomonatsgehalt, das der Mitarbeiter zum Zeitpunkt des Eintritts des Mankos erhält; ausgenommen ist vorsätzliches Verhalten. Zum Ausgleich für diese Haftung erhält der Mitarbeiter eine zusätzliche monatliche Vergütung in Höhe von ... Euro (brutto).Verursacht der Mitarbeiter durch eine schuldhafte Pflichtverletzung einen Schaden, welcher nicht im Zusammenhang mit einer Fehlmenge oder einem Fehlbetrag in Waren- oder Kassenbestand steht, so hat er diesen Schaden gemäß den Grundsätzen des Bundesarbeitsgerichts zur Arbeitnehmerhaftung zu ersetzen."Tipp: Empfehlenswert ist folgende Klausel zur Vermeidung von Fahrzeugschäden:Haftung des Mitarbeiters/Prämie"Verursacht der Mitarbeiter durch eine schuldhafte Pflichtverletzung einen Schaden, so hat er diesen Schaden gemäß den Grundsätzen des Bundesarbeitsgerichts zur Arbeitnehmerhaftung zu ersetzen. Im Falle mittlerer Fahrlässigkeit ist die Schadenersatzpflicht begrenzt auf 2,5 Bruttomonatsgehälter.Verursacht der Arbeitnehmer an dem/mit dem von ihm geführten Fahrzeug des Unternehmens innerhalb eines Kalenderjahres keinen schuldhaften Schaden, so erhält er mit dem ersten Gehalt des Folgejahres eine Prämie in Höhe von ... Euro (brutto). Bei Ein- oder Austritt aus dem Unternehmen im laufenden Kalenderjahr wird die Prämie zeitanteilig gezahlt."Vorsicht: Folgende Klausel ist unwirksam – mit der Folge, dass es beim Haftungsmodell der Gerichte bleibt:"Der Arbeitnehmer haftet – unabhängig vom Grad seines Verschuldens – für sämtliche von ihm in Ausübung seiner betrieblichen Tätigkeit angerichteten Schäden bis zu einer Höhe von ... Euro." ps

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