Daimlers Ping-Pong-Spiel in die Zukunft

Daimlers Werbemaschinerie trommelte heftig in den letzten Tagen: Mit dem ersten offiziell zugelassenen autonom fahrenden Truck auf öffentlichen Straßen will man Geschichte schreiben. Die VerkehrsRundschau war selbst vor Ort und konnte sich ein eigenes Bild machen und vielleicht einige erste Antworten auf die vielen, teils noch ungeklärten Fragen finden. Frage 1: Wird der Fahrer überflüssig? Definitiv nein! Die Begründung dafür findet sich schlicht und ergreifend in der Haftungsfrage. Denn weder Daimler noch Schuld an einem Unfall in die Schuhe schieben lassen. Außerdem kann man nur durch einen "permanenten Kontrolleur" das "Hacken" der autonom fahrenden Systeme sicher vermeiden. Wie einfach das zu bewerkstelligen ist, durften andere Fahrzeughersteller bereits am eigenen Leib erfahren: Ein angeblich absolut sicher verschlüsseltes Auto ließen Computerexperten nach wenigen Metern gezielt in den Graben abbiegen! Frage 2: Was kann das System? Prinzipiell ist das autonome Fahrzeug startklar, zumal etliche Systeme aktuell schon für jeden Standard-Actros geordert werden können. Mithilfe von Kameras und Radar sind Abstands- und Spurhalteassistenten heute schon in der Lage, den Lkw sicher in der Spur zu halten. Der GPS-gesteuerte Tempo- und Bremsomat fährt bereits kontinuierlich sparsamer als die besten Lkw-Lenker. Das demonstrierte Freightliner auch mit einem vollausgestatteten Cascadia-Serienmodell. Auf die Frage, ob sich der "Inspiration Truck" eigentlich nur durch die automatisierte Lenkung vom aktuellsten Serienstand unterschied, kam die zögerliche Antwort: "Wenn sie so wollen - ja." Dass noch Luft zum Ausentwickeln ist, konnte man allerdings ebenfalls selbst "erfahren": An den Abbiegepunkten bat das System den Fahrer Mark Warner von Freightliners Testfahrer-Validierungsgruppe, "manuell" zu übernehmen. Das tat Warner vorsichtshalber auch, als eine Reinigungstruppe passiert werden musste, die den Seitenstreifen des Interstate-Highway 15 säuberte. Auch beim Abbiegen gibt es noch Entwicklungspotenzial, um Fußgänger oder Radfahrer im toten Winkel sicher zu erkennen. Frage 3: Wird der Fahrer entlastet? Jein. Aktuell entscheidet er selbst über die Zuhilfenahme der diversen Assistenten. Heißt: In anspruchsvoller Topografie hilft der GPS-Tempomat, während man beispielsweise den Spurhalteassistenten auf engen Landstraßen besser wegschaltet. Gleiches gilt für den Abstandstempomaten bei dichtem Verkehr, der hier gern permanent zwischen Bremsen und Beschleunigen wechselt, weil er nur den unmittelbar vor dem Fahrzeug fahrenden Verkehr, nicht aber die Gesamtsituation überblicken kann. Hier sieht ein Fahrer aus Fleisch und Blut einfach weiter. Und hat ja vielleicht sogar Spaß an seinem Job! Trotzdem würde man gerade bei dichtem Verkehr manchmal gerne nur einen einzigen Knopf drücken und der Lkw agiert selbst - vor allem im Stau oder in der Innenstadt. Insofern brächte der autonom fahrende Lkw hier tatsächlich eine Entlastung für den Fahrer. Frage 4: Wie sind Kosten und Lieferfristen? Wenig erstaunlich: Da etliche Komponenten des autonom fahrenden Lkw schon existieren, könnte sich der Preissprung vom aktuellen Serienmodell zum selbstfahrenden Lkw laut Daimler-Ingenieuren im vierstelligen Dollar- oder Euro-Bereich bewegen - ausgehend von einem Ausstattungsniveau mit allen Sicherheitsfeatures. Ein anderes Thema sind die Lieferfristen: Hier hinkt die Gesetzgebung den Möglichkeiten aktuell hinterher. Mit dem neuen Statement möchte (nicht nur) Daimler die Diskussion weiter vertiefen, auch in Asien und Europa. In den USA haben neben Nevada bisher vier andere Bundesstaaten die Zulassung von autonom fahrenden Fahrzeugen genehmigt, allerdings ist das alles mit Auflagen und Einschränkungen verbunden. Entsprechend weiß man auch bei Daimler, dass die nächsten Gesetze noch einige Ping-Pong-Spielrunden dauern werden ... In Europa kaum diskutiert wurde dagegen das "Supertruck-Programm", welches das US Department of Energy bereits 2009 auflegte. Ziel war es, die Transporteffizienz massiv zu erhöhen und den Spritverbrauch nach Möglichkeit zu halbieren, den die US-Regierung im Schnitt mit 40,48 Liter pro hundert Kilometer ansetzte. Freightliners Beitrag dazu ließ nach Daimler-Manier lange auf sich warten: Während alle anderen Hersteller diverse mehr oder weniger modifizierte Lkw zeigten, die ihrerseits schnell auf 23,5 Liter pro 100 Kilometer kamen, wollte Daimler in alter deutscher Ingenieurstradition einmal mehr "das Beste" und packte alles an Technik in den Supertruck, was aktuell verfügbar ist. So begnügte sich der vom Cascadia abgeleitete Supertruck auf diversen gemischten Teststrecken in den USA mit 19,28 Liter auf 100 Kilometer. Allerdings war der, wie in der Ausschreibung vorgesehen, nur auf 65.000 Pfund, also umgerechnet 29,48 Tonnen ausgeladen. 115 Prozent mehr Transporteffizienz Zusammen mit dem reduzierten Gewicht des Zuges errechnet Freightliner aber eine Steigerung der Transporteffizienz (Tonne pro Kilometer) um 115 Prozent. Allerdings verfügt der vom Cascadia abgeleitete Supertruck dazu neben aerodynamischen Hilfen auch über ein Hybridmodul, das die Abwärme des Abgases nutzt und führt auf dem Trailerdach einen kleinen Solarpark mit sich. Fragt man Daimler-Chef-Vorentwickler Martin Zeilinger, welchen der einzelnen Bausteine er in naher Zukunft am ehesten umgesetzt sieht, beschränkt er sich sehr schnell auf das Thema Aerodynamik. Die bringt nach seiner Meinung zu vertretbaren Kosten schnell mal "zwei Prozent plus x" an Verbrauchseinsparung. Überrascht waren die Freightliner-Ingenieure über den Einfluss des Trailers, der je nach aerodynamischer Beflaggung bis zu zwei Drittel der Verbrauchsersparnis holt. Hybridisierung, Abwärmerückgewinnung oder Solarzellen auf dem Dach seien da schon eine ganz andere Nummer und bringen Zusatzgewicht, einen erheblichen technischen Aufwand und damit auch Kosten mit sich. Die möchte Zeilinger seinen Kunden so weit wie möglich ersparen: "Keiner macht diesen Job, weil es so einfach wäre - da gehört mittlerweile jede Menge Enthusiasmus dazu." Die technische Entwicklung bezeichnet er als "Ping-Pong-Spiel" zwischen den einzelnen Daimler-Töchtern. Auch den Supertruck sieht er als Diskussionsbeitrag zu den Gesetzen bezüglich der Abmessungen und Gewichte, die seiner Meinung nach effektiver gestaltet werden können und nicht nur in den USA, sondern auch in Europa angepasst werden müssen. Im Oktober findet die Tokyo-Motorshow statt: Wir würden den Ball im Daimlerschen Ping-Pong nach Japan spielen und bei Fuso im nächsten Schritt "Future-", "Inspiration-" und "Supertruck" vereinen!

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