Citylogistik

Citylogistik Citylogistik 2.0 – der zweite Anlauf Um die Verkehrssituation in Innenstädten zu entzerren, werden seit Jahren Citylogistik- Projekte aufgelegt. Die wenigsten sind aber erfolgreich. Warum das so ist, und wie im zweiten Anlauf Citylogistik doch noch klappen könnte. Jetzt sind sie endgültig aus dem Stadtbild in Regensburg verschwunden – die hellblauen LKW von RegLog. 14 Jahre lang hatten die Fahrzeuge der Citylogistik-Initiative 28 Einzelhändler in der engen Altstadt beliefert. Fünf lokale Speditionen hatten die Warenströme gebündelt und dafür gesorgt, dass jeder Laden nur einmal täglich beliefert werden musste. Ende letzten Jahres war dann endgültig Schluss: RegLog gab auf. Was ökologisch sinnvoll klang, rechnete sich bis zum Schluss nicht. RegLog häufte jedes Jahr ein Defizit zwischen 10.000 und 20.000 Euro auf, das die beteiligten Unternehmen tragen mussten. Nach dem Scheitern werden sich 1000 LKW pro Jahr mehr durch die engen Gassen quälen, schätzt die örtliche IHK. Als Gründe für das Aus wurden sinkende Umsätze im Innenstadthandel sowie mangelnder Wille seitens einer beteiligten Spedition genannt. Regensburg ist nur ein Beispiel von vielen. Viele Citylogistik-Projekte, die in den 1990er-Jahren aus der Taufe gehoben wurden, sind gescheitert. Stuttgart, Berlin, Hamburg – überall wurden die hochfliegenden Pläne begraben, und in Augsburg stoppten die Einzelhändler erst vor drei Jahren eine Logistik-Initiative. Neue Vorstöße sind selten, allein das Projekt „Urban Retail Logistics“, letztes Jahr unter der Federführung des Fraunhofer IML gestartet, ist weiter aktiv. Allerdings befände man sich noch in der „Konzeptphase“, wie eine Sprecherin gegenüber der VerkehrsRundschau erklärte. Wesentlich teurer als gedacht Die Bilanz der Citylogistik ist bescheiden, das bestätigen auch Experten. „Kaum ein Projekt hat messbare Ergebnisse gebracht“, sagt Stefan Wolpert, Wissenschaftler bei der Fraunhofer-Arbeitsgruppe für Supply Chain Services SCS, Nürnberg (siehe Kasten Seite 31). Er hat diverse Initiativen in einer Studie untersucht und die Gründe für ihr Scheitern herausgearbeitet. In den allermeisten Fällen seien die Projekte schlichtweg unrentabel gewesen, so Wolpert. „Die Konsolidierung war wesentlich teurer als gedacht, die Kosten dafür, Waren noch einmal anzufassen und umzuschlagen, wurden unterschätzt.“ Oft seien die Einzelhändler zudem nicht bereit, die zusätzliche Fahrt vom Hub (Verteilzentrum) bis zum Laden zu bezahlen. Die Tücken in der Praxis Nach Ansicht der Wissenschaftler sind Citylogistik-Projekte aber nicht nur aus Kostengründen gescheitert. Oft kamen noch andere Stolpersteine dazu: So haben viele Innenstadthändler kein Interesse daran, alle Waren auf einmal geliefert zu bekommen – ganz einfach, weil Lagerfläche und Personal fehlen, um die Lieferung auch zu verräumen. Schließlich kommt eine psychologische Komponente hinzu: Transport-Dienstleister haben schlichtweg keine Lust, mit der Konkurrenz zusammenzuarbeiten, weil der Umsatz dadurch nicht steigt. Hier liegt ein grundsätzlicher Nachteil der Citylogistik aus Sicht der Dienstleister – die Bündelung schafft kein zusätzliches Geschäft, sondern verteilt vorhandenes lediglich neu. Kurz gesagt: Was auf dem Papier überzeugend klingt, hat in der Praxis seine Tücken. Der Dienstleister zum Beispiel, der den citynahen Hub betreibt, steht vor einer schwierigen Aufgabe. „Es geht um eine Vielzahl von unterschiedlichen Sortimenten, Anforderungen und Lieferzeiten der Verkaufsstellen“, sagt Thomas Kempcke, Logistikexperte beim EHI Retail Institute, Köln. Damit die Koordination dauerhaft zum Erfolg führt, müsse der Dienstleister außerdem in der Lage sein, flexibel auf neu hinzukommende oder wegfallende Anlieferpunkte in der City zu reagieren. „Das kann ein Abenteuer sein“, resümiert Kempcke. Zu den wenigen Erfolgsbeispielen gehört der Binnenstadservice (BSS) aus den Niederlanden. Das Unternehmen wurde 2008 in Nijmwegen gegründet und ist mittlerweile in zehn holländischen Städten vertreten. Binnenstadservice richtet sich in erster Linie an den Einzelhandel: Will ein Geschäft dem Projekt beitreten, muss es seinen Lieferanten nur den Hinweis schicken, dass alle Waren ab sofort direkt ins BSS-Konsolidierungszentrum geliefert werden sollen. Von dort aus transportieren E-Bikes oder erdgasgetriebene Transporter die Waren in die City. Das zunächst von der Stadt subventionierte Projekt steht mittlerweile finanziell auf eigenen Beinen. In Deutschland sind bisher nur kleinere Kooperationnen erfolgreich: Mars und Ferrero etwa haben schon 2009 ihre Auslieferung zusammengelegt, dadurch konnten die Unternehmen ihre Lager- und Transportkosten um 20 Prozent senken. Ähnlich gehen Unilever und Danone vor, die gemeinsam den Handel beliefern, genau wie die Spirituosenhersteller Underberg und Hardenberg in Berlin. Der Druck auf Dienstleister steigt Ist der große Wurf bei der Citylogistik also vom Tisch und es bleibt beim Klein-Klein? Experten widersprechen. Sie sagen der Innenstadtlogistik nach wie vor eine große Zukunft voraus. „Der Druck wird einfach steigen, so etwas umzusetzen“, meint Handelsexperte Kempcke vom EHI. Verschärfte Vorschriften zum Lärmschutz und andere gesetzliche Restriktionen würden es auf lange Sicht unvermeidlich machen, über eine Bündelung von Transporten nachzudenken, so der Experte. Was für ein enormes Potenzial dadurch freigesetzt würde, hat die Unternehmensberatung Oliver Wyman in einer aktuellen Studie ausgerechnet: Demnach könnte der Verkehr auf Hauptstraßen um 30 bis 40 Prozent schneller fließen, wenn die Güter vor den Toren der Stadt konsolidiert würden. Tatsächlich gibt es Faktoren, die Citylogistik wieder auf die Agenda bringen könnten. Faktor 1: der demografische Wandel. Immer mehr ältere Menschen zieht es in die Städte. In Berlin etwa wird bis 2030 die Zahl der 65- bis 80-Jährigen um 14 Prozent zunehmen, die der über 80-Jährigen sogar um 80 Prozent (Quelle: Senatsverwaltung für Stadtentwicklung und Umwelt). Gerade für reife Konsumenten ist eine gute Einzelhandelsversorgung in der unmittelbaren Umgebung wichtig. Hinzu kommt, dass insgesamt mehr Menschen in die Städte ziehen. Die WHO rechnet auf lange Sicht damit, dass 80 Prozent der Einwohner der DACH-Region in Städten leben. Besserer Verkehrsfluss dank Citylogistik Faktor 2: höhere Mieten in der City. Langfristig werden die Quadratmeterpreise in den Innenstädten steigen. Das erhöht den Druck auf den Einzelhandel, die Lagerflächen zu verkleinern – was wiederum eine häufigere Belieferung bedingt, so die Prognose der Forscher vom Fraunhofer SCS. Faktor 3: Boom beim E-Commerce. Der Onlinehandel wächst weiter zweistellig; das beschert den KEP-Dienstleistern steigende Umsätze und wird die Verkehrsdichte weiter erhöhen. Absehbar ist, dass die Politik hier früher oder später regulierend eingreifen wird, zum Beispiel mit einer City-Maut nach dem Vorbild der Städte London oder Kopenhagen. Faktor 4: Leere Kassen. Städten fehlen zunehmend die finanziellen Mittel, um Infrastruktur auszubauen. Citylogistik dagegen verspricht einen besseren Verkehrsfluss ohne große Investitionen. Die Berater von Oliver Wymann haben den Vergleich aufgemacht: Um das Fahrtempo in der Innenstadt um einen Kilometer pro Stunde zu erhöhen, sind 1,9 Millionen Euro Investitionen in neue Straßen notwendig. Wird dagegen ein Konsolidierungszentrum gebaut und betrieben, lässt sich der gleiche Effekt mit nur 0,4 Millionen Euro erzielen. Faktor 5: Bessere Technik. Viele Citylogistik-Projekte wurden in den 1990er-Jahren gestartet. Zu diesem Zeitpunkt musste oft noch zum Telefon gegriffen werden, um Frachten zusammenzulegen. Heute vereinfachen Internetportale und intelligente Routenplaner die Abstimmung zwischen den Beteiligten. Waren lassen sich unter Umständen sogar automatisch bewegen. Wie sieht also die Citylogistik 2.0 aus? Die Antwort: Vor allem anders als früher. „Die klassische Variante mit einem citynahen Hub allein funktioniert nicht“, prognostiziert Fraunhofer-Wissenschaftler Wolpert. Er meint: Damit sich Citylogistik rechnet, muss das Konzept über die reine Bündelung von Transporten hinausgehen. Der Betreiber könnte den Einzelhändlern zusätzliche Dienstleistungen wie Vorkommissionierung, Preisauszeichnung oder Vormontagen anbieten. Dass das angenommen wird, zeigen wiederum die Niederländer: Binnenstadservice vermietet Lagerkapazitäten im Konsolidierungszentrum, damit die Geschäfte selbst weniger Fläche vor Ort benötigen. Darüber hinaus wurden zahlende Kunden außerhalb des Handels gewonnen. Hotels etwa lassen schmutzige Wäsche vom Binnenstadservice abholen, der Dienstleister stellt E-Commerce-Bestellungen zu und sammelt Retouren ein. ❙❚■ Constantin Gillies, freier Journalist pilotprojekt Post will Bonn grüner machen Die Deutsche Post DHL erklärt Bonn zur Musterstadt und spricht von einem weltweit einzigartigen Pilotversuch: Ab 2016 sollen alle Zustellfahrzeuge dort mit Elektromotor laufen. Ein entsprechendes Pilotprojekt präsentierte der Konzernchef Frank Appel im Mai gemeinsam mit Bundesumweltminister Peter Altmaier, Brief-Vorstand Jürgen Gerdes und dem Bonner Oberbürgermeister Jürgen Nimptsch. In einem ersten Schritt wird der Logistikkonzern bis Jahresende die Elektrofahrzeugflotte in Bonn und Umgebung auf 79 Fahrzeuge für die Paketzustellung und kombinierte Brief- und Paketzustellung aufbauen. Anschließend soll bis 2016 die Zahl auf 141 Elektrofahrzeuge erhöht werden, die dann jährlich über 500 Tonnen CO2einsparen sollen. Unterstützt wird das Projekt vom Förderprogramm Elektromobilität der Bundesregierung. Das Unternehmen hat zudem ein eigenes Elektrofahrzeug für die Brief- und Paketzustellung mit dem Unternehmen StreetScooter und den Instituten der Rheinisch-Westfälischen Technischen Hochschule (RWTH) Aachen entwickelt. Die erste Vorserie von 50 Fahrzeugen wird ab Sommer 2013 sukzessive ausgeliefert. 20 Fahrzeuge werden im Bonner Pilotprojekt und weitere 30 bundesweit beim Transport von Briefen und Paketen eingesetzt. Das bereits Ende April vorgestellte Vorserien-Modell Streetscooter fährt bis zu 85 Stundenkilometer schnell, verfügt über eine Leistung von 3/45 KW, die von einer Lithium-Ionen-Batterie und einem Asynchronmotor erzeugt wird. Die Reichweite liegt nach Angaben der Post bei bis zu 120 Kilometern (im Postbetrieb bei maximal 80 Kilometern). Die Ladezeit der Batterie liegt bei 8 bis 10 Stunden, geladen wird in der Nacht. Über entsprechende Ladestationen verfügt DHL in den jeweiligen Test-Depots. Die Vorserienfahrzeuge umfassen ein Ladevolumen von 4 Kubikmetern und 750 Kilogramm Zuladung. eh Interview Städte sollten Transporteuren Sonderzugangsrechte gewähren An welchen Stellen Städte und Einzelhändler noch nachbessern könnten, um Citylogistik weiter zu treiben, sagt Martin Brow, Programme Director City Logistics von Deutsche Poom DHL. Deutsche Post DHL berät Städte bei der Einführung von Citylogistik. Derzeit beraten Sie dafür zwei chinesische Städte. Braucht es aus Ihrer Sicht eine starke zentrale Planung, um solche Projekte durchzusetzen? Martin Brow: Eine Voraussetzung dafür, dass urbane Frachtlogistik funktioniert, ist ein günstiges regulatorisches Umfeld. Die Aufgabe der Stadtverwaltung sollte sein, Eintrittsbarrieren zu senken, beziehungsweise die Nicht-Teilnahme an der Citylogistik unattraktiv zu machen. Das kann zum Beispiel dadurch geschehen, dass teilnehmenden Transportdienstleistern Sonderzugangsrechte eingeräumt werden. Dem Betreiber eines Konsolidierungszentrums auf der anderen Seite kann durch einfacheren Zugang zu Bauland geholfen werden. Viele Händler scheuen aber die Kosten, die bei Citylogistik-Projekten entstehen. Natürlich kann es sein, dass dem Einzelhändler pro Palette oder Rollcontainer kleinere Zusatzkosten entstehen. Ziel sollte daher sein, ihm einen Mehrwert zu bieten. Der Citylogistik-Betreiber kann ihm zum Beispiel einen Teil seiner Lagerhaltung abnehmen, günstigere Lieferfenster bieten oder bei der Abfallentsorgung helfen. Zudem könnte er die Läden bei der Auswertung ihrer Lieferdaten unterstützen; dazu fehlt vielen Händlern die Zeit Expertise. Wer sollte die Hauptlast des Systems tragen? Unsere Prämisse lautet: Die gesamten Logistikkosten dürfen durch die Einführung von Citylogistik nicht steigen. Zudem teile ich die Ansicht führender Experten, dass die Hauptaufgabe bei der Privatwirtschaft liegt, die Stadtverwaltung kann nur unterstützend tätig sein. In China entstehen viele Metropolen erst. Das macht es leicht, die Logistik von Grund auf neu zu gestalten. Ist für Europa der Zug also schon abgefahren? Nein, das denke ich nicht. Europa ist vor allem bei der Technologie gut aufgestellt, zum Beispiel bei der Verbreitung von Smartphones. Alles das kann schon helfen, Lieferketten transparenter zu machen. cg Studie CityLogistik Citylogistik unter der Lupe Wie organisiert sich eine Stadt nachhaltig? Wie können Menschen, die dort leben, schnell und doch umweltverträglich versorgt werden? Welche Ansätze in der City-Logistik versprechen nachhaltigen Erfolg? Das zeigt die neue Studie „City-Logistik - Bestandsaufnahme relevanter Projekte des nachhaltigen Wirtschaftsverkehrs in Zentraleuropa“ der Fraunhofer-Arbeitsgruppe für Supply-Chain-Services (SCS). Dafür wurden 46 ausgewählte Praxisprojekte in Zentraleuropa untersucht. Die Studie... zeigt die aktuellen Herausforderungen des urbanen Wirtschaftsverkehrs analysiert fünf für die City-Logistik relevante Megatrends enthält detaillierte Profile von 46 zentraleuropäischen City-Logistik-Projekten identifiziert und beschreibt methodisch die Akteure, Ziele und Maßnahmen im Bereich der City-Logistik. (eh) Oft sind Einzelhändler nicht bereit, die zusätzliche Fahrt vom Hub zum Laden zu bezahlen Verschärfte Vorschriften machen eine langfristige Bündelung von Transporten in der City notwendig Martin Brow Deutsche Post DHL „Damit sich Citylogistik rechnet, muss das Konzept über die reine Bünelung hinausgehen“ Stefan Wolpert, Wissenschaftler bei der Fraunhofer Arbeitsgruppe SCS

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