Bretter, die das Funken lernen

Aus dem schlichten Holzquader wird ein funkender Alleskönner - das verspricht die Europalette mit RFID-Technik. Seit mehr als einem Jahr sind die ersten Ladungsträger verfügbar, die mit zwei Funketiketten (Tags) ausgestattet wurden und sich berührungslos aus der Ferne erfassen lassen. Damit sich der zusätzliche Barcodeaufdruck auf dem Tag nicht im täglichen Gebrauch abreibt, muss zunächst eine Vertiefung in das Holz gefräst werden. Das passiert noch in Handarbeit, ab 2015 soll es in Serienproduktion erfolgen. "Wir entwickeln eine Maschine, um den Tag anzubringen", erklärt Ingo Mönke vom Paletten-Service Hamburg. Das Unternehmen ist am APEM-Projekt beteiligt, das untersucht, wie Funketiketten an Epal-Ladungsträgern angebracht werden können. Bis sich die intelligente Palette verbreitet, kann es trotzdem noch ein bisschen dauern. Denn das Projekt leidet am Henne-Ei-Problem: Solange sich kein Unternehmen gefunden hat, das RFID-Ladungsträger einsetzen will, gibt es für die Hersteller auch keinen Grund, in eine Etikettiermaschine zu investieren - und umgekehrt. 5000 fertige Funkpaletten liegen bei der Epal und warten auf einen potenziellen Abnehmer. "Wir könnten liefern - wenn jemand wollte", betont Mönke. Etwas optimistischer klingt Marcus Falkenhahn, Chef von Falkenhahn. Auch der Hersteller der World-Palette hat unlängst eine getaggte Variante auf den Markt gebracht. "Es gibt schon Anwender in der Automobilindustrie", sagt Falkenhahn. Die Funkpaletten kämen dort in der Intralogistik zum Einsatz, Namen von Kunden könne er allerdings keine nennen, "die Firmen wollen ihren Wettbewerbsvorsprung nicht preisgeben". Der Status bei anderen Branchengrößen ist durchwachsen: Craemer vermarktet zwar Kunststoff-Europaletten mit Transpondern, will aber keinen Kunden nennen. Beim Mietpalettenpool LPR La Palette Rouge ist RFID nach eigenen Angaben noch kein Thema. Funkende Kühltrolleys bei Rewe Wann könnte sich der Einsatz der drahtlos identifizierbaren Paletten lohnen? Die offensichtliche Antwort: Immer dann, wenn ein Ladungsträger in einem geschlossenen Kreislauf zirkuliert und einen gewissen Wert darstellt. Ein Beispiel dafür sind getaggte Tiefkühltrolleys, wie sie etwa der Handelskonzern Rewe zwischen Distributionszentrum und Filiale verwendet. Doch das ist nur der Anfang. Wirklich interessant werden Funketiketten, sobald sie eben mehr bieten als nur aufgedruckte Barcodes. "Mit RFID können ganze Distributionswege in Echtzeit getrackt werden", sagt Björn Anderseck vom Fraunhofer-Institut für Materialfluss und Logistik (IML). Wenn es zum Beispiel darum gehe, die Umlaufzeiten im Palettenkreislauf zu bestimmen, seien Funketiketten sinnvoll. "Nicht zuletzt für die Hersteller von Paletten wäre das interessant", betont Roman Winter, Leiter der Fachgruppe Returnable Transport Items bei GS1 Germany. Tatsächlich ist die Liste mit den Vorteilen der Funkpalette lang: Ganze Stapel auf dem Hof lassen sich auf einen Schlag erfassen (Pulkerfassung) - selbst, wenn sie mehrere Meter entfernt liegen und kein Sichtkontakt besteht. Manuelles Scannen am Warenein- und -ausgang entfällt, Stapler müssen nicht anhalten, da die Funksignale auch im Vorbeifahren gelesen werden können - ein Tempo von 1,5 Metern pro Sekunde ist kein Problem. Selbst wenn die Palette mit Metall oder Flüssigkeiten beladen ist, funktioniert die Erkennung reibungslos, haben Tests ergeben. Eine Leserate von 100 Prozent wird zwar nicht immer erreicht - aber das gilt ja auch für das klassische Barcodescannen. "Die Technologie ist immer dann interessant, wenn der Ladungsträger mehrfach oder automatisiert erfasst werden muss", erklärt André Rogge, Berater bei IBM Deutschland. Der Experte gibt ein Beispiel aus der Distributionslogistik: Eine Palette soll gemäß Auftrag mit verschiedenen Waren bestückt werden und wird deshalb zwischen mehreren Kommissionierplätzen bewegt. An jeder Station muss sie neu erfasst werden. In solchen Fällen bedeutet es eine Zeitersparnis von etwa 15 Sekunden, wenn das manuelle Scannen von Barcodes entfällt. "Geeignet sind auch Szenarien, in denen der Lagermitarbeiter die Hände freihaben muss und ein zusätzliches Datenerfassungsgerät stören würde. Zum Beispiel, wenn Paletten foliert werden", erklärt Rogge. Modebranche folgte Gerry Weber Aktuell verteuern die Tags eine Palette schätzungsweise von acht auf zehn Euro, heißt es beim APEM-Projekt; Experten erwarten allerdings, dass der Preis der Tags in der Massenproduktion auf unter 50 Cent sinkt. Hinzu kommt natürlich die Lesetechnik: Hier reichen die Preise von rund 1500 Euro für ein mobiles Erfassungsgerät bis in den fünfstelligen Bereich für robuste Lesetore mit Antennen. "Doch der größte Kostenblock ist erfahrungsgemäß die Infrastruktur - von der Stromzuführung bis zur LAN/W-LAN-Anbindung, wenn sie neu geschaffen werden muss", betont IBM-Berater Rogge. Letztendlich entscheidet eine Amortisationsrechnung: auf der einen Seite die Ausgaben für die Technik, auf der anderen die in Geld ausgedrückte Zeitersparnis. Experten sehen durchaus eine Chance, dass die Rechnung für RFID-Paletten aufgeht. "Es braucht einen großen Anwender - danach wird das ein Selbstläufer", schätzt Roman Winter von GS1 Germany. Er verweist auf die Modebranche: Auch hier hieß es lange Zeit "RFID rechnet sich nicht". 2009 begann dann Gerry Weber, sämtliche Artikel mit elektronischen Produktetiketten auszustatten - 26 Millionen Kleidungsstücke jedes Jahr. Mittlerweile ziehen andere Anbieter nach. In der Zwischenzeit kann es passieren, dass Handel und Industrie die RFID-Palette nicht annehmen und die Technologie von der nächsten überholt wird - Mobilfunk-Tags. Jeder Ladungsträger bekäme dabei eine Art Smartphone-Modul. Das bedeutet, jede Palette wüsste dank GPS-Ortung immer, wo sie sich befindet, und kann sich bei ihrem Besitzer über Mobilfunk melden. Eine aufwendige Infrastruktur mit Lesebrücken wäre überflüssig. Auch Fraunhofer-Forscher Anderseck hält dies für machbar. "Die komplett autarke Palette wäre möglich, allerdings fehlen noch die entsprechenden Standards und angemessene Hardwarepreise." Forschungsprojekt Smarti Paletten kostengünstig verfolgen Wie lassen sich mit intelligenten Ladungsträgern Warenströme besser steuern? Diese Frage wollte Smarti beantworten (Smart Reusable Transport Items). Das öffentlich geförderte Projekt, an dem auch das Fraunhofer IML und der Handelskonzern Rewe beteiligt waren, endet dieser Tage. Es wurde getestet, wie Paletten mit Hilfe von RFID-Technik nachverfolgbar gemacht werden können. Für den Ladungsträger war Chep zuständig: Der Mietpoolbetreiber hat dazu eine Europalette entwickelt, die mit einem 3-in-1-Tag ausgestattet ist, also mit einem Funketikett, das zusätzlich mit einem Barcode sowie einem gedruckten Zahlencode versehen ist.Frolic von Mars bis in den Laden verfolgenDie Paletten werden mit tragbaren Scannern erfasst, die über ein GSM-Modul verfügen. So werden die Daten über das normale Mobilfunknetz an einen Server geschickt. In der Vergangenheit wurden dafür oft Portalreader genutzt, durch die die Ware gefahren werden muss. Solche Lesetore sind teuer, während der Handheld nur rund 2000 Euro kostet. Zudem ist er leicht zu bedienen:"Es ist keine Einweisung nötig, man muss nur den Trigger bedienen können", sagt Marco Pannicke von Chep.Üblicherweise übernehmen die Mitarbeiter im Wareneingang das Scannen. Beim Landmaschinenhersteller Claas, ebenfalls Partner des Projekts, erledigte der Pförtner in den Tests diese Aufgabe. Die getaggten Paletten wurden zum Beispiel eingesetzt, um den Weg von Frolic-Hundefutter vom Hersteller bis in den Supermarkt zu verfolgen. Dabei konnte Hersteller Mars jederzeit im Internet sehen, wo sich die Lieferung befindet - selbst innerhalb des Marktes. Hier könnte der Nutzen für die Versender liegen. Ein mögliches Szenario: Ein Lebensmittelhersteller kann überprüfen, ob Sonderangebotsware, die samstags per Postwurfwerbung angekündigt wurde, am Montag tatsächlich auf der Aktionsfläche im Supermarkt steht. cg

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