Interview Christian Bernreiter: Berliner Irrglaube

In Kürze Seit Februar 2022 ist Christian Bernreiter (CSU), geboren am 7. April 1964 in Straubing, bayerischer Staatsminister für Wohnen, Bau und Verkehr. Im Interview nimmt der ausgebildete Ingenieur Stellung zum Alpentransit, zur Energie- und Verkehrswende sowie zur Autobahn GmbH. Das Thema, das vor allem unsere Leser im Brennertransit bewegt: Blockabfertigung versus Slotsystem. Da gab es einige Kommentare österreichischer Kollegen, die von den aktuellen Plänen nicht begeistert sind. Wie sehen Sie das? Ich sehe es natürlich positiv, sonst bräuchten wir nicht verhandeln. Wenn man nicht miteinander verhandelt, dann kommt man auch nicht weiter. Ich bin sehr froh, dass Bayern, Tirol und Südtirol jetzt im Gespräch sind, dass wir offen und transparent diskutieren. Ich spreche auch viel mit unseren Verbänden. Da ist die Skepsis nicht so groß, weil sie sagen: ,Schlechter kann es nicht werden'. Wir wollen das Slotsystem als Ersatz für die Blockabfertigung, keinesfalls zusätzlich! Ich habe dazu mit der österreichischen Bundesverkehrsministerin gesprochen. In Österreich steht an der A 13, der Brennerautobahn, eine große Baumaßnahme an. Wenn in zwei Jahren die Luegbrücke angepackt wird, haben wir nur noch zwei Fahrstreifen. Lässt man das laufen, haben wir Dauerblockabfertigung. Wie soll das Slotsystem konkret entlasten? Zum einen müssen wir schauen, was wir durchbringen. Wenn wir das Slotsystem einführen, wollen wir natürlich auch verhandeln, wie wir zu einer Ausweitung der Fahrzeiten nachts kommen können. Darum geht es. Zum anderen brauchen die Fahrerinnen und Fahrer den Brenner gar nicht anfahren, wenn sie wissen, dass sie am heutigen Tag oder im geplanten Zeitfenster nicht durchkommen. Darauf können sich die Unternehmen dann entsprechend einstellen. Und da unterstützen die beiden großen bayerischen Transportverbände LBS und LBT unsere Bemühungen. Ein österreichischer Transporteur, der in seiner Verbandszeitung zu Wort kam, beklagte zu viel Bürokratie beim Slotsystem sowie den Umstand, dass Tirol das allein gar nicht entscheiden kann. Da ist der Herr Österreicher aber falsch informiert (lacht). Denn das einzige Land, welches so eine Maßnahme ohne die Nationalstaaten umsetzen könnte, ist Tirol! Sie könnten das, wollen es aber auf eine Staatsvertragsebene heben. Wir werden auf jeden Fall auch Gespräche führen. Mit dem Bund, mit Südtirol und mit Italien. Ich bin an den Bundesverkehrsminister herangetreten und genauso an die Kommissionspräsidentin. So eine große Lösung wäre unsere Wunschvorstellung. Gäbe es überall Ablehnung, dann wäre die Lösung, und so haben wir das auch bei der Pressekonferenz in Kufstein kommuniziert, dass Tirol es notfalls allein macht. Tirol hat ja auch allein die Blockabfertigung eingeführt. Ungeachtet, ob Blockabfertigung oder Slotsystem, der von der EU geforderte freie Warenverkehr durch Österreich bleibt wohl Wunschdenken? Der wäre natürlich unser Ziel. Aber allein schon durch die Begrenzung der Transportkapazität durch die Baustellen, die in den nächsten Jahren anstehen, müssen wir realistisch an die Sache herangehen. Die Alternative wäre eine Klage. Aber der Freistaat Bayern kann nicht klagen. Das könnte nur die Bundesrepublik Deutschland oder Italien. Auch die EU-Kommission hat diese Möglichkeit bisher nicht aufgegriffen - auch wenn Brüssel ganz genau schaut, was wir hier machen. Darum wollen wir einen gemeinsamen, unbürokratischen Weg. Keine Fünf-Minuten-Timeslots, sondern, wenn es nach mir geht, eine größere Zeitspanne. Und es darf nichts kosten. Aber es darf auch nicht so sein, dass eine Spedition am Tag 100 Slots bucht, wenn sie nur 30 braucht, und andere dafür leer ausgehen. Das wäre als Ordnungswidrigkeit zu bestrafen. Bis wann wäre der Ersatz der Blockabfertigung durch das Slotsystem angedacht? Zum Zeithorizont kann ich noch nichts sagen. Wir sind mitten in den Gesprächen. Basis ist eine Studie der Technischen Hochschule Ingolstadt. Die Verbände sind in Arbeitsgruppen, also mit Praktikern dabei. Wir müssen das in allen Facetten beleuchten. Aber der Leidensdruck ist hoch - gerade für die Anwohner und die Fahrer. Darum wollen wir ja eine Verbesserung erzielen und die Blockabfertigung ersetzen. Eine Notmaßnahme war das Verbot der Abfahrten, denn durch die massiven Ausweichverkehre und die damit verbundenen Behinderungen kann der lokale Einzelhandel seine Läden zusperren. Auch Rettungsdienste haben große Schwierigkeiten, durchzukommen - darum die Benutzungsverbote auf Bundes- und Staatsstraßen. Kann die Bahn in Richtung Brenner eine Alternative sein? Wir wissen, dass der Brenner Basistunnel auf einem relativ guten Weg ist. Der Bund und die Deutsche Bahn müssen als Maßnahmenträger nachweisen, dass ein Trassen-Neubau unbedingt notwendig ist. Wir treten als Freistaat Bayern beim Brenner-Nordzulauf für eine maximal anwohnerfreundliche Trasse ein. Aber letztendlich, wenn wir uns die Zahlen zum Güterverkehrsaufkommen anschauen, die das Bundesverkehrsministerium gerade veröffentlicht hat, dann brauchen wir neue Verkehrswege, zusätzliche Kapazitäten. Die haben wir momentan auf der Schiene leider nicht. Das höre ich auch von den Spediteuren: ,Bitte schaut, dass wir verlagern können - denn wir würden ja gerne." Mit anderen Worten: Eine Sanierung der Bestandsstrecke bringt kaum Kapazitäten? Der Nachweis muss erbracht werden! Aber Zahlen zu interpretieren, war schon immer schwierig. Bei der Eröffnung des Main-Donau-Kanals hieß es, die Vorhersage wären völlig übertrieben. Dabei wurde diese Prognose bereits im ersten Jahr übererfüllt. Wenn man sich die Prognosen der letzten Jahre anschaut, ist das Aufkommen in der Realität in der Regel immer höher gewesen, als prognostiziert wurde. Mit dem Fachkräftemangel wird sich die Produktion weiter konzentrieren und die Güter werden über weitere Strecken gefahren. Dafür muss man auch unsere Verkehrsinfrastruktur auslegen. Eine Verlagerung auf die Schiene als umweltfreundlicher Verkehrsträger wäre da natürlich gut. Aber ohne die Straße wird es wohl trotzdem nicht gehen? Wir müssen ausloten, wo wir Verkehre verlagern können und wo wir auf der Straße transportieren müssen. Auch der Platz auf der Brennerautobahn ist ja beschränkt. Da bekommen wir keine zusätzlichen Fahrstreifen. Nicht zu vergessen das große Problem Fahrermangel. Wenn die Lkw-Fahrerinnen und -Fahrer die Strecke auf Schiene der RoLa, also der rollenden Landstraße, huckepack fahren, könnten sie währenddessen ihre Ruhepausen machen. Dafür müssen wir die Verlademöglichkeiten schaffen. Sie hatten sich kürzlich als Moderator zwischen Berlin und den Anwohnern, die von einer neuen Trasse betroffen wären, bezeichnet. Wie verhärtet sind die Fronten? Nach dem Floriansprinzip möchte keiner die Trasse vor der eigenen Haustür. Deshalb ist unsere Forderung, dass zunächst einmal die Kapazitätsnachweise auf den Tisch kommen. Und wir müssen eine anwohnerfreundliche Trasse finden - da verstehe ich die Bürger im Inntal. Die österreichische Seite regelt den kompletten Güterverkehr unterirdisch in einer Galerie. Da fragen die deutschen Anwohner zu Recht: ,Warum geht das bei uns nicht?'. Steigt nicht auch langsam der Druck aus den betroffenen Ländern Österreich und Italien? 2030 soll der Brenner Basistunnel fertig sein. Beim Nordzulauf war noch nicht mal Spatenstich. Das ist kein Projekt der bayerischen Staatsregierung! Zuständig sind die Deutsche Bahn und der Bund. Ich kann hier nur moderieren - für Verständnis auf beiden Seite werben und dazu appellieren, dass man die Bürgerinteressen wahrnehmen und berücksichtigen muss. Gibt es denn wenigstens Entwarnung beim dringlichen Thema Parkplatzmangel in Bayern? Solange der Freistaat Bayern für die Autobahn zuständig war, hat mein Vorgänger Joachim Herrmann gewaltig angeschoben. Wir haben die Aufgabe sehr ernst genommen, haben entsprechende Parkplätze ausgewiesen und fertiggestellt. Jetzt ist das Aufgabe der Autobahn GmbH. War es aus Ihrer Sicht ein guter Schritt des Bundes, die Autobahn GmbH zu gründen? Wegen der bayerischen Arbeitsweise wurde die Autobahn GmbH nicht gegründet! Wir waren immer sehr gut unterwegs mit unserer Straßenbauverwaltung. Das war einigen wohl ein Dorn im Auge, dass Bayern so stark war und wir viele Maßnahmen umsetzen konnten, wo andere nicht so weit waren. Ich bedauere das sehr, dass wir die Aufgabe nicht mehr haben. Denn jetzt sind wir Bittsteller und oft gar außen vor bei Themen, die wir vorher als Bundesauftragsverwaltung selbst regeln konnten. Das heißt, der Bundesverkehrsminister Bernreiter schafft die Autobahn GmbH sofort wieder ab, wenn er ins Bundesverkehrsministerium nach Berlin einzieht? Der Bernreiter wird nie Bundesverkehrsminister werden! Meine Heimat ist Bayern (lacht). Trotzdem hat der Bayer Bernreiter doch eine Meinung zu deutschen und europäischen Themen - wie etwa schätzen Sie die Fokussierung auf E-Mobilität ein? Als Ingenieur sage ich natürlich ganz klar ,Nein' zur Fokussierung. Man muss immer technologieoffen sein. Denn wir wissen aktuell nicht, wie sich alles weiterentwickelt. E-Mobilität ist in Ballungsräumen sehr, sehr gut - wenn der Strom klimaneutral erzeugt wird. Wenn dazu aber die Kohle aus Lützerath kommt, ist der CO2-Fußabdruck inakzeptabel. Also muss man unterscheiden, wo man was einsetzt. Auf der Straße werden wir Wasserstoff für Lkw benötigen. Wie gesagt, wir wissen nicht, wohin die Reise geht. Keinesfalls dürfen wir uns wieder von anderen Ländern als Rohstoff-Lieferanten abhängig machen. War der Vorstoß von Volker Wissing zum Thema E-Fuels sinnvoll? Bei E-Fuels war es höchste Zeit, dass man noch mal dazwischen gegrätscht ist. Allerdings glaube ich erst an einen Erfolg, wenn alles im EU-Gesetzesblatt steht und ausformuliert ist. Laut der Forschung der TU München sind E-Fuels eine gute Möglichkeit der Energiespeicherung, wenn wir einmal wirklich so viel grünen Strom haben, dass man ihn nicht ins Netz einspeisen kann. Abgesehen davon bin ich überzeugt davon, dass es auf der Welt Regionen geben wird, die weiter auf den Verbrennungsmotor setzen. Die Pläne für Weiterentwicklungen des Verbrenners in der Schublade verschwinden zu lassen, um sie dann vielleicht irgendwann wieder herauszuholen, wird nicht funktionieren. Meine Idee wären praktikable Zielvorgaben und kein generelles Verbrenner-Aus. Also auch HVO und Bio-LNG als Kraftstoffe, für die man außerdem die vorhandene Infrastruktur nutzen kann? Ja, genau! In die Zukunft gedacht, können wir uns das leisten, ein Wasserstoffnetz und eine Ladeinfrastruktur aufbauen? Wenn wir technologieoffen sein wollen, dann müssen wir Lade- und Tankinfrastruktur haben. Ich bin überzeugt, dass es Einsatzbereiche gibt, gerade beim Gütertransport, da wird man Wasserstoff brauchen. Beim Pkw glaube ich, dass sich Batterieelektrik durchsetzen wird. Da sind wir auch schon dran. Der Freistaat Bayern hat die meisten öffentlichen E-Ladesäulen und wir wollen bis zum Jahr 2030 auf 70.000 öffentliche Ladesäulen erweitern. Wir sind aber genauso dazu bereit und haben auch entsprechende Förderungen ausgesprochen, dass wir Wasserstofftankstellen installieren. Wenn wir von Lkw-Ladesäulen sprechen, sind das doch andere Dimensionen. Da herrscht auch in Bayern noch Mangel. Stimmt, da braucht man ganz andere Ladekapazitäten. Ich habe mir das bei MAN angeschaut. Da ist zum Beispiel in München ein Pilotprojekt geplant, bei dem man eine Lkw-Traktionsbatterie in 45 Minuten laden kann. Da muss aber auch die Strominfrastruktur passen. Fahrzeuge und Ladeinfrastruktur werden auf jeden Fall teuer, das lässt sich ohne Förderungen kaum realisieren. Hilft Bayern da? Wir fördern den öffentlichen Verkehr, pro Jahr zum Beispiel 400 E-Busse. Aber beim Transportgewerbe sehe ich das nicht als öffentliche Aufgabe des Freistaats Bayern. Schade, denn die kommende CO2-Komponente der Lkw-Maut macht den Transport sehr viel teurer. Was denken Sie über diese Doppelbelastung? Da ist wieder der Irrglaube, die Logistikbranche kann das aus ihrem Geldkeller stemmen. Logisch, dass das natürlich umgelegt wird auf den Endverbraucher. Damit ist es eine versteckte Steuererhöhung. Wir haben das bereits bei den ersten Diskussionen deutlich gerügt. Haben Sie eine bessere Idee? Man muss sich die Gesamtmaßnahmen anschauen. Aus meiner Sicht ist es keine gute Idee, Sondervermögen zu bilden. Man muss das ehrlich angehen. Was kann sich der Staat leisten, was will man sich leisten, was habe ich für Aufgaben? Zum Thema ökologische Verkehrswende hat die große Koalition im Jahr 2021 über elf Milliarden Euro für die Schiene im Haushalt festgeschrieben. Heuer unter der Ampel-Regierung haben wir nur noch neun Milliarden und das bei gestiegenen Baukosten - also deutlich zu wenig. Ich habe das oft angeprangert. Es ist auch der verkehrte Weg, zuerst ein billiges Ticket anzubieten und sich dann die Infrastruktur anzusehen. Wenn man dann erkennt, dass man deutlich mehr Mittel für die Schieneninfrastruktur braucht, lässt sich das nur über Steuern finanzieren. Klingt ziemlich kritisch. Was halten Sie generell von der Arbeit von Volker Wissing und Oliver Luksic im Vergleich zu ihren Vorgängern Andreas Scheuer und Steffen Bilger? Einen direkten Vergleich habe ich nicht, weil ich nur Volker Wissing kenne im Amt. Dann zurück nach Bayern. Entwickeln Sie eine eigene Wasserstoffstrategie? Die bayerische Staatsregierung ist da natürlich hinterher, damit wir nicht abgehängt werden. Wir kümmern uns um Leitungen aus dem Süden, die dann auch den Süden Deutschlands versorgen. Das wäre eigentlich eine Aufgabe des Bundes, sich um diese Dinge zu kümmern. Ministerpräsident Markus Söder hat mindestens 50 Elektrolyseure angekündigt, um überschüssigen grünen Strom für die H2-Produktion zu nutzen. Wir sind also im Aufbau von regionalen Speichermöglichkeiten. Noch eine Frage zum intermodalen Verkehr: Welche Projekte setzt Bayern aktuell um, damit Güterverkehr von der Straße auf die Schiene oder das Binnenschiff gebracht wird? Die Verlagerung des Güterverkehrs auf Schiene und Wasserstraße ist unser erklärtes Ziel. Dabei setzen wir vor allem auf den Kombinierten Verkehr, für den das höchste relative Wachstum prognostiziert wird. Wenn unterschiedliche Verkehrsmittel beim Transport effizient miteinander verknüpft werden, können Güter umweltschonender transportiert werden. Dafür nehmen wir jährlich etwa zwei Millionen Euro in die Hand und fördern Studien, Pilot- und Demonstrationsprojekte sowie innovative Logistikkonzepte. Für eine Stärkung der Binnenschifffahrt stärken wir auch unsere Binnenhäfen. Über die Bayernhafengruppe haben wir in den letzten Jahren rund 50 Millionen Euro in den Ausbau der Hafeninfrastruktur in Bayern investiert. Für kommunale Häfen konnten wir Fördermittel aus Landes-, Bundes- und EU-Programmen in Höhe von rund 10 Millionen Euro zur Verfügung stellen. Und in diesem Jahr unterstützen wir mit einem Sonderprogramm im Umfang von 35 Millionen Euro viele nicht bundes-eigene Schieneninfrastruktur-Unternehmen im Freistaat bei Maßnahmen, die auch oft dem Schienengüterverkehr zugutekommen. Herr Minister, herzlichen Dank für das Gespräch.

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