Auf leisen Sohlen

Wir werden den Bahnlärm im Interesse der Anwohner hörbar verringern", kündigte Bundesverkehrsminister Alexander Dobrindt (CSU) Anfang März in Berlin an. Neben der Verbesserung des Lärmschutzes an bestehenden und strengeren Grenzwerten für neue Bahnstrecken steht die Umrüstung der Bremsen von Güterwagen im Fokus. Denn neue Bremssysteme mit sogenannter Flüstertechnik halbieren das Fahrgeräusch der Züge. "Güterwagen, die nicht auf lärmmindernde Technik umgerüstet sind, werden ab 2020 das deutsche Netz nicht mehr befahren dürfen", unterstreicht Dobrindt. "Dafür bereiten wir jetzt ein Gesetz vor." Laut Bahnchef Rüdiger Grube will die Deutsche Bahn (DB) bis 2020 alle 60.000 Wagen ihrer Güterverkehrstochter DB Schenker Rail auf Flüsterbremsen umrüsten. Derzeit sind 14.500 leise Wagen von DB Schenker Rail unterwegs, bis Ende 2015 sollen es 20.000 sein. "Wir rüsten unsere neuen Fahrzeuge seit zehn Jahren mit leisen Bremsen aus", sagt VTG-Vorstand Heiko Fischer. "Insgesamt sind derzeit rund 20 Prozent unserer europäischen Wagenflotte mit Flüsterbremsen ausgestattet." Das genügt allerdings nicht. Denn im aktuellen Koalitionsvertrag heißt es, dass noch in dieser Wahlperiode ordnungsrechtliche Maßnahmen auf stark befahrenen Güterstrecken umgesetzt werden, falls bis 2016 nicht mindestens die Hälfte der in Deutschland verkehrenden Güterwagen umgerüstet sein sollten. Als "ordnungsrechtliche Maßnahmen" kommen Tempolimits oder Nachtfahrverbote infrage. In einer Studie, die vom Verband Deutscher Verkehrsunternehmen (VDV), dem Verband der Güterwagenhalter in Deutschland (VPI) und dem Bundesverband der Deutschen Industrie (BDI) in Auftrag gegeben und Ende Oktober 2014 veröffentlicht wurde, wurden die Folgen dieser Maßnahmen analysiert. Sie kam zu dem Ergebnis, dass eine Geschwindigkeitsreduzierung der Güterzüge auf 70 Stundenkilometer zu zehn Prozent höheren Transportkosten sowie einer Reduzierung des Transportaufkommens um 30 Prozent führen würde. Ein komplettes Nachtfahrverbot würde den Schienengüterverkehr gar in seiner Existenz bedrohen. Denn eine Verschiebung der Transporte in den Tag sei angesichts über 90-prozentiger Auslastung vieler Trassen undenkbar. Bleibt die Frage, warum die Eigentümer der Güterwagen angesichts dieser bedrohlichen Konsequenzen keine größeren Anstrengungen unternommen haben. "Die Deadline 2016 im Koalitionsvertrag kam schon überraschend", sagt VDV-Geschäftsführer Martin Henke. "Denn auch die Bundesregierung weiß, dass es aus verschiedenen Gründen nicht möglich ist, die Hälfte der 180.000 Güterwagen, die in Deutschland im Schnitt unterwegs sind, innerhalb von drei Jahren umzurüsten oder zu ersetzen. Es sind auch heute noch nicht genügend Flüsterbremsen für die Umrüstung am Markt erhältlich." Umrüstung: 1700 Euro pro Waggon Schließlich wurden die LL-Sohlen, die Abkürzung steht für "low noise, low friction" (wenig Lärm, wenig Abrieb), erst im Juni 2013 europaweit zugelassen. Bis dahin stand zur Umrüstung alter Wagen nur die K-Sohle zur Verfügung, die im Austausch teurer ist. Bei einer K-Sohle beläuft sich der Aufwand pro Wagen auf 7000 Euro, bei der LL-Sohle auf etwa 1700 Euro. "Angesichts dieser Preisdifferenz ist es ökonomisch nachvollziehbar, dass die Wagenbesitzer erst nach Zulassung der LL-Sohle mit der Umrüstung begonnen haben", räumt auch Professor Alexander Eisenkopf von der Universität Friedrichshafen ein. Die Kosten für die Umrüstung vorhandener Wagen beziffert der VDV auf 304 Millionen Euro. Davon wird rund die Hälfte aus Bundesmitteln gefördert. Anders im Bahn-Musterland Schweiz (siehe Kasten rechts). Zu den Einmalkosten kommen höhere Betriebskosten, da die LL-Sohlen wartungsintensiver und von kürzerer Lebensdauer sein sollen. Laut VDV wird sich dieser Kostenblock bis 2020 auf weitere 700 bis 800 Millionen Euro summieren. "Im margenschwachen Schienengüterverehr ist dies eine klare Überforderung der Bahnen und der Wagenhalter", sagt Martin Henke. Bundesverkehrsministerium bleibt hart Zahlreiche Bürgerinitiativen wollen allerdings nicht bis 2020 warten. Sie fordern, dass die im Koalitionsvertrag ab 2016 angedrohten Sanktionen realisiert werden. Dazu heißt es im Bundesverkehrsministerium auf Anfrage der VerkehrsRundschau: "Wir evaluieren den Stand der Umrüstung 2016 und wenn es notwendig ist, werden ordnungspolitische Maßnahmen eingeleitet, wie im Koalitionsvertrag vereinbart." Mittlerweile steigt der Druck auf den Verkehrsminister. Ende Januar initiierten Bundestagsabgeordnete aus CDU, SPD und Grünen die "Abgeordnetengruppe Schienenlärm". Viele der knapp 90 Mandatsträger stammen aus Wahlkreisen wie dem Rheintal, das besonders stark vom Bahnlärm betroffen ist. Schließlich ist 2017 Landtagswahl in Rheinland-Pfalz. Modell Schweiz Beim Schutz gegen Bahnlärm macht die Schweiz Nägel mit Köpfen. Einige Fakten:- Die SBB Cargo hat ihre komplette Güterwagenflotte auf Flüsterbremsen umgestellt - und zwar bereits Mitte 2010 unter Verwendung von K-Sohlen.- Von den Güterwagen privater Schweizer Unternehmen waren im Juni 2014 bereits knapp drei Viertel lärmsaniert.- Bis Ende dieses Jahres sollen alle Schweizer Güterwagen lärmsaniert sein.- Das Gesetz über die Lärmsanierung der Eisenbahnen wurde im März 2000 verabschiedet. Gleichzeitig wurden die Finanzmittel für die Sanierung von Rollmaterial und bestehenden Strecken bereitgestellt.- Die Investitionen für die Umrüstungen der Güterwagen wurden komplett durch öffentliche Mittel gefördert.- Seit März 2014 ist gesetzlich festgeschrieben, dass ab 2020 keine Güterwagen in der Schweiz fahren dürfen, die gewisse Lärmgrenzwerte überschreiten.- Diese Frist darf nur aus "wichtigen Gründen" und um höchstens zwei Jahre verlängert werden. eee

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