Auf dem Weg zum Null-Emissions-Lkw

Das System vereint die jeweiligen Vorteile von Schiene und Straße: die kontinuierliche Stromversorgung der Bahn und die vollständige Flexibilität des Lkw." Mit dieser Formel fasst Martin Birkner, Projektleiter des E-Highway-Systems von Siemens, zusammen, was eine Revolution für den Straßengüterverkehr bedeuten könnte: Lkw fahren hauptsächlich mit Strom, der aus Oberleitungen kommt. Zweite Energiequelle an Bord Zukunftsmusik? Ja, einerseits. Denn bis zur Serienreife ist es noch ein weiter Weg. Andererseits ist die Möglichkeit, Lkw mit umweltfreundlich erzeugtem Strom zu betreiben, verlockend, weshalb man beispielsweise im Umweltbundesamt große Hoffnungen in die Technik setzt (siehe VR 1-2/2016, Seite 22). Bei Oberleitungs-Lkw versorgen ausklappbare Stromabnehmer den Motor mit Energie. Verlässt der Lkw die mit der Oberleitung ausgestattete Straße, schaltet das Fahrzeug auf eine andere Energiequelle um: Batterie, Gas oder auch herkömmlicher Diesel. "Entweder schaltet sich der Fahrer selbst von der Oberleitung ab oder die Abkoppelung wird - zum Beispiel bei Überholmanövern - an die Aktivierung des Blinkers gekoppelt oder Sensoren im Stromabnehmersystem geben ein Signal an den Motor, bei Verlassen der Oberleitung eine andere Energiequelle zu aktivieren", erklärt Birkner. Seit 2010 forscht Siemens am Oberleitungs-Lkw in Deutschland. Bislang nur auf der eigens dafür gebauten Teststrecke in Groß Dölln nördlich von Berlin und im Rahmen von zwei vom Bundesumweltministerium (BMUB) geförderten Projektphasen "Elektromobilität bei schweren Nutzfahrzeugen zur Umweltentlastung von Ballungsräumen" (Enuba). Enuba 2 geht dieses Jahr zu Ende, doch der nächste Schritt ist schon lanciert. Im Herbst 2015 veröffentlichte das BMUB das Förderprogramm "Erneuerbar Mobil". Es hat zum Ziel, den Oberleitungs-Lkw auf öffentlichen Straßen zu testen. Interessenten für das Programm gibt es schon. Wer genau das ist, will man beim BMUB nicht sagen. Man gehe aber davon aus, dass noch dieses Jahr bekannt gegeben werde, wo der Oberleitungs-Lkw das erste Mal im deutschen öffentlichen Verkehr getestet werde. E-Highway in den USA seit 2014 An eine lange Strecke darf man dabei nicht denken. Das zeigen die beiden anderen Pilotprojekte, mit denen Siemens sein neues System testet. In Schweden soll in diesen Tagen der Betrieb eines zwei Kilometer langen Demonstrationsprojekts auf der E 16 nördlich von Stockholm starten. Die Oberleitungsstrecke ist Teil einer Verbindung des Hafens Gävle mit Industriestandorten. Siemens arbeitet hier, wie auch in Deutschland, mit Scania zusammen. In Kalifornien hat Siemens die Volvo Group USA und örtliche Lkw-Umrüster als Partner. Seit Sommer 2014 fahren vier unterschiedliche Oberleitungs-Lkw in der Nähe der größten US-Häfen Los Angeles und Long Beach auf einer Strecke von zwei Meilen. Ziel dieses Projekts ist es, den E-Highway dort dauerhaft einzurichten, um das durch die Hafenaktivitäten hohe Gütertransportaufkommen so umweltschonend wie möglich für die umliegenden Gemeinden zu gestalten. Die Tests in den USA und in Schweden lassen bereits einige Rückschlüsse bezüglich der Zukunft des Oberleitungs-Lkw zu: - Es geht zunächst um kurze Strecken. So heißt es bei Siemens: "Der E-Highway ist auf stark frequentierten Lastwagen-Pendelstrecken ökologisch und ökonomisch besonders sinnvoll, wie beispielsweise zwischen Häfen oder Fabrikanlagen." An eine flächendeckende Ausstattung zum Beispiel der deutschen Autobahnen wird zunächst nicht gedacht. - Verschiedene Lkw sind für den Oberleitungsbetrieb verwendbar. "Wichtig ist, dass ein Elektromotor vorhanden ist", sagt Birkner. In Kalifornien testet Siemens mit einem Diesel-Hybrid, einem Erdgas-Hybrid, einem voll elektrischen und einem elektrischen Diesel-Hybrid plus zusätzlicher Batterie für 70 Kilometer. - Andere Hersteller könnten, auch wenn sie jetzt nicht in die Entwicklung mit einbezogen sind, später relativ einfach Oberleitungs-Lkw anbieten. "Voraussetzung ist nur der Elektromotor", so Birkner. - Die Oberleitung - potenziell anfällig für Wettereinflüsse wie Wind oder Kälte - ist genauso stabil wie die der Bahn. "In Schweden konnten wir Enteisungsanlagen an den Leitungen erfolgreich testen", sagt Birkner. Und sollte einmal der Strom ausfallen, fährt der Hybrid mit seiner anderen Energiequelle weiter. - Der E-Highway scheint weit entwickelt. Birkner nennt das System "schon geeignet"; es ginge jetzt noch um die Optimierung. Der Partner Scania hält es für am wichtigsten, leistungsfähige Hybrid-Lkw anzubieten. "Dann liegt es in der Hand der Politiker und hängt von der Zusammenarbeit verschiedener Entscheidungsträger ab, ob aus der Chance Wirklichkeit wird", sagt Scania Sprecherin Boglarka Balint Henriksson. Die Oberleitungs-Lkw werden laut Scania in einer ersten Phase wegen der zu erwartenden geringen Stückzahl und dem Prototyp-Status deutlich teurer sein als herkömmliche Lkw. Langfristig geht Scania aber davon aus, dass sie genauso teuer sein werden wie Lkw mit anderen Antriebsarten. Zur Leistungsfähigkeit zählt auch ein vertretbares Gewicht des Fahrzeugs: "Der Oberleitungs-Lkw von Scania soll in Serienproduktion weniger als 1000 Kilogramm schwerer als ein herkömmlicher Zugwagen sein", sagt Henriksson. - Die neue Infrastruktur ist teuer. Die Ausstattung von einem Kilometer Straße mit Oberleitungen, jeweils eine Spur in jeder Richtung je nach Beschaffenheit der Landschaft, könnte laut externen Studien zwischen 1,5 und 2,5 Millionen Euro kosten. Noch schrecken die hohen Kosten ab Die hohen Infrastrukturkosten scheinen zurzeit ein großer Hemmschuh zu sein. Birkner hatte Wolfgang Thoma, Geschäftsführer der Spedition Ansorge Logistik, das System schon vor drei Jahren vorgestellt. Thoma fand es interessant für eine wenige Kilometer lange Strecke zwischen verschiedenen Lagerhallen seines Unternehmens. Doch wegen der hohen Infrastrukturkosten nahm er Abstand von dem E-Highway, den sein Unternehmen selbst hätte finanzieren müssen. Stattdessen kaufte er lieber einen Batterie-betriebenen Lkw. Ähnlich die Reaktion beim Verband der Automobilhersteller (VDA) - zumindest hinsichtlich einer großflächigen Verbreitung des neuen Systems. "Fernverkehrs-Lkw sind europaweit unterwegs", sagt Kay Lindemann, Geschäftsführer des Verbandes der Automobilindustrie (VDA). "Wenn Transportunternehmer auf Oberleitungs-Lkw umsteigen sollen, bedürfte es also einer europaweiten Oberleitungsinfrastruktur entlang der Autobahnen." In Deutschland gehe es dabei um 13.000 Autobahnkilometer, um mehrere zehntausend in Europa. "Ein solches Vorhaben wäre extrem kostspielig und politisch langwierig", so Lindemann. Aus heutiger Sicht erscheine es völlig unrealistisch, dass die EU-Mitgliedstaaten ein so umfassendes Verkehrsinfrastrukturprojekt in kurzer Zeit gemeinsam umsetzen könnten. Bei der EU-Kommission hält man sich dagegen vor so deutlichen Prognosen zurück. Auf VR-Anfrage heißt es aus der Generaldirektion Mobilität und Verkehr, dass man über die Entwicklung des E-Highway als eine Möglichkeit der Elektrifizierung des Lkw-Verkehrs informiert sei. Doch genau wie andere Projekte mit anderen Ansätzen sei auch der E-Highway noch zu wenig ausgereift, um Entscheidungen für oder gegen gezielte Förderungen zu treffen. "Strikt" gegen Oberleitungs-Lkw spricht sich Michael Cramer aus, Vorsitzender des Verkehrsausschusses im Europaparlament. "Das ist nur ein weiterer Versuch, den Straßenverkehr attraktiver zu machen", sagt der Grünen-Politiker. Bei der Bahn habe man bereits ein Oberleitungs-System. Bevor man mit viel Geld ein zweites solches System baue, sollte man das bestehende verbessern. Doch in seinem Ausschuss und im Plenum des Europaparlaments sei das Thema Oberleitungs-Lkw noch nicht debattiert worden. BGL favorisiert den Oberleitungs-Lkw Unterstützung erhält der Oberleitungs-Lkw dagegen vom Bundesverbandes Güterkraftverkehr, Logistik und Entsorgung (BGL). Mehrere BGL-Vorstandsmitglieder konnten das Fahrzeug im Rahmen von Enuba bereits testen. Das System scheint überzeugt zu haben: Auf der Homepage des Verbandes wird Enuba als ein Projekt bei der Suche nach Alternativen zum rein Diesel-betriebenen Lkw ausdrücklich "begrüßt". "Alles in allem ist der direkte Einsatz von Strom über Oberleitungen derzeit die kostengünstigste Variante, langfristig Straßengüterverkehre in die von der Politik angestrebte 'kohlenstofffreie' Wirtschaft des Jahres 2050 und später zu überführen", begründet Karlheinz Schmidt, geschäftsführendes BGL-Präsidialmitglied. Noch müsse das System allerdings reifen. Mehr zum Thema finden Sie im Dossier Elektro-Lkw www.verkehrsrundschau.de/dossiers Konkurrenzprojekt von Alstom mit Volvo Der Strom kommt aus der Straße Parallel zu Siemens ist der französische Konzern Alstom dabei, in einer Kooperation mit Volvo das sogenannte APS-System (französisch für Alimentation Par Sol - deutsch: Stromzuführung über den Boden) zur Elektrifizierung des Straßengütertransports zu entwickeln. Der Lkw fährt dabei über eine in der Straße eingelassene Stromschiene, von dem er Energie bezieht. Seit 2012 wird das APS-System für Elektro-Lkw auf einer 400 Meter langen Teststrecke in Schweden erprobt. Im Sommer 2015 kündigte Alstom an, das System auf Hybrid-Lkw auszuweiten. kw

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