Arbeitnehmerfreizügigkeit

ArbeitnehmerfreizügigkeitKaum noch UnterschiedeDank der seit Mai möglichen Arbeitnehmerfreizügigkeit können Transport- und Spedi-tionsunternehmen nun auch Fachkräfte aus Osteuropa beschäftigen. Doch wie so häufig steckt auch hier der Teufel im Detail. Fahrer aus Osteuropa einstellen – das wird in vielen Speditionen bald zum Alltag gehören. Denn seit dem 1. Mai gilt für Arbeitnehmer aus Estland, Lettland, Litauen, Polen, Slowakei, Slowenien, Tschechien und Ungarn (EU8) die volle Freizügigkeit – Rumänien und Bulgarien sind noch ausgeschlossen. Das heißt: LKW-Fahrer aus diesen Ländern können eine Tätigkeit in Deutschland aufnehmen, ohne vorher eine Arbeitserlaubnis beantragen zu müssen. Auch die Ansiedlung der neuen Mitarbeiter vor Ort ist denkbar einfach: Menschen aus den sogenannten EU8-Staaten müssen sich nur wie deutsche Bürger bei der jeweiligen Meldestelle registrieren. Diese Freizügigkeit genießen alle Personen, die eine Arbeitsstelle haben oder suchen – nach drei Monaten muss lediglich ein Nachweis über die Suche erbracht werden.Für Speditionen bedeutet das: Die Einstellung eines Fahrers aus Osteuropa ist nicht komplizierter als die eines deutschen Kollegen. Im einfachsten Fall schließt das Transportunternehmen einen unmittelbaren Arbeitsvertrag mit dem Kraftfahrer ab. Dann gelten auch deutsche Arbeitsgesetze: Der Angestellte genießt den üblichen Kündigungsschutz und muss im Krankheitsfall weiter bezahlt werden. Sozialversicherung und Lohnsteuer entrichtet der Betrieb an deutsche Kassen. Bei der Einstellung von Auszubildenden gibt es ebenfalls keinen Unterschied mehr zwischen Deutschen und Kräften aus den EU8.„Annähernd gleiche Ansprüche“Wird ein direkter Arbeitsvertrag geschlossen, ist der Lohn grundsätzlich Verhandlungssache – mit einer Einschränkung: Das Bundesarbeitsgericht hat schon vor einiger Zeit die sogenannte Drittelgrenze festgelegt. Danach darf der Lohn ausländischer Kräfte nicht mehr als ein Drittel unter dem deutscher Kollegen liegen. Anderenfalls gilt die Entlohnung als sittenwidrig und kann vor dem Arbeitsgericht angefochten werden. Zudem muss der Spediteur bei der Entlohnung den Gleichbehandlungsgrundsatz beachten, das heißt, große Lohnabweichungen müssen sich sachlich begründen lassen.In der Praxis zeigt sich jedoch, dass das Klischee vom billigen Fahrer aus Osteuro-pa ohnehin nicht stimmt. Einige Speditionen in Ostdeutschland haben seit Anfang Mai schon Fahrer aus Polen eingestellt – meist zu denselben Konditionen wie deutsche Kollegen. „Die Ansprüche sind annähernd gleich“, sagt der Leiter einer Spedition in Sachsen-Anhalt. Da der lokale Markt für Fahrer leergefegt ist, war sein Betrieb gezwungen, sich im Osten umzusehen. Um Fahrer anzulocken, bietet er den Neuen sogar Sonderleistungen. „Wir stellen einen Transporter, mit dem die Mitarbeiter am Wochenende nach Hause fahren können“, so der Speditionsleiter.Dass im direkten Anstellungsverhältnis ausländische Fahrer kaum noch billiger sind als deutsche, bestätigen auch Branchenkenner. „Durch die Abwanderung von Fachkräften aus Polen liegen die Löhne polnischer LKW-Fahrer teilweise sogar schon jetzt über dem mitteldeutschen Niveau“, meint Toralf Weiße, Vorstandsvorsitzender des Netzwerks Logistik Leipzig-Halle. Viele Schlupflöcher wurden gestopftDoch es ist kein Geheimnis, dass Speditionen ihre Arbeitskosten vor allem senken können, wenn sie Fahrer aus den EU8 als Leiharbeiter an Bord holen. In diesem Fall scheint der bürokratische Aufwand zunächst geringer zu sein, weil der Verleiher im Ausland die Sozialversicherungsbeiträge zahlt. Experten bewerten diese Möglichkeit dennoch zurückhaltend. „Da würde ich Vorsicht walten lassen“, sagt zum Beispiel Andreas Stommel, Rechtsanwalt beim Deutschen Speditions- und Logistikverband (DSLV), Bonn. Der Rechtsexperte weist darauf hin, dass deutsche Firmen, die ausländische Leiharbeiter beschäftigen, zusätzliche Kontrollpflichten haben. Zum einen muss die Spedition nachprüfen, ob der Verleihbetrieb in seinem Heimatland auch tatsächlich Sozialversicherungsbeiträge bezahlt. Auskunft darüber erteilt ein sogenanntes A1-Formular, das von der jeweiligen ausländischen Behörde ausgestellt wird. „Der deutsche Arbeitgeber sollte sich das unbedingt zeigen lassen“, betont Rechtsanwalt Stommel. Zudem dürfe die Überlassung die voraussichtliche Dauer von 24 Monaten nicht überschreiten.Grundvoraussetzung dafür ist: Die Zeitarbeitsfirma muss eine deutsche Verleiherlaubnis besitzen. Ist dies nicht der Fall, können die Folgen für den deutschen Arbeitgeber drastisch sein. Denn dann liegt eine unzulässige Arbeitnehmerüberlassung vor und das bedeutet: Für die Zeit der Überlassung entsteht ein direktes Arbeitsverhältnis zwischen dem einheimischen Arbeitgeber und dem Leiharbeiter, er muss also deutsche Löhne zahlen sowie Sozialversicherungsbeiträge und Lohnsteuer abführen.Darüber hinaus gibt es seit Kurzem auch für ausländische Leiharbeiter gesetzliche Lohn-untergrenzen. Die Zeiten, in denen polnische Arbeitskräfte zum Beispiel für drei oder vier Euro schafften, sind vorbei. Seit Anfang Mai gilt für Zeitarbeit der tariflich festgesetzte Mindestlohn von 7,79 Euro für Westdeutschland und von 6,89 Euro für Ostdeutschland. Hinzu kommt, dass Betriebe nicht nach dem „Prinzip Drehtür“ verfahren dürfen: Es ist nicht zulässig, Angestellte zu entlassen und sie gleich wieder als Leiharbeiter einzustellen. Vorgeschrieben ist, dass mindestens sechs Monate Pause dazwischen liegen. Auch andere Schlupflöcher wurden gestopft: So können deutsche Speditionen nicht einfach eine Briefkastenfirma in Polen eröffnen, die als Zeitarbeitsfirma quasi ans eigene Haus billige Arbeitskräfte verleiht. „Eine ausländische Tochter muss eine eigene wirtschaftliche Tätigkeit ausüben“, betont Rechtsanwalt Stommel.Bevor die Arbeitnehmerfreizügigkeit in Kraft trat, befürchteten viele Experten, dass eine wahre Flut von Arbeitnehmern aus den EU-Beitrittsländern nach Deutschland schwappen könnte. In der Praxis bestätigt sich das bislang nicht. Vor allem die fehlenden Sprachkenntnisse der Fahrer aus Osteuropa scheinen ein Hemmnis zu sein. „Der Fahrer ist die Visitenkarte beim Kunden. Es macht einfach keinen guten Eindruck, wenn er kein Deutsch spricht“, meint Anwalt Stommel. ❚■ Constantin Gillies, freier JournalistDie LKW-Fahrer-Jobs in Deutschland wären da – der Zustrom aus dem Osten bleibt aber bisher ausChecklisteFolgende zwei Fallbeispiele zeigen, was Transport- und Speditionsbetriebe bei der Beschäftigung von osteuropäischen Fachkräften beachten sollten: Fall 1: Der Arbeitsvertrag wird direkt mit dem Fahrer geschlossenDer Fuhrparkverantwortliche muss sicherstellen, dass der Mitarbeiter im Besitz einer gültigen Fahrerlaubnis ist (regel-mäßig überprüfen!)Lohngestaltung: Halten Sie die Drittelgrenze des Bundesarbeitsgerichts ein. Der Lohn des ausländischen Fahrers darf nicht mehr als ein Drittel unter dem deutscher Kollegen liegenFall 2: Der osteuropäische Fahrer wird über eine Leiharbeitsfirma angestelltPrüfen Sie, ob die Zeitarbeitsfirma im Heimatland ordnungsgemäß Sozialversicherungsbeiträge zahlt (A1-Bescheinigung)Lassen Sie sich eine deutsche Verleiherlaubnis vorlegenLohngestaltung: Beachten Sie die gesetzlichen Lohnuntergrenzen (7,79 Euro/Westen und 6,89 Euro/Osten) cgOsteuropäischeFahrer richtigeinstellenArbeitnehmerfreizügigkeitDie Arbeitnehmerfreizügigkeit nutzenWelche Rechte und Pflichten Arbeitgeber durch die neuen Regelungen seit Mai haben, sagt der Bremer Fachanwalt Dieter Janßen.Unterscheidet sich mit der neuen Arbeitnehmerfreizügigkeit noch die Einstellung eines osteuropäischen Mitarbeiters von der eines deutschen?Dieter Janßen: In einigen Fällen besteht weiterhin ein Unterschied. Und dieser ist: Kraftfahrer, die bulgarische oder rumänische Staatsangehörige sind, benötigen während einer Übergangsfrist die Arbeitserlaubnis-EU; die vollständige Arbeitnehmerfreizügigkeit ist für sie also eingeschränkt.Entstehen für den Arbeitgeber zusätzliche Pflichten?Zusätzliche Pflichten entstehen grundsätzlich nicht – mit Ausnahme der Prüfung, ob die Arbeitserlaubnis-EU erforderlich und vorhanden ist. Allerdings dürfte es bei ausländischen Arbeitnehmern schwieriger sein, mit der notwendigen Sicherheit festzustellen, ob eine gültige Fahrerlaubnis vorliegt oder nicht. Dies muss jedoch von dem Fuhrparkverantwortlichen – nicht nur zu Anfang, sondern regelmäßig wiederkehrend – überprüft werden.Worauf sollten Transportunternehmer achten, wenn sie mit einer ausländischen Zeitarbeitsfirma zusammenarbeiten?Die Beschäftigung von Leiharbeitnehmern, die bei ausländischen Verleihern beschäftigt sind, ist grundsätzlich zulässig. Der Transportunternehmer muss jedoch auch in diesen Fällen vor allem darauf achten, dass der Verleiher die erforderliche deutsche Überlassungserlaubnis besitzt und entweder den Equal-Pay-Grundsatz beachtet oder aber einen einschlägigen Tarifvertrag anwendet. Ist es für Fuhrunternehmer rechtlich möglich, eine Tochterfirma in den Ost-EU-Staaten zu gründen und deren Mitarbeiter in Deutschland einzusetzen?Die Gründung einer (Tochter-)Gesellschaft in Osteuropa ist selbstverständlich unter Beachtung der dortigen Bestimmungen möglich. Dort eingestellte Mitarbeiter dürfen ebenso und unter denselben Voraussetzungen wie Arbeitnehmer anderer osteuropäischer Firmen in Deutschland tätig werden. cgInterviewDieterJanßen

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