Arbeitnehmerfreizügigkeit

ArbeitnehmerfreizügigkeitDie große FreiheitAb dem 1. Mai 2011 gilt für Staatsbürger aus den EU-Beitrittsländern des Jahres 2004 in Deutschland die volle Arbeitnehmerfreizügigkeit. Was sich dadurch für Transport- und Speditions-betriebe ändert.Axel Heitmann, Geschäftsführer der Nord Süd Spedition in Rheda-Wiedenbrück, ist sich sicher: Wenn ab 1. Mai 2011 Staatsbürger aus den EU-Beitrittsländern des Jahres 2004 in Deutschland uneingeschränkt arbeiten dürfen, wird er diese Möglichkeit für seine Firma nutzen. „Nicht aus Kosten-, sondern aus Qualitätsgründen“, sagt er. „Gleiche Rechte und gleiche Pflichten“Heitmann wörtlich: „Wir suchen ständig qualitativ gute Fahrer, da kommen uns die neuen Regelungen entgegen.“ Zumal seine Spedition schon Erfahrungen mit tschechischen Fahrern gesammelt hat, da Nord Süd in Tschechien mit eigenen Standorten präsent ist. Als Ausweg aus der aktuellen Fahrerklemme sieht der Geschäftsführer die neuen Möglichkeiten aber nicht. Aus zweierlei Gründen. Zum einen sei die Arbeitnehmerfreizügigkeit zum Beispiel in England und Dänemark schon früher möglich gewesen. Deshalb glaubt er nicht daran, dass ab 1. Mai 2011 wirklich viele potenzielle Bewerber nach Deutschland drängen. Zum andern, sagt Heitmann, ließen sich nicht alle innerdeutschen Touren mit Fahrern aus den besagten EU-Beitrittsländern besetzen – schon allein aus sprachlichen Gründen.Hintergrund ist: Ab 1. Mai 2011 dürfen Arbeitnehmer aus den EU-Beitrittsländern Estland, Lettland, Litauen, Polen, Slowakei, Slowenien, Tschechien und Ungarn uneingeschränkt in Deutschland arbeiten – Stichwort Arbeitnehmerfreizügigkeit (siehe Kasten links). Sprich: „Bürger aus diesen Ländern werden ab 1. Mai deutschen Arbeitnehmern gleichgestellt“, erklärt die Leipziger Arbeitsrechtsexpertin und Rechtsanwältin Christiane Rieger. „Ein deutscher Arbeitgeber hat dann ihnen gegenüber die gleichen Rechte und Pflichten wie einem deutschen Mitarbeiter gegenüber“, sagt Rieger. Alle Arbeitsbedingungen, die in Deutschland gesetzlich geregelt sind, sind also einzuhalten, führt die Anwältin aus, also Arbeitszeit (Arbeitszeitgesetz), Mindesturlaub (Bundesurlaubsgesetz) und Kündigungsfristen (BGB, Kündigungsschutzgesetz).Nur in einem Punkt lässt der Gesetzgeber Transport- und Speditionsbetrieben einen gewissen Spielraum – das ist beim Thema Entgelte. So sind Verkehrsdienstleister zwar verpflichtet, ihren Beschäftigten (auch potenziellen Bewerbern aus den besagten EU-Beitrittsländern) tarifliche Entgelte und den tariflichen Urlaub zu gewähren, sofern der betreffende Arbeitnehmer und sein Arbeitgeber beim jeweiligen Sozialpartner organisiert sind, sagt Martin Bulheller, Sprecher des Bundesverbands Güterkraftverkehr, Logistik und Entsorgung (BGL). Allerdings sei der Tariflohn nur dann als Untergrenze bindend, betont er, wenn Arbeitgeber und Arbeitnehmer beim jeweiligen Sozialpartner organisiert seien. Mit anderen Worten: Das Entgelt ist Verhandlungssache. „Die Lohnhöhe darf aber nicht sittenwidrig sein“, darauf weist Bulheller hin. Und „sittenwidrig ist ein Lohn dann, wenn die Arbeitsvergütung nicht einmal zwei Drittel eines in der betreffenden Branche und Wirtschaftsregion üblicherweise gezahlten Tariflohns erreicht“. So entschied das Bundesarbeitsgerichts in einem Urteil vom 22. April 2009 – 5 AZR 436/08.Die wichtigsten Hürden fallenFür Klaus-Peter Niehof, Leiter der SVG-Unternehmensberatung in Frankfurt/Main, sind die neuen Regelungen zum 1. Mai 2011 trotzdem „eine echte Erleichterung für deutsche Unternehmen, die Arbeitskräfte aus den genannten EU-Beitrittsländern rekrutieren wollen“. Dies sei zwar auch bisher möglich gewesen, sagt er. Allerdings sei der administrative Aufwand sehr hoch gewesen, weil die örtlich zuständige Arbeitsagentur beispielsweise erst eine Arbeitsgenehmigung-EU dafür ausstellen musste, für die wiederum sehr hohe Bedingungen erfüllt werden mussten (siehe Kasten unten). „Jung und relativ hoch qualifiziert“Kurz und gut: Alle diese Hürden werden im Mai jetzt fallen – „und diese Chance kann jeder Transport- und Speditionsunternehmer nutzen“, appelliert Niehof. Allein das fremdsprachliche Know-how der internationalen Arbeitskräfte, aber auch deren Vor-Ort-Kompetenz könne vielen Betrieben helfen – gerade international tätigen Transporteuren; innerdeutsch könne dieser Vorteil aber auch zu Problemen führen. Um an diese Mitarbeiter zu gelangen, helfe es allerdings nichts, in deutschen Medien Stellenanzeigen zu schalten. Besser sei es, mit den IHKs vor Ort Kontakt aufzunehmen, rät Niehof. Diese würden in den besagten EU-Beitrittsländern über wertvolle Kontakte verfügen, die jeder Unternehmer zur Rekrutierung von Fachpersonal nutzen sollte. Außerdem gebe es in den zehn Beitrittsländern Firmen und Agenturen, die sich mit der Arbeitsvermittlung befassen. Ob die neue Freiheit aber den Fachkräftemangel in der Transport- und Logistikbranche beheben hilft, bezweifelt Timo Baas, wissenschaftlicher Mitarbeiter beim Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (IAB). Er hat sich im Rahmen seiner Studien mit dem Thema Migration beschäftigt. Gerade einmal 100.000, maximal aber 140.000 potenzielle Arbeitskräfte dürften im Zuge der Arbeitnehmerfreizügigkeit in diesem Jahr aus den genannten EU-Beitrittsländern nach Deutschland kommen. Und bis 2020 dürften es maximal eine Million Menschen sein, die dem deutschen Arbeitsmarkt zur Verfügung stehen, schätzt er. Ihr Vorteil aber ist – auch das hat Baas ermittelt: Diese Arbeitskräfte werden vorwiegend unter 35 Jahre alt sein, relativ hoch qualifiziert und vorwiegend aus dem Baltikum oder Polen kommen. ❙❚■ Eva HassaAb 1. Mai 2011 wird es für Arbeitskräfte aus den EU-Beitrittsländern noch einfacher, in Deutschland tätig zu werdenAb dem 1. Mai 2011 gilt für Arbeitnehmer aus den EU-Beitrittländern Estland, Lettland, Litauen, Polen, Slowakei, Slowenien Tschechien und Ungarn die volle Arbeitnehmerfreizügigkeit. Diese Arbeitnehmerfreizügigkeit erlaubt es EU-Bürgern – unabhängig von ihrem Wohnort –, in jedem Mitgliedstaat unter den gleichen Bedingungen eine Beschäftigung aufnehmen und ausüben zu dürfen wie die Angehörigen dieses Staates. Wichtig: Für Bürger Rumäniens und Bulgariens gilt diese Möglichkeit bislang nicht. Die Terminfest-legung ist eine politische Entscheidung. ehArbeitnehmerfreizügigkeitTippArbeitnehmerfreizügigkeit: Wichtige Fragen und AntwortenWas sich durch die Arbeitnehmerfreizügigkeit zum 1. Mai 2011 für Firmen ändert, sagen Rechtsexperte Steffen Pollmer und Verkehrsexpertin Sabine Lehmann, beide IHK München und Oberbayern:Welche Regelungen gelten heute, wenn ein Transportbetrieb Staatsbürger aus den EU-Beitrittsländern 2004 hierzulande beschäftigt? Staatsbürger aus diesen Ländern genießen zwar seit Mai 2004 freies Aufenthaltsrecht in Deutschland, sie besitzen aber bis zum Auslaufen der Übergangsregelungen zum 1. Mai 2011 noch nicht die volle Arbeitnehmerfreizügigkeit (außer die Bürger von Malta und Zypern). Wollte eine Firma Arbeitnehmer aus diesen Beitrittsstaaten beschäftigen, musste die örtlich zuständige Agentur für Arbeit in der Regel die Erwerbstätigkeit gestatten und dem Arbeitnehmer eine Arbeitserlaubnis-EU ausstellen. Dazu musste die Agentur unter anderem prüfen, dass sich keine nachteiligen Auswirkungen auf den regionalen Arbeitsmarkt ergeben und keine deutschen oder diesen gleichgestellte Arbeitnehmer für die Tätigkeit zur Verfügung stehen. Die Arbeitsagentur musste auch sicherstellen, dass die ausländischen Arbeitskräfte nicht zu ungünstigeren Konditionen angestellt werden als vergleichbare deutsche Arbeitnehmer.Was ändert sich zum 1. Mai 2011?Ab dem 1. Mai 2011 entfallen alle bisherigen Einschränkungen der Arbeitnehmerfreizügigkeit für Bürger der im Mai 2004 beigetretenen EU-Staaten. Sie haben freien Zugang zum Arbeitsmarkt in Deutschland und werden den Inländern und anderen EU-Bürgern gleichgestellt. Die melderechtlichen und anderweitigen Regelungen aus dem deutschen Rechtsrahmen (Wohnsitzmeldung beim Einwohnermeldeamt etc.) bleiben bestehen.Was müssen Verkehrsdienstleister tun, wenn sie ab 1. Mai 2011 Staatsbürger aus den EU-Beitrittsländern 2004 in Deutschland, etwa Fahrer und Lagerarbeiter, einstellen wollen?Es gelten ab dem 1. Mai 2011 die identischen Vorschriften wie für deutsche oder diesen rechtlich gleichgestellte Mitarbeiter mit allen Rechten und Pflichten, die sich aus dem Arbeitsverhältnis ergeben. So muss der Arbeitnehmer bei den Sozialversicherungen angemeldet werden und Lohnsteuer abgeführt werden. Bei tarifgebundenen Firmen muss nach Tarifvertrag entlohnt werden. Für LKW-Fahrer gilt: Die Fahrerlaubnis der Klasse C wird in Deutschland für maximal fünf Jahre erteilt. Für einen im Ausland erteilten Führerschein der Klasse C besteht die Fahrberechtigung – unabhängig von den tatsächlichen Befristungsdaten im vorliegenden Führerschein – ebenfalls nur für fünf Jahre ab dem Erteilungsdatum. Sollte die Fünf-Jahresfrist bereits bei Wohnanmeldung in Deutschland abgelaufen sein, besteht die Fahrberechtigung noch maximal sechs Monate. Innerhalb dieser Sechs-Monatsfrist muss ein deutscher Führerschein bei gleichzeitiger Verlängerung der Fahrerlaubnis für die Klasse C beantragt werden. Bezüglich anderer Qualifikationen gilt: Eine ADR-Bescheinigung aus einem anderen ADR-Vertragsstaat (alle EU-Staaten gehören dazu) wird anerkannt und muss nicht umgeschrieben werden. Spezielle betriebliche Einweisungen, etwa für Gabelstapler-Fahrer, müssen – wie für alle Arbeitnehmer – nach den Vorschriften zur Unfallverhütung durchgeführt werden. eh

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