Münster. Das Oberverwaltungsgericht Münster hatte im Streit um drohende Fahrverbote in einigen Städten in Nordrhein-Westfalen an zwei Tagen Experten geladen, um die anstehenden ersten Entscheidungen für Bonn, Aachen und Köln vorzubereiten. Dabei ging es am Donnerstag zum Auftakt sachlich zu. Die geladenen Fachleute schilderten detailliert, nach welchen Regeln Messstellen aufgestellt werden oder wie andere europäische Großstädte mit dem durch Dieselfahrzeuge mitverursachten Problem Stickstoffdioxid (NO2) umgehen.
Am zweiten Tag schlugen die Emotionen höher: Es ging um Richt -und Grenzwerte und auf welcher Grundlage sie vor Jahrzehnten von der Weltgesundheitsorganisation (WHO) festgelegt und dann von der Europäischen Union für die heutigen Regeln übernommen wurden. Nicht nur der als Kritiker der geltenden Grenzwerte bekannte Lungenarzt Dieter Köhler aus Schmallenberg, sondern auch der Wissenschaftler Alexander S. Kekulé von der Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg äußerte Zweifel. Nach Überzeugung des Arztes und Biochemikers Kekulé sei dieser Wert zwar nicht willkürlich festgelegt worden. Aber: „Man hätte aus der damaligen Sicht ebenso 60, 70 oder 80 nehmen können.“
Der Vorsitzende Richter machte von Anfang deutlich, was er vom Nichthandeln der Politik in den zurückliegenden Jahren hält. „Die Probleme hätten verhindert werden können, wenn, wie in anderen Ländern, Emissionsprobleme frühzeitig in Angriff genommen worden wären“, sagte Max-Jürgen Seibert gleich zum Auftakt am Donnerstag, 9. Mai.
Frage, wie Fahrverbote kontrolliert werden können
Im Laufe der zweitägigen Anhörung wollte Seibert von einem Vertreter des Bundesverkehrsministers wissen, welche Überlegungen denn in Berlin gemacht würden, um mögliche Fahrverbote überhaupt kontrollieren zu können. Als der Beamte nur mit den Schultern zuckte und sagte, er sei dazu nicht auskunftsberechtigt, ließ ihn der Richter seinen Unmut spüren: „Sie sind nicht besonders hilfreich.“
Anfang August und im September stehen Entscheidungen des OVG zu Aachen, Bonn und Köln an. Für einige Städte in NRW wie Köln, Bonn, Essen und Gelsenkirchen hatten Verwaltungsgerichte bereits Fahrverbote angeordnet, allerdings ging das Land in Berufung. Weitere von Klagen betroffene Städte sind Bielefeld, Bochum, Dortmund, Düren, Düsseldorf, Hagen, Oberhausen, Paderborn und Wuppertal. Termine für diese Städte stehen noch nicht fest. Kläger gegen das Land NRW ist die Deutsche Umwelthilfe (DUH).
Verhältnismäßigkeit der notwendigen Mittel einschätzen
Zu welcher juristischen Bewertung die Richter in Münster neigen, war in den zwei Tagen nicht zu erkennen. Grenzwerte seien geltendes Recht – und daran werde das Gericht nicht rütteln, betonte Seibert mehrfach. Bei seinen Fragen an die Experten wurde deutlich, dass das Gericht die Verhältnismäßigkeit der notwendigen Mittel genauer einschätzen will. Konkret geht es dem Gericht um die Frage, wie dringend jetzt schnell im Sinne des Gesundheitsschutzes gehandelt werden muss. Seibert bemühte das Bild einer einsturzgefährdeten Mauer. „Müssen wir die jetzt sofort abreißen, weil Menschen gefährdet sind? Oder haben wir noch Zeit?“ Seibert weiter: „Ich frage das auch vor dem Hintergrund, dass in den vergangenen 15 Jahren ja auch nix passiert ist.“
Marion Wichmann-Fiebig, Abteilungsleiterin beim Bundesumweltamt, antwortete darauf zerknirscht: «Mich desillusioniert das ziemlich. Wir, also die Bundesrepublik, haben nichts unternommen, obwohl das Problem bekannt war.» (dpa)