München. Bis vor Kurzen noch konnten Nutzer eines Erdgas-Lkw aus dem Vollen schöpfen. Neben der bis 2023 geltenden Mautbefreiung gab es zusätzlich 12.000 Euro Fördergelder aus dem Förderprogramm „Energieeffiziente und/oder CO2-arme schwere Nutzfahrzeuge (EEN)“. Doch wie das BAG meldete ist der Topf inzwischen ausgeschöpft – ob es eine Neuauflage gibt, ist ungewiss. Die VerkehrsRundschau ging deshalb in einem Test mit Scania der Frage nach, ob sich die in Einkauf und Unterhalt teureren Erdgas-Lkw auch ohne 12.000 Euro Fördergeld rechnen.
Diesel-Variante auf dem Papier im Vorteil
Für die Unternehmer stellt sich die Frage, ob die Mautbefreiung in Deutschland sowie der im Vergleich zu Diesel niedrigere Kraftstoffpreis alleine ausreichen, um die höheren Kaufpreise – je nach Hersteller rund 30.000 bis 50.000 Euro – sowie die höheren Wartungskosten (ca. 150% im Vergleich zum Diesel) zu kompensieren. „Owner-Driver“ oder Fahrer eines LNG-Lkw sind dagegen daran interessiert, wie sich LNG-Fahrzeuge fahren und wie es um das Tankstellennetz bestellt ist. Um all diese Fragen zu klären hat die VerkehrsRundschau zusammen mit Scania einen Langstrecken-Test absolviert. Um Chancengleichheit zu gewährleisten treten zwei Fahrzeuge gleicher Leistung sowie mit identischer Kabinenvariante an: zwei Scania R 410 Highline, einmal mit LNG-Antrieb, einmal mit Dieselmotor. Ein erster Vergleich der Papierform ergibt für den Diesel einen leichten Vorteil. Seine Drehmomentkurve verläuft fülliger und erreicht von 1000 bis 1300 Touren bei 2150 Newtonmetern ihren Höhepunkt.
VerkehrsRundschau geht ans Limit
Der Erdgasmotor erreicht im Maximum 150 Newtonmeter weniger, die sich erst 100 Umdrehungen (ab 1100/min) später, dafür aber auch 100 Umdrehungen länger voll entfalten. Basis für beide Motoren ist der 12,7 Liter messende DC13-Sechszylinder, der im Falle des LNG-Antriebs (OC13) mittels veränderten Zylinderkopf mit Zündkerzen auf das Fremdzündungsprinzip umgerüstet wurde. Auch wenn sich 150 Nm und 100 Umdrehungen zunächst nach nicht viel anhören, sind sie auf der Straße spürbar: Einerseits lässt das automatisierte Opticruise-Getriebe die Gänge beim R 410 LNG beim Beschleunigen höher ausdrehen - nicht selten über die 2000er-Marke hinaus. Vor allem aber ist der Unterschied zwischen Gas und Diesel auf der topografisch anspruchsvollen und insgesamt über 847 Kilometer langen Teststrecke durch Baden-Württemberg, Thüringen und Bayern in der Gesamtperformance zu spüren. Denn die VerkehrsRundschau ging bei ihrem Test ans Limit und mutete beiden Testfahrzeugen volle Ausladung zu.
Eine Herausforderung: 40 Tonnen und anspruchsvolle Strecke
Im LNG-Scania führen 40 Tonnen Gesamtgewicht schon an eher harmlosen Steigungen zu einem gegenüber dem Diesel merkbaren Geschwindigkeitsabfall. Sobald es steigungsmäßig richtig zur Sache geht, wird der Unterschied noch deutlicher. Der vorausfahrende Selbstzünder-Scania gerät immer mehr außer Sichtweite. Obwohl man mit 410 Diesel-PS und voller Ausladung nicht mehr unbedingt der König auf deutschen Autobahnen ist, wirkt der Selbstzünder im direkten Vergleich souveräner, beißt sich verbindlicher an Steigungen fest und schaltet je nach Steigungswiderstand erst bei 1000/min zurück. Auch die Gangwechsel passieren im Diesel etwas harmonischer und gefühlt ein wenig schneller. Der Grund liegt wohl im trägeren Drehzahlverhalten des Erdgasmotors, der minimal länger braucht, um auf Schaltdrehzahl abzufallen.
Der Diesel schaltet nicht nur schneller, sondern auch weniger. Den Kindinger Berg auf der A 9 – eine der Bergwertungen auf der VR-Testrunde - überwindet der Selbstzünder in der zehnten Fahrstufe und im Minimum mit Tempo 65. Der LNG muss in den neunten Gang zurückschalten und fällt auf 51 km/h zurück. Damit verliert er auf diesem 4,5 Kilometer kurzen Teilstück 33 Sekunden auf den Diesel-Scania. Dem LNG-Fahrer bleibt da nur, sich über das in allen Lebenslagen niedrigere Geräuschniveau zu freuen. Bekanntermaßen geht es zwar auch im Diesel-Scania überdurchschnittlich ruhig zu, der LNG kann’s aber eben noch mal um zwei dB(A) leiser und verwöhnt darüber hinaus mit einem angenehmeren, weil weicheren Verbrennungsgeräusch.
Unter dem Strich kaum langsamer
Letztlich kann man den Gas-Fahrer aber beruhigend: Auch wenn man sich subjektiv langsamer vorkommen mag, unterm Strich ist man es kaum. Auf den 847 Test-Kilometern nimmt der Diesel dem LNG gerade mal gut zehn Minuten ab. Und wenn man mit der in Deutschland eher üblichen Ausladung von rund 32 Tonnen auf Tour ist, relativiert sich der Performance-Unterschied weiter – zumal man eher selten mit einem Kollegen im gleich stark motorisierten Diesel-Lkw „konkurrieren“ muss.
Die Testdistanz schaffte der LNG übrigens mit einer Füllung aus seinen 758 Liter großen LNG-Tanks (Verbrauch: 24,6 kg LNG auf 100km bei 81,5 km/h). Am Ende der Runde zeigt die Tankuhr gerade noch acht Prozent Füllstand. Das sorgt für eine gewisse Nervosität bei der Fahrbesatzung. Denn wie beim Diesel (Verbrauch 29,5 l Diesel/100 km bei 82,9 km/h) mal eben ein paar Kilogramm LNG nachzutanken, vereitelt das hierzulande weiterhin eher lückenhafte Tankstellennetz. Immerhin sollen bis Ende des Jahres rund 40 Zapfmöglichkeiten an den Magistralen ein etwas dichteres Versorgungsnetz gewährleisten.
Der Blick auf die Gesamtkosten der Testrunde lässt das Thema Tankstellennetz in den Hintergrund rücken. Hier schlägt die Stunde des LNG! Durch die geringeren Energiekosten und seine Mautbefreiung bis Ende 2023 fährt der Nutzer mit Flüssigerdgas erheblich billiger (s. Kostenrechnung unten). Daran ändert selbst die aktuell weggefallene Förderung nichts. Zu den niedrigeren TCO (Total Cost of Ownership) addiert sich das gute Umweltgewissen: Der Erdgas-Lkw verzeichnet unter anderem beim Thema CO2-Emissionen einen Vorteil.
Lohnt sich der LNG-Scania?
Zugrunde gelegt hat die VerkehrsRundschau bei diesem Vergleich allerdings nur die tatsächlich auf der Teststrecke entstandenen Kosten. Potenzielle Nutzer müssen die höheren Wartungskosten des LNG-Scania in die Gesamtkostenrechnung aufnehmen. Die entstehen, weil unter anderem regelmäßige Wechsel der Zündkerzen anstehen und der LNG-Lkw mit 45.000 Kilometern Wartungsintervall häufiger in die Werkstatt muss als der Diesel – mit rund 150.000 Kilometer Wartungsintervall.
Die Frage ob sich der Flüssigerdgas-Antrieb lohnt, lässt sich mit der „Radio-Eriwan-Floskel“ beantworten: Im Prinzip ja. Liegen die Hauptrelationen an Strecken, die eine sichere Versorgung mit Flüssigerdgas gewährleisten und ist der Lkw nicht ständig mit voller Auslastung unterwegs, fährt man mit LNG in jedem Fall deutlich günstiger und nicht viel langsamer. Voraussetzung ist allerdings der in Relation zum Verbrauch niedrigere Kraftstoffpreis sowie – vor allem – die Mautbefreiung.
Aufgepasst: VR-Redaktion gibt Tipps
Unser Tipp: Wer sich für LNG interessiert, sollte bis zum 31.12.2020 zuschlagen. Dann kann man die volle Mautbefreiung noch mitnehmen. Ideal erscheint uns ein Dreijahres-Leasing, denn was nach dem 1. Januar 2024 ist, weiß niemand. So muss man sich nach 36 Monaten zumindest um die Vermarktung des LNG-Trucks keine Sorgen machen. Allerdings werden die Lieferzeiten für die LNG-Fahrzeuge immer länger, denn der betriebswirtschaftliche Vorteil hat sich herumgesprochen.
Spannender Zusatz-Content in der Mediathek und auf VR plus
Damit Interessierten die Entscheidung leichter fällt, hat die VerkehrsRundschau eine Tabelle im pdf-Format erstellt, die einen Überblick über Kosten und Verbräuche der beiden Scania-Modelle gibt. Die Datei finden Sie unten im Anhang der Meldung. Detail-Aufnahmen der beiden Lkw und Eindrücke vom Testtag bekommen Leser außerdem in unserer Online-Bildergalerie (s. ebenfalls unten). Und wer noch mehr interessante und hilfreiche Informationen zum Thema LNG haben möchte, sollte gleich in die neue gleichnamige Playlist auf unserem Profiportal VR plus schauen!
>> Hier gehts zur Playlist LNG.
(bj/gg/sn)
Bilder vom Vergleichstest: LNG vs. Diesel mit dem Scania R
Bildergalerie- VR-Vergleichstabelle: Verbräuche und Kosten (48.1 KB, PDF)
Horst Köhler