Wir wollen die Spediteure stärker einbinden

Die Rohstahlerzeugung in Deutschland ist im ersten Quartal 2014 um 4,3 Prozent im Vergleich zum Vorjahreszeitraum gestiegen. Fragt jetzt auch Thyssen-Krupp Steel Europe (TKSE) mehr Frachtraum nach? Nach wie vor ist die Nachfragesituation auf dem europäischen Stahlmarkt schwierig. Derzeit verzeichnen wir kein starkes Mengenwachstum. Eine deutliche Belebung ist nicht absehbar. Als schwierig empfinden viele Spediteure auch die langen Wartezeiten an den Ladestellen. Immer wieder ist zu hören, TKSE mache nicht genug, um die Lage zu verbessern. Ist der Vorwurf berechtigt? Ich kann die Sichtweise der Spediteure nachvollziehen, weil das Thema Rampe ein Dauerbrenner ist. Daher kümmern wir uns intensiv um dieses Thema. Was macht TKSE konkret? Wir versuchen seit mehreren Jahren durch Verbesserung der Prozesse, sprich, durch Einführung von Zeitfenstersystemen, diese Schnittstelle zu optimieren. Mittlerweile sind zwei Drittel unserer Ladestellen mit dem Zeitfenstermanagement von Transporeon versehen. Wir haben einige Verbesserungen erreicht. Aber wir befinden uns immer noch auf einem Niveau, von dem wir selbst sagen, dass es da noch Verbesserungspotenzial gibt. Was macht es so schwer, solche Ladefenster einzurichten? Wir müssen zunächst mal die Prozesse an einer Ladestelle analysieren. Die ist komplexer, als es nach außen hin erscheinen mag. So müssen auch innerbetriebliche Transporte oder die Bahn an der gleichen Ladestelle abgewickelt werden. Da stellt sich die Frage nach den Prioritäten und genau dafür muss man Lösungen entwickeln. In welchem Ausmaß sind Verbesserungen durch Ihre Maßnahmen eingetreten? An einigen Ladestellen, zum Beispiel im Siegerland, haben sich die Durchlaufzeiten von 2 bis 2,5 Stunden auf 1,5 Stunden verringert. Insgesamt über alle Ladestellen sind die Umlaufzeiten zwischen 10 und 20 Prozent gesunken. Werden die noch fehlenden Ladestellen in das Ladestellenmanagement integriert? Ja, denn auch für uns ergibt sich ja der Vorteil, dass die Ladestelle eine größere Transparenz über ihre Prozesse besitzt und gleichmäßiger ausgelastet werden kann. Gibt es denn tatsächlich keinen Anlass für die Dienstleister, zu meckern? Das Bild ist zweigeteilt bei den Spediteuren: Für die, die im Fernverkehr arbeiten und einmal an der Ladestelle auftauchen, ist es sicherlich ein Vorteil. Sie können ihre Tagesplanung daraufhin ausrichten. Mühsamer ist es eher bei den Dienstleistern, die im Nahverkehr bis 150 Kilometer unterwegs sind und über Rundläufe ihre Transporte abwickeln. Dieser Anteil ist bei TKSE mit bis zu 60 Prozent in der Ladestellenbelegung relativ hoch. Das erste Zeitfenster um 6.00 Uhr zu erreichen, ist relativ einfach. Aber später dann wieder pünktlich an der Ladestelle zu sein, das ist bei dem Verkehr im Ruhrgebiet und mit all den Außeneinflüssen schwierig. Wenn dann die Spediteure sagen, dass sie einen erheblichen Aufwand intern haben, um die Zeitfenster aufeinander abzustimmen und zu erreichen, dies ja auch noch mit den Empfängern abstimmen müssen, die womöglich auch mit Zeitfenstern arbeiten, kann ich das schon nachvollziehen. Wie lässt sich das Problem lösen? Wir versuchen, die Zeitfenstersysteme flexibler zu gestalten und mit Zeitkorridoren zu arbeiten. Was heißt denn "Korridor"? Wir weiten das Zeitfenster aus. Es läuft dann beispielsweise von sechs bis acht Uhr und dieser Zeitraum ist dann für mehrere Fahrzeuge reserviert. Im Endstadium wollen wir den auf die Hütte zufahrenden Fahrer möglichst flexibel aus unserem Auftragspool mit dem dann nächsten freien und geeigneten Transport versorgen. Erst wenn wir diesen Zustand erreicht haben, werden die Spediteure entsprechend zufrieden mit uns sein. Wann wird es soweit sein? Ich hoffe, dass wir in zwei Jahren deutlich weiter sind. Wenn ein LKW aufgrund von Staus das Zeitfenster verpasst, hat er halt Pech gehabt? Wir wissen um diese Problematik. Deshalb haben wir auch gerade erst beschlossen, verstärkt mit Zeitfensterkorridoren zu arbeiten, um genau dies zu vermeiden. Denn die Diskussion führen wir mit unseren Spediteuren immer wieder neu. Muss der Spediteur etwas für die Buchung des Zeitfensters zahlen? In der Vergangenheit haben wir die kompletten Kosten übernommen. Jetzt sind wir dabei, einen Modus zu finden, wie wir die Spediteure beteiligen können. Eine Variante könnte sein, dass wir im Nahverkehr weiterhin die Kosten tragen, aber im Fernverkehr der Spediteur sich daran beteiligen muss. In welcher Höhe wird sich der Spediteur beteiligen müssen? Wir sind da noch in der Diskussion. Aber ich gehe davon aus, dass wir uns die Kosten - Transporeon als Betreiber des Systems verlangt 1,60 Euro pro Buchung - in etwa teilen werden. Die Summe hört sich gar nicht so viel an. Da kommt aber etwas zusammen, gerade im Nahverkehr, wo Spediteure in der Spitze über 1000 Transporte im Monat durchführen. Wie werden bei TKSE Transportaufträge vergeben? Zentrales Tool ist unser Freight Market Place (FMP). Der besteht zum einen aus unserer eigenen Frachtenbörse, die nach dem Prinzip reverse auction funktioniert: Wir stellen eine Fracht auf die Plattform und die Teilnehmer des FMP können entsprechende Angebote abgeben. Dieses Tool haben wir erweitert um ein Sofort-Kaufen-Modul. Wir sind auch in der Lage, geschlossene und offene Tender über FMP abzuwickeln. Einen großen Teil unserer Transporte geben wir jedoch über Festverträge mit unseren Stammdienstleistern heraus. Die werden mittlerweile auch über ein Tool im FMP abgewickelt. Da haben wir dann Ranglisten im System, aufgeteilt nach bestimmten Routen, nach denen wir dann die Transporte systemgeschützt an die Stammdienstleister vergeben. Unser Ziel ist es, möglichst alle Transporte über den FMP abzuwickeln. Heute ist es so, dass wir immer noch einen Teil der Aufträge im Nahverkehr an einige Stammspediteure telefonisch vergeben, weil die noch nicht permanent via FMP erreichbar sind. Das wollen wir aber nach und nach verbessern. Gibt es hier Defizite bei den Dienstleistern? Grundsätzlich gilt: Wir wollen unsere Partner an allen Schnittstellen stärker in unsere Prozesse einbinden. Dazu gehört auch der Einsatz neuer Technologien. Unsere Dienstleister müssen in der Lage sein, über ihre Telematik mit unserem System zu kommunizieren. Sie sollten uns zum Beispiel automatisch mitteilen können, wann die Ladung beim Kunden ankommt. Das klappt noch nicht? Nein, das liegt aber auch an uns, weil wir mit unserem FMP noch keine App anbieten können, über die sich solche Meldungen abwickeln lassen. Aber diese Entwicklung wird kommen. Was muss ein Spediteur tun, der im FMP mitmachen möchte? Er muss ein Anmeldeprocedere durchlaufen. Dabei wird unter anderem seine Leistungsfähigkeit abgefragt, seine Erfahrungen und sein Fahrzeugequipment, was er zur Verfügung stellen kann. Wenn das Unternehmen die Voraussetzungen erfüllt, machen wir Probeverladungen. Klappt hier alles, wird er für den FMP zugelassen. Nach welchen Kriterien vergeben Sie dann Aufträge? Im Zentrum steht die Qualitätskomponente. Wenn die in Ordnung ist, gehen wir nach Preis und Verfügbarkeit. Wie viele Teilnehmer hat der FMP? Wir haben aktuell zwischen 600 und 700 Spediteure, die regelmäßig mitmachen. Aber über die Hälfte unserer Transporte wickeln wir mit einem Stamm von 30, 40 Spediteuren ab. Sind das Mittelständler oder Konzernspeditionen? Weniger die Konzernspeditionen, sondern eher Mittelständler, die sich auf den Transport von Stahlprodukten spezialisiert haben, also über Fahrzeuge mit Coilmulden verfügen oder Stahlbleche befördern können. Sie stammen überwiegend aus der Region Duisburg, Bochum, Dortmund und Siegerland. Im Fernverkehr oder bei Exportverkehren ist die Basis breiter. Da sind auch Speditionen dabei, die sich auf Länder spezialisiert haben und dort über entsprechende Rückladungen verfügen. Wenn ein Unternehmen Ihnen einen Preis anbietet, wo Sie selbst sagen, das kann kaum mit rechten Dingen zugehen: Ignorieren Sie das oder greifen Sie zu? Das kann man nicht mit Ja oder Nein beantworten. Preis ist nicht gleich Preis. Es gibt Unternehmen, denen es aufgrund von Rückladungs- oder Dreiecksverkehren oder Beiladungen gelingt, ihre Kosten deutlich zu senken. Wir versuchen auch, über die Optimierung der eigenen Prozesse für eine bessere Auslastung bei allen Verkehrsträgern zu sorgen. Daher ist es schwierig, zu urteilen, ob jemand unter seinen Kosten anbietet. Bei dem einen oder anderen Preis taucht bei uns schon mal ein Fragezeichen auf. Aber in der Regel bewegen wir uns in einem Marktumfeld, was für uns schon nachvollziehbar ist. Wie sieht der Modal Split bei TKSE aus? Im Eingangsbereich haben wir einen Anteil des Schiffs von fast 80 Prozent. 20 Prozent liefert die Bahn, ein Prozent transportiert der LKW. In der Distributionslogistik kommt der LKW auf gut 35 Prozent, 20 Prozent entfallen auf das Schiff und den größten Anteil hat die Bahn mit über 40 Prozent. Bereitet Ihnen die Debatte über den Einzelwagenverkehr in Europa Sorgen? Die bereitet uns große Sorgen. Über die Hälfte der Mengen, die wir im Warenausgang transportieren, wickeln wir im Einzelwagenverkehr und mit Wagengruppen ab. Immer mehr Bahnen in Europa sehen sich nicht in der Lage, den komplexen Einzelwagenverkehr abzubilden. Wir hoffen, dass die Deutsche Bahn und andere rund um Deutschland diesem Druck standhalten. Und wenn nicht? Wandern dann diese Mengen auf die Straße ab? An dieses Szenario will ich lieber nicht denken. Aber es wird dann sicher zu einer Verlagerung auf die Straße kommen. Im Rahmen des Projektes Netzwerkbahn versuchen wir jedoch, unsere Planungsprozesse mit der Bahn besser abzustimmen, um Einzelwagenverkehre in Zukunft mit einer deutlich höheren Effizienz abzuwickeln. Will TKSE mehr Güter von der Straße auf die Schiene verlagern? Unbedingt. Die Bahn hat große Vorteile, kann Mengen bündeln. Das sind sehr gute Voraussetzungen, um zu konkurrenzfähigen Kosten Transporte abzuwickeln. Daher ist die Bahn für uns, für den Stahlbereich, der ideale Verkehrsträger. Das werden die LKW-Spediteure nicht so gerne hören. Die Bahn ist ein solcher Partner aber auch nur im Rahmen ihrer Möglichkeiten. Aufgrund ihres komplexen Systems mit teilweise aufwendigen Rangiervorgängen stößt sie im Nahverkehr an ihre Grenzen. Ganz abgesehen davon, dass längst nicht alle Kunden über einen Gleisanschluss verfügen. Der LKW ist der ideale Partner für die Verteilung, für die letzte Meile. Bei welchem Verkehrsträger macht Ihnen die Infrastruktur die größten Sorgen? Da sehen wir bei allen Verkehrsträgern einen Handlungsbedarf, und zwar einen erheblichen. Dazu reicht ein Blick hier vor der Haustür: Die Stadtautobahn in Duisburg, die A 59, ist jetzt für ein halbes Jahr gesperrt, für drei Monate jeweils in einer Richtung. Das wird für uns zu erheblichen Problemen führen. Da wird es dann eine große Herausforderung, die Zeitfenstervorgaben einzuhalten. Die Rheinbrücke der A 40 bei Duisburg-Neuenkamp ist von der gleichen Bauart wie die Leverkusener Rheinbrücke. Wir sind permanent unterfinanziert bei der Infrastruktur. Große Probleme bereitet uns auch die Abwicklung unserer Schwerlastverkehre über 40 Tonnen. So kommen wir derzeit aus dem Werk Hüttenheim wegen vorhandener Brückenrestriktionen mit LKW über 40 Tonnen gar nicht mehr heraus und sind gezwungen, die Bahn unter Inkaufnahme von Mehrkosten und gegebenenfalls mehrfachem Umladen in Anspruch zu nehmen. Und bei der Bahn? Auch bei Bahn und Binnenschifffahrt leiden wir unter permanenter Unterfinanzierung. Viele Brücken sind marode und renovierungsbedürftig. In der Binnenschifffahrt sind die Schleusen zum Teil uralt und es müssten Brücken angehoben werden, um Containerverkehre auch auf den Kanälen effizient abzuwickeln. Dann sieht es überall gleich schlecht aus? Aus TKSE-Sicht haben wir den größten Handlungsbedarf sicherlich beim LKW. Bei der Bahn ist es wichtig, dass die großen Magistralen wie etwa entlang des Rheins und die Verbindungen zu den Seehäfen ausgebaut werden, damit es hier nicht zu strukturellen Engpässen kommt. Ist die Erhöhung der Gewichtsgrenzen noch ein Ziel oder ist das Thema abgehakt? Wir könnten mit einer moderaten Erhöhung des Gesamtgewichtes auf 44 Tonnen deutlich effizienter transportieren und viele Transporte einsparen. Wir versuchen auch nach wie vor, über unseren Verband, die Wirtschaftsvereinigung Stahl, die Politik von einer solchen Erhöhung zu überzeugen. Die LKW sind darauf ausgerichtet und dürfen im Kombinierten Verkehr 44 Tonnen transportieren. Und bevor wir zwei 14-Tonnen-Coils separat durch die Landschaft fahren, wollen wir die Coils lieber in einem LKW transportieren. Doch wir wissen natürlich, dass es schwierig ist, unsere Forderung durchzusetzen, gerade angesichts des Zustands der Infrastruktur. Aber wir hätten die Möglichkeit, mit einer solchen moderaten Erhöhung den Engpass Straße deutlich besser zu bewirtschaften. Und danach kommt dann die Forderung, die Gewichtsgrenze auf 46, 48 oder 60 Tonnen anzuheben? Wir haben immer gesagt, dass wir bei den 44 Tonnen bleiben. Die 60-Tonnen-Diskussion sehen wir unter den derzeitigen politischen Rahmenbedingungen nicht als realistisch an. Vita Joachim Schürings Schürings, geboren 1953 in Dinslaken, ist seit 2009 Leiter Frachteinkauf LKW/Schiff und Versandsteuerung bei Thyssen-Krupp Steel. Seit 1990 arbeitet er für den Thyssen-Konzern und war dort in verschiedenen Positionen im Bereich Logistik tätig. Der bekennende Fan des Fußballclubs MSV Duisburg hat in Münster und Köln Betriebs- und Volkswirtschaft studiert und als Diplom-Kaufmann abgeschlossen. Vor, während und nach dem Studium war er bei verschiedenen LKW-Speditionen und in der Binnenschifffahrt beschäftigt. cd Unternehmen Thyssen-Krupp Steel Europe Bei dem nach Arcelor Mittal (Luxemburg) und der Riva Group (Italien) drittgrößten Stahlhersteller Europas (2012; Quelle: Worldsteel) ist das erste Quartal 2014 nicht so gut angelaufen. Der Umsatz war im Vergleich zum Vorjahresquartal um 8,6 Prozent rückläufig, bereinigt um Sondereffekte um 1 Prozent. Der Auftragseingang nahm um 5,4 Prozent ab, bereinigt um Sondereffekte stieg er um 1 Prozent. Das Transportvolumen von TKSE betrug 2013 zwischen 110 und 120 Millionen (Mio.) Tonnen (ohne Doppelzählungen durch Umschlagsvorgänge). Im Eingang waren es knapp 30 Mio. Tonnen, in der Distribution 12 Mio. Tonnen (davon LKW: 4 Mio. Tonnen) und im Zwischenwerkverkehr 11 Mio. Tonnen. Der Rest entfällt auf die Produktionslogistik innerhalb der Standorte. cd