Wieso fordern Sie eine radikale Verkehrswende?

Was halten Sie von der Grazer Deklaration der EU-Minister, wonach im Verkehrssektor mehr getan werden muss, um die Pariser Klimaziele zu erreichen? Der Verkehrssektor verursacht 24 Prozent der CO2-Emissionen in der Europäischen Union. Das ist der einzige Bereich, wo der Treibhausgasausstoß in der Vergangenheit gestiegen ist. Diese Erklärung hat die Verantwortung der Verkehrspolitik in Europa zur Erreichung der Klimaziele deutlich thematisiert und hier mehr Engagement von der EU-Kommission gefordert. Die meisten Forderungen sind mir aber zu vage. Und fromme Wünsche allein genügen nicht, es braucht endlich Taten. Ohne eine Veränderung der Mobilität werden wir den Klimawandel nicht stoppen können. Die EU-Kommission hat in drei Mobilitätspaketen seit Mai 2017 unter anderem Vorschläge gemacht, wie sich der Güterverkehr klimafreundlicher gestalten ließe. Da kann sich das EU-Parlament bisher nicht einigen. Wie ist der Verhandlungsstand? Gott sei Dank ist der Sozialteil vom ersten EU-Mobilitätspaket im Juli im Plenum des EU-Parlaments wegen Unstimmigkeiten zwischen denen, die Unternehmensprofite erleichtern wollen, und denen, die die "moderne Sklaverei" auf der Straße erkannt haben, gescheitert. Die Christdemokraten und die Sozialdemokraten wollten eine Flexibilisierung der Ruhezeiten von Lkw-Fahrern sowie neue Rahmenbedingungen beim Marktzugang und bei der Kabotage. Aufgrund des Einsatzes der Grünen wurden die Vorschläge in den Verkehrsausschuss zurückverwiesen. Wie stehen aktuell die Chancen, dass das erste EU-Mobilitätspaket noch vor der Europawahl im Mai verabschiedet wird? Es ist fast ausgeschlossen, dass es noch zum Trilog mit Kommission und Rat kommt. Bei der sozialen Säule gelingt vielleicht eine erste Lesung. Dass wir jetzt in Zeitnot geraten, liegt auch an der Kommission, die eine Reform der Vorschriften für den Straßengüterverkehr drei Jahre lang blockiert hat. Was muss passieren, um die Pariser Klimaziele im Verkehrssektor einzuhalten? Ganze 72 Prozent der CO2-Emissionen des Verkehrssektors entstehen auf der Straße. Bei dieser Zahl ist klar, dass eine Verlagerung auf umweltfreundlichere Verkehrsträger notwendig ist. Etwa auf die Schiene. Es gibt aber keinen fairen Wettbewerb zwischen den Verkehrsträgern. Die Schweiz ist ein Beispiel, wie es gelingt, mehr Güter auf die Bahn zu bringen. Dort ist die Lkw-Maut dreimal so hoch wie in Deutschland. Sie gilt auf allen Straßen und für Lkw ab 3,5 Tonnen. In der EU sind zwar 100 Prozent des Schienennetzes bemautet, aber nur ein Prozent der Straße. Auch die Förderung von Elektromobilität nach dem Gießkannenprinzip ist aus meiner Sicht nicht der richtige Weg. Hierbei muss man bedenken, dass aus der Steckdose nicht ausschließlich sauberer Strom kommt, sondern Kohle zum Beispiel in Deutschland der wichtigste Energieträger in der Stromproduktion ist. Da vergessen einige Politiker den Schadstoffausstoß dieser Kraftwerke. Nicht alle Güter lassen sich auf die Schiene verlagern. Außerdem unterscheidet die Schweiz sich strukturell von Deutschland. Es kann mehr als die Hälfte des Güterverkehrs in den Städten der EU auf Lastenräder verlagert werden, die mit elektrischer Hilfe bis zu 250 Kilogramm transportieren dürfen. Das wäre zumindest ein Anfang. Aber die Verkehrspolitik ist vorrangig nach den Interessen der Automobilindustrie ausgerichtet. Für Lastenräder hat der Bund kein Geld, fünf Milliarden für E-Autos sind hingegen kein Problem. Die Fahrzeughersteller müssen deshalb künftig wohl mit höheren CO2-Grenzwerten leben, die das EU-Parlament jetzt beschlossen hat. Verkehrssektor in der Verantwortung Ende Oktober haben die EU-Verkehrsminister und -Umweltminister die Kommission aufgefordert, sich mehr anzustrengen, um die Ziele des Pariser Klimaübereinkommens zu erreichen. Ihre Grazer Deklaration zählt mehrere Maßnahmen auf, um den Verkehrssektor sauberer zu machen. Aus Sicht des EU-Abgeordneten Michael Cramer greifen diese Ideen noch zu kurz. Er hat deshalb im Parlament für strengere CO2-Grenzwerte bei schweren Lkw gestimmt. ag

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