Wendemanöver geglückt

Die Häfen an der Nordseeküste haben die coronabedingte Flaute des letzten Jahres überstanden. Das zeigt die Umfrage der VerkehrsRundschau (VR) unter fünf großen Containerhäfen. Die Aussichten, zumindest die kurzfristigen, werden positiv eingeschätzt: Volle Schiffe sind zu erwarten. Mit voller Kraft voraus versuchen die Häfen, die damit verbundenen Herausforderungen zu bewältigen. Die Wachstumsraten im ersten Halbjahr 2021 fallen allerdings je nach Hafen unterschiedlich aus (siehe Tabelle Seite 30). Der Jade-Weser-Port (JWP) kann prozentual am stärksten zulegen, allerdings von einem niedrigen Niveau aus. Auch Bremerhaven wächst zweistellig und profitiert wie Wilhelmshaven davon, dass einige Reeder Schiffe von Hamburg umgelenkt haben. Dort läuft es nicht so richtig rund. Die Halbjahreszahlen sind noch nicht bekannt und werden erst Anfang September veröffentlicht. Doch ist davon auszugehen, dass in Hamburg das Wachstum am geringsten ausfällt. So hat der größte Terminalbetreiber - die HHLA - für seine drei dort befindlichen Terminals für das erste Halbjahr 2021 nur ein Plus von 0,5 Prozent gegenüber dem Vorjahreszeitraum vermeldet: angesichts der Coronakrise im ersten Halbjahr 2020 und derzeit voll ausgelasteter Containerschiffe auf den Weltmeeren enttäuschende Zahlen. Rotterdam und Antwerpen legen zu Rotterdam überzeugte mit einem beachtlichen Plus von 8,71 Prozent im ersten Halbjahr 2021. Antwerpen schneidet mit einer Zunahme von 5,07 Prozent nicht ganz so gut ab, war aber auch der einzige der fünf Seehäfen, der im Gesamtjahr 2020 keinen Verlust bei den umgeschlagenen TEU (20-Fuß-Container) hinnehmen musste. Bei allen fünf genannten Seehäfen ist mit einem Zuwachs für das Gesamtjahr 2021 zu rechnen: "Wir gehen für 2021 von 8,8 Millionen TEU nach 8,5 Millionen TEU im Vorjahr aus", sagt Axel Mattern, Vorstand Hafen Hamburg Marketing, gegenüber der VR. Immerhin dann doch ein Plus von 3,5 Prozent, aber damit würde das Vor-Corona-Niveau (9,3 Millionen (Mio.) TEU 2019) nicht erreicht. In Bremerhaven rechnet man damit, dass das Wachstum aus dem ersten Halbjahr anhält und im Gesamtjahr 2021 zweistellig bleibt. "Die Fünf-Mio-TEU-Grenze sollten wir auf jeden Fall überspringen", sagt Holger Bruns, Pressesprecher bei Bremenports. 2020 waren es 4,7 Mio. TEU, 2019 nur unwesentlich mehr. Allerdings zählte man in Bremerhaven von 2015 bis 2018 in jedem Jahr mehr als 5,4 Mio. TEU. Für hohe Aufkommensverluste hat die Corona-Krise im JWP gesorgt. 423.000 TEU gingen 2020 über die Kaikanten. Deutlich weniger als 2018 (655.800) und 2019 (639.000). "Corona hat uns schwerer getroffen als andere Seehäfen", sagt Andreas Bullwinkel, Geschäftsführer von Container Terminal Wilhelmshaven JWP-Marketing. Er begründet das damit, dass Wilhelmshaven von weniger Diensten angelaufen werde und ausschließlich auf Asien ausgerichtet sei. Da konnten die Verluste nicht so einfach ausgeglichen werden. Für 2021 zeigt er sich zuversichtlich. "Wir beobachten derzeit einige Extra-Anläufe, weil einige etablierte Seehäfen voll sind." Für 2021 rechnet er mit mehr als 600.000 TEU. Die Verantwortlichen in den Häfen wollen jedoch auch nicht zu euphorisch klingen. Aus leidvoller Erfahrung wissen sie, wie schnell der Wind sich drehen kann. "Die Situation ist momentan sehr volatil", warnt Bruns. Sein Kollege einige Kilometer östlich stimmt ihm zu und verweist auf neue Hiobsbotschaften aus China, genauer gesagt aus Shanghai und Ningbo Zhoushan. "Dort wurden Mitte August zwei Containerhäfen zeitweise geschlossen. Das werden wir zu spüren bekommen, wenn die Sperrung länger anhält", schwant Mattern nichts Gutes. Mehr Container könnten in Hamburg womöglich landen, wenn sich dort eine Reederei an einem Containerterminal beteiligt. Bislang hat nur HapagLloyd eine Beteiligung. "Die Beispiele in Antwerpen und Rotterdam zeigen, dass die Reedereien ihre eigenen Terminals bevorzugt bedienen", sagt Mattern. Die Reederei Cosco hat offenbar ein Interesse an einer Beteiligung an einem Terminal, was Mattern uneingeschränkt begrüßen würde. Wichtig für den Erfolg eines Hafens ist auch die landseitige Anbindung, die Hinterland-Anbindungen. Hier sagt man Hamburg immer wieder Probleme nach wegen überlasteter Straßen. Doch Mattern sieht das nicht so: "Bei den Hinterland-Anbindungen sind wir ganz weit vorne", sagt er und verweist auf den hohen Anteil der Bahn im Modal-Split. Der lag 2020 bei 47 Prozent. Ein Wert, an den Rotterdam und Antwerpen nicht herankommen. Aber bei der Straße stockt es - nicht zuletzt wegen vieler Baustellen in und rund um Hamburg. "Ja, es wird viel gebaut. Aber das ist auch richtig und ein gutes Zeichen. Trotz der vielen Baustellen funktioniert es ordentlich", sagt der Hamburger Hafen-Vertreter. Mehr Container auf die Schiene Wie alle Häfen hat sich auch Hamburg zum Ziel gesetzt, den Modal-Split der Schiene anzuheben. Man sieht in der Hansestadt durchaus die Chance, in nicht ferner Zukunft einen Anteil von deutlich mehr als 50 Prozent zu erreichen. Unter anderem Richtung Nordrhein-Westfalen gibt es laut Mattern "noch viel Luft nach oben". Mit jährlich 500.000 TEU ist das Bundesland hinter Bayern der zweitwichtigste Kunde in Deutschland. Doch während Richtung Süden mehr als 70 Prozent der Container den Weg per Bahn nehmen, sind es gen Westen nur 20 Prozent. Schwierigkeiten gibt es in Hamburg wie in Bremerhaven (siehe Seite 32 ff.) bei der Abwicklung der Containertrucker in den Terminals. "Das ist ein Thema", gesteht Mattern ein. Aber er will nicht einer Partei den schwarzen Peter zuschieben. Er sieht eine Lösung darin, die Abholung und Zustellung der Container besser über den gesamten Tag zu verteilen. "Zu den Stoßzeiten kommen alle. Da lassen sich Staus kaum vermeiden", so Mattern. In Wilhelmshaven gibt es dieses Problem nicht. Hier ist Platz genug für die Abstellung von Containern. Und die Autobahn ist direkt vor der Tür. Dafür ist die Schienenanbindung noch nicht optimal. Aber Abhilfe ist in Sicht. Ende 2022 soll die zweigleisige Strecke von Wilhelmshaven Richtung Oldenburg elektrifiziert sein. Bullwinkel: "Da fehlte einigen Marktteilnehmern bislang das Vertrauen, dass man den JWP auch per Schiene sehr gut erreichen kann. Deshalb gehen wir mit Fertigstellung von einem neuen Schub aus." Spätestens dann soll der Anteil der Schiene am Modal-Split einen zweistelligen Prozentsatz erreichen. Zudem ist der Hafen generell auf Wachstum ausgerichtet: "Ich kann mir vorstellen, dass wir 2024, spätestens 2025 die Millionen-TEU-Grenze knacken", sagt Bullwinkel. Sein Optimismus ruht vor allem daher, dass die Schiffe immer größer werden und der JWP als einziger Tiefwasserhafen in Deutschland diese Ozeanriesen ohne Probleme abfertigen kann. Aber auch andere Seehäfen arbeiten an der Erreichbarkeit ihrer Terminals. So soll für Bremerhaven die Außenweser vertieft werden. Dann können Containerschiffe mit einem Tiefgang von 13,50 Meter statt bislang 12,80 Meter zu den Terminals fahren. Auch in Bremerhaven will man den Modal- Split zugunsten von Bahn und Binnenschiff verändern. Doch konkrete Zahlen nennt man bei Bremenports nicht. "Das Ziel ist klar, aber Zahlenangaben wären reine Spekulation und daher nicht sinnvoll", sagt Holger Bruns von Bremenports. Dazu ist bereits investiert worden. "In der Spitze wickeln wir 600 Züge die Woche ab. Es bestehen aber Kapazitäten für 700 Züge die Woche", sagt Bruns. Zudem sollen sieben neue Vorstellgleise an der Einfahrt des Hafens entstehen, um noch mehr Züge abwickeln zu können. Aber auch im Hinterland von Bremerhaven sind aus Sicht von Bruns Erweiterungen notwendig. Hier sieht er die Netz-Sparte der Deutschen Bahn (DB) in der Pflicht: "Der Bremer Hauptbahnhof ist eine Engstelle. Da ist eine Ertüchtigung der Gleise zwischen Bremervörde und Rothenburg sinnvoll, um einen dringend notwendigen Bypass zu schaffen." Von Bremerhaven könnten Güterzüge nach Bremervörde fahren und von da aus dann weiter in das Hinterland. Anteil des Lkw im Hinterland sinkt Rotterdam und Antwerpen wollen ebenfalls den Anteil der Bahn am Modal-Split deutlich erhöhen. "Wir streben einen Anteil der Bahn von derzeit acht Prozent auf 15 Prozent im Jahr 2030 an", sagt Katarina Stancova, im Hafen Antwerpen zuständig für die Hinterland-Anbindungen. Ein ehrgeiziges Vorhaben, bei dem der Hafen aufs Tempo drückt. Alleine von November 2020 bis Juni 2021 gab es 36 neue wöchentliche Verbindungen pro Woche zwischen Hafen und Hinterland. "Vor allem von und nach Deutschland hat sich das Angebot erheblich erweitert: 27 neue Züge per Woche durch die Operateure TFG Transfracht, Kombiverkehr, Optimodal, Lineas und Haeger & Schmidt", beschreibt Stancova die Dynamik. Neben den ökologischen Vorteilen sind mehr Transporte per Bahn und Binnenschiff (deren Modal-Split-Anteil soll von 36 Prozent auf 42 Prozent im Jahr 2030 steigen) aber auch deshalb notwendig, weil auf den Straßen in und rund um Antwerpen kaum noch freie Kapazitäten verfügbar sind und deshalb an einer Verlagerung kein Weg vorbeiführt. Der Anteil des Lkw soll daher 2030 nur noch 43 Prozent statt aktuell 56 Prozent betragen. Nicht weniger ambitioniert sind die Pläne in Rotterdam. Für das Jahr 2035 soll das Binnenschiff mit 45 Prozent Marktanteil den Lkw (dann 35 Prozent) als wichtigsten Verkehrsträger im Hinterland ablösen. Die Bahn spielt nur die dritte Geige, aber auch hier wird eine Verdoppelung des Anteils auf 20 Prozent angestrebt, wenn auch erst fünf Jahre später als in Antwerpen. Die Anzeichen sind also klar: Zukünftig werden im Hinterlandverkehr deutlich mehr Container per Bahn und Binnenschiff befördert. Da zugleich aber das Aufkommen steigt, bedeutet das nicht, dass den Containertruckern hohe Verluste drohen. Allerdings gilt für die Transportdienstleister: Wer sich mit Bahn und Binnenschiff im Hinterlandverkehr befasst, der wird einen stark expandierenden Wachstumsmarkt vorfinden. Mehr zum Thema finden Sie unter #Seefracht www.verkehrsrundschau-plus.de/hashtag In Kürze Immer mehr Waren werden per Container über die Meere transportiert. Die Folge: Die Schiffe wie auch die Terminals in den Seehäfen sind stark ausgelastet. Damit die Container schnell abfließen, arbeiten die Häfen an einer Verbesserung ihrer Hinterland-Anbindungen. Vor allem die Bahn steht dabei im Fokus. Fünf große Nordseehäfen im Vergleich: wachsendes Containeraufkommen Hamburg Bremerhaven Wilhelmshaven¹ Rotterdam Anwerpen Umschlag in Millionen Tonnen 1. Halbjahr 2021 k.A.² 35,20 k.A. 231,63 120,01 1. Halbjahr 2020 61,20 32,69 2,60 218,94 114,19 Wachstum in Prozent k.A.² 7,7 k.A. 5,8 5,1 Containerumschlag in TEU 1. Halbjahr 2021 k.A.² 2.600.000 302.000 7.612.000 6.166.930 1. Halbjahr 2020 4.100.000 2.300.000 223.127 7.002.000 5.869.002 Wachstum in Prozent k.A.² 13,04 35,35 8,71 5,07 Modal-Split 2020 in Prozent Straße 50,20 48,10 91,20 56,90 56,00 Schiene 47,00 48,70 9,80 10,50 8,00 Binnenschiff 2,80 3,20 0,00 32,50 36,00 ) Ausschließlich Zahlen zum JadeWeserPort ²) Veröffentlichung der Halbjahreszahlen Anfang September Quelle: VerkehrsRundschau 2021; Angaben der Seehäfen

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