Röhlig Logistics: Wann steigen Sie in den Landverkehr ein?

In Kürze Typisch hanseatisch hat sich das Bremer Speditions- und Logistikunternehmen bislang gegenüber Medien eher zurückgehalten. Im Verkehrs-Rundschau-Interview macht Philip W. Herwig eine Ausnahme und gibt erste Einblicke in die Strategie, wie er Röhlig zukunftsfit aufstellen will. Röhlig Logistics soll unter die Firmenjäger gegangen sein, hieß es vor wenigen Monaten. Sind Sie schon fündig geworden? Die Schlagzeile, die Sie ansprechen, hat uns selbst überrascht. Wir gehen nicht unter die Firmenjäger. Das ist eine Wortwahl, die wir so nicht gewählt hätten. Was aber stimmt, ist, dass wir mit unserer "Blue Star"-Strategie ambitionierte Wachstumsziele verfolgen. In diesem Zusammenhang befassen wir uns nun auch etwas intensiver mit Kaufangeboten, die an uns herangetragen werden. Wie viele konkrete Verkaufsangebote sind bei Ihnen seitdem eingegangen? Wir erhalten regelmäßig Angebote, gekauft haben wir aber noch kein Unternehmen. Nach welchen Kriterien wählen Sie überhaupt aus? Wir haben keine M&A-Strategie, dennoch schauen wir uns um. Interessante Märkte sind in diesem Zusammenhang zum Beispiel Lateinamerika, Südostasien oder auch Deutschland. Und welche Art von Unternehmen ist für Sie attraktiv? Attraktiv sind für uns vor allem See- und Luftfracht-Speditionen, die uns dabei unterstützen können, in Regionen und Ländern, in denen wir schon vertreten sind, schneller zu wachsen. Viele treten angesichts der wirtschaftlichen Krise jetzt auf die Kostenbremse. Sie dagegen beschleunigen aus der Kurve. Warum? Weil wir dafür eine sehr gute Ausgangssituation haben. Wir besitzen ein weltweites Netzwerk, sind in mehr als 30 Ländern in über 150 Niederlassungen mit eigenen Röhlig-Mitarbeitern und Mitarbeiterinnen vertreten. Unser Partner- und Agenten-Netzwerk kommt noch dazu. Außerdem haben wir einen breiten Kundenmix, sind also weder von einer Region noch von einer Branche abhängig. Warum aber starten Sie gerade jetzt in die Wachstumsoffensive? Tatsächlich haben wir bereits im Jahr 2015 mit "Blue Future" unser erstes Wachstumsprogramm initiiert. Unsere jetzige "Blue Star"-Strategie knüpft daran an. Wir denken nicht in Quartalen, sondern wollen langfristig für unsere Kunden und unsere Carrier relevant bleiben. Daten und Fakten: Röhlig Logistics Das Jahr 2022 war für das Bremer Familienunternehmen Röhlig Logistics, das sich auf See- und Luftfracht sowie Kontraktlogistik spezialisiert hat, das erfolgreichste Jahr in seiner Firmengeschichte. So erhöhte sich der Bruttoumsatz von 1,5 Milliarden Euro auf 1,9 Milliarden Euro. Der Nettoerlös wuchs von 1,19 auf 1,61 Milliarden Euro. Und der operative EBIT-Gewinn stieg von 61 auf knapp 85 Millionen Euro. Doch die Zeiten werden härter. Firmenchef Philip W. Herwig hält aber am Wachstumskurs fest. eh Wie viel Volumen und Umsatz braucht es aus Ihrer Sicht, um für Kunden und Air- und Seafreight-Carrier relevant zu bleiben? Da sind Sie leider nicht die einzige Journalistin, die das wissen will (lacht). Aber ich bin die einzige, der Sie die Zahlen jetzt nennen. Nein, leider nicht (lacht). Im Ernst: Das sind interne strategische Ziele, die wir nicht nach außen kommunizieren wollen. Zu unserem Umsatz möchte ich sagen: Obgleich sich dieser in den letzten Jahren sehr erfreulich entwickelt hat, ist er für uns nicht die relevanteste Kennzahl. Unser Fokus liegt eher auf dem Gross Profit. Welches Unternehmen ist da Ihr Benchmark? In welcher Liga wollen Sie im Jahr 2030 einmal spielen? Wir schauen nicht so sehr auf andere, sondern mehr auf uns. Wir konzentrieren uns auf das gemeinsame Wachstum mit unseren Kunden, Mitarbeitern und Dienstleistern. Fakt ist, dass in Ihr Segment, in dem Röhlig traditionell stark ist, immer mehr große Player einsteigen - auch durch Zukäufe - und dadurch Großkunden End-to-End-Geschäft offerieren. Wie reagieren Sie darauf als Mittelstandsunternehmen? Aktuell sehe ich nicht, dass die See- oder Luftfracht-Carrier sich dafür entscheiden, nur noch mit einem Anbieter zusammenzuarbeiten. Wir stellen eine gesteigerte Nachfrage nach individuell auf den Kunden zugeschnittenen Logistikdienstleistungen fest - und als mittelständisch geprägtes Unternehmen liegt genau hier unsere Stärke. Wir bedienen dieses Interesse, indem wir maßgeschneiderte Lösungen mit digitalen Services kombinieren. Player wie Maersk oder auch Amazon haben indes allein durch ihre Größe so viel Einkaufsmacht, dass sich diese mit ganz anderen Konditionen Kapazitäten in der See- und Luftfacht sichern können als Ihr Unternehmen. Wie wollen Sie gegen solche Größen punkten? Letztlich entscheidet der Kunde, mit wem er zusammenarbeitet. Es gibt Kunden, für die mag eines der oben genannten Unternehmen der perfekte "Partner" sein. Aber wie gesagt, gibt es auch zahlreiche Kunden, die lieber mit mittelständischen Unternehmen wie Röhlig kooperieren möchten. Zu uns hat man direkten Kontakt - zum Sachbearbeiter, Niederlassungsleiter, zur Landesleitung und im Zweifel zum globalen Management-Board. Das macht für viele unserer Kunden den großen Unterschied - und dies wollen wir beibehalten. Ergänzt wird dieser vertrauensvolle Umgang auf Augenhöhe durch unser umfangreiches digitales Service-Portfolio. Sie arbeiten in den USA mit 14 eigenen Niederlassungen und bieten dort Lkw-Transporte an. In Europa arbeiten Sie mit dem US-Anbieter Penske Logistics, hinter dem die riesige Trucking-Gesellschaft Penske steht, in einem Joint Venture. Wann steigen Sie in den europäischen Landverkehr ein? Erst mal nicht. Warum nicht? Weil unser Kerngeschäftsfeld die internationale See- und Luftfracht sowie die Kontraktlogistik ist. Sie wollen Röhlig Logistics also nicht zum Fullservice-Anbieter ausbauen und Ihre offene Flanke im Landverkehr schließen? Nein, das ist nicht unsere Strategie. Was hält Sie davon ab? Unsere Expertise liegt in der See- und Luftfracht sowie in der Kontraktlogistik. Eine Ausweitung auf den Bereich des Landverkehrs ist derzeit nicht vorgesehen. Ist Ihnen der Landverkehr zu wettbewerbsintensiv? Wir arbeiten im Landverkehr langfristig mit sehr guten Partnern zusammen und werden dies auch in Zukunft tun. Vor einigen Jahren ermahnte Professor Michael ten Hompel die Logistiker, die digitalen Start-ups ernst zu nehmen. Die Gefahr sei groß, dass ein solches Start-up unerwartet aus dem Gebüsch springen und mit seinem digitalen Geschäftsmodell etablierte Firmen aus dem Markt drängen könnte. Rückblickend gefragt: Hatten Sie damals tatsächlich diese Befürchtung? Und wenn ja, sehen Sie das heute anders? Das ist eine interessante Frage. Anfangs herrschte durchaus Unsicherheit. Wir haben uns dann aber recht schnell darauf eingelassen und geprüft: Was machen diese Start-ups anders als wir, was machen sie besser, was davon können wir auch übernehmen? Denn wir haben auf Kundenseite ein großes Interesse an diesen digitalen Spediteuren festgestellt. Deshalb haben wir alle Fühler ausgestreckt und Vieles ausprobiert: mit einzelnen digitalen Start-ups zusammengearbeitet, digitale Plattformen genutzt und auch eigene Start-ups entwickelt wie etwa Cargonerds. Machen wir uns jetzt noch Sorgen? Klares Nein. Was ist Ihre Digitalisierungs-Strategie? Wir verfolgen zwei Ansätze. Zum einen entwickeln wir digitale Software-Produkte, mit denen unsere Kunden ihre Sendungen selbst abwickeln können und Zugriff auf wichtige Sendungsdaten erhalten. Zum anderen entwickeln wir gemeinsam mit unseren Kunden individuell auf sie zugeschnittene digitale Lösungen, um Prozesse und Systeme zu integrieren. Wir arbeiten in der Digitalisierung kundenorientiert und gehen spezifisch auf Kundenanforderungen ein. So können wir ihnen heute, auch dank unserer exzellent geschulten Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter im Kundenservice sowie unserer digitalen Plattformen, das Beste aus zwei Welten bieten. Unsere Kunden können entscheiden, ob sie ausschließlich digital mit uns arbeiten, den persönlichen Kontakt bevorzugen oder das hybride Modell wünschen. Wir bieten jede Service-Option - egal in welchem Land. Wie viel Euro sparen Sie pro Kundenauftrag in der Luftfracht ein, wenn dieser ausschließlich digital abgewickelt wird - im Vergleich zur regulären Abwicklung über Mitarbeiter? So denken wir nicht. Die zentrale Frage für mich ist: Was passiert, wenn wir diese Service-Optionen nicht anbieten können? Laufen wir dann Gefahr, dass unsere Kunden zu einem unserer Wettbewerber wechseln, der diesen Service offeriert? Das wäre das weitaus größere Problem und hat uns von Anfang an beschäftigt, seitdem wir uns verstärkt mit unserer Digitalisierung befassen. 2022 hatte Röhlig in der Seefracht 262.000 TEU erreicht (2021: 256.000 TEU) und in der Luftfracht 121.000 Tonnen (2021: 125.000 Tonnen). Wie viel TEU und Tonnage werden es im laufenden Jahr sein? Grundsätzlich spüren auch wir, dass die Nachfrage in der Luftfracht aktuell rückläufig ist. Trotz der derzeitigen Lage konnte Röhlig Marktanteile gewinnen. Wir gehen davon aus, dass wir weiter wachsen werden, auch aufgrund einiger beträchtlicher Neugeschäfte. Daher blicken wir zuversichtlich in die zweite Jahreshälfte. In der Seefracht zeigt sich eine ähnliche Entwicklung wie in der Luftfracht. Der Markt ist aktuell rückläufig. Auch unser Volumen geht leicht zurück, aber weniger als der Markt. Wir haben in den letzten Monaten diverse substanzielle Neugeschäfte gewonnen, was unsere Relevanz für Kunden und Carrier unter Beweis stellt. Wir sind optimistisch gestimmt, diesen Trend weiter fortzusetzen. Was macht Sie zuversichtlich, dass Sie trotz der schwierigeren Zeiten zukunftsfähig bleiben? Wir sind ein Kleiner unter Großen und ein Großer unter Kleinen. Das Schöne an unserer Größe ist, dass wir selbst in den Märkten, in denen wir schon vertreten sind, weiter wachsen können und wollen. Daher werden wir unser Netzwerk auch in Zukunft erweitern, unser Service-Angebot ausbauen und weiter in die Digitalisierung unserer Produkte investieren. In welchen Ländern spielt künftig die Musik? Wir halten unser gesamtes weltweites Netzwerk für relevant, denn jedes Land zahlt in unseren Erfolg ein. Sehr erfolgreich sind wir in Australien, Neuseeland, Südafrika und Lateinamerika, aber auch Indien entwickelt sich sehr gut. Im Jahr 2022 haben wir unser Netzwerk um Dubai und die Schweiz ergänzt, in 2023 um Brasilien. Wichtige Wachstumsmärkte sind für uns, kundengetrieben, Südostasien und Lateinamerika. Peilen Sie spezielle Kundensegmente an? Röhlig hat einen sehr interessanten Kundenmix. Wir sind sowohl für die Automotive-, die Pharma- als auch die Hightech-Branche tätig. Das liegt daran, dass wir unseren regionalen Führungskräften viel Freiraum lassen - schließlich kennen sie die lokalen Gegebenheiten am besten. Das Head-Office in Bremen gibt ihnen nicht vor, welche Geschäftsfelder sie entwickeln müssen. Bei diesem Modell sprechen wir von "courageous entrepreneurs". Das macht die Unternehmensführung etwas aufwendiger. Aber langfristig ist es der richtige Weg, weil wir uns dadurch die Akzeptanz der lokalen Kollegen sichern. Es ist ihre eigene Idee. Man weiß ja von sich selbst, dass man mehr für eine eigene Idee brennt als für eine vorgegebene.

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