Volle Transparenz in Echtzeit

Realtime-Visibility-Plattformen haben Konjunktur, so das Research-Unternehmen Gartner in einer aktuellen Studie. Demnach würden 50 Prozent der globalen Großunternehmen bis 2023 in Echtzeit-Transparenz für Transporte investieren. Wenngleich sich weltweit über 100 Anbieter auf dem Markt tummeln, haben es lange nicht alle zu einer gewissen Marktrelevanz gebracht: Im Gartner-Marktüberblick werden knapp 20 Anbieter aufgeführt, deren Netzwerk mindestens 1000 Carrier umfasst und die 20 Kunden oder mehr mit einem jährlichen Sendungsaufkommen von mehr als einer Million betreuen. Die meisten Plattformen sind in den USA beheimatet, wie etwa Project44, das durch die Übernahme von Gatehouse (Dänemark) seinen Footprint in Europa aber massiv ausgebaut hat. Aber auch europäische Player forcieren die Landschaft, wie etwa das in Frankreich gegründete Start-up Shippeo und Sixfold mit Hauptsitz in Wien. Viele Plattformen decken mehrere Modalitäten ab, im Landverkehr verfolgen sie meist folgendes Prinzip: Verlader laden ihre Transporteure ein, sich dem Netzwerk anzuschließen, das seinerseits über Telematik-Integrationen allen an der Transportkette Beteiligten in Echtzeit Ortungsdaten, Sendungsstatus und die voraussichtliche Ankunftszeit (ETA) zur Verfügung stellt. Die aggregierten Transportdaten nutzt man, um möglichst genaue ETA-Prognosen anzustellen. Echtzeit-Tracking für alle Beteiligten Seit Kurzem auf Realtime-Tracking setzen auch Baustoffspezialist Saint-Gobain Isover und seine Schwestergesellschaft Saint-Gobain Rigips. Die Unternehmen unterhalten keinen eigenen Fuhrpark und greifen nach Angaben von Thomas Muschalla, Projektleiter Supply Chain Management, auf einen Stamm zwischen 20 und 25 Spediteuren und nach Bedarf auch auf Frachtvermittlungsplattformen zurück. Als 2019 das Gespann Transporeon/Sixfold auf den Plan trat, war Isover einer der ersten Kunden. Seit Anfang 2020 nutzt auch Saint-Gobain Rigips Sixfold. "Jetzt können alle Beteiligten in Echtzeit selbst nachsehen, wo sich ein Lkw aktuell befindet", freut sich Muschalla (siehe auch Interview). Sorgen, dass Spediteure dabei zu viel über sich preisgeben könnten, hält er übrigens für unbegründet: "Wir sehen lediglich die ETA-Daten für die mit unserem Transportauftrag verknüpfte Tour." Sorgenkind Datenhoheit "Wir sehen Spediteure nicht nur als Datenlieferant, sondern als Partner", betont auch Thomas Spieker, Director Central Europe bei Shippeo. Bereits rund 140.000 Spediteure mit insgesamt rund 2,5 Millionen Lkw sind demnach ans Shippeo-Netzwerk angeschlossen. 30 Prozent davon kommen aus Deutschland oder wickeln hierzulande viele Touren ab. Für Spediteure ist die Nutzung kostenlos. "Sie erhalten also ein Tool, das sie zur Disposition selbst nutzen können", umreißt Spieker die Vorteile. Aber was ist der Preis dafür - so mancher fragt sich sicher, was da überhaupt mit seinen Daten passiert. Auch Spieker kann die Bedenken entkräften: Nicht nur die visuelle Darstellung auf der Plattform beschränke sich auf einen einzelnen Auftrag, sondern auch die Datenstruktur dahinter. "Auch wenn der Spediteur auf einer Tour Teilladungen aufnimmt, muss er keine Sorgen haben, dass irgendwer Aufschluss darüber erlangen könnte, für wen er auf einer Relation noch alles unterwegs ist", so Spieker. Der Algorithmus zur ETA-Prognose arbeite in erster Linie mit Geodaten, Lenkzeiten würden nicht berücksichtigt. Nach einem Jahr werden die Daten gelöscht. Ein Onboarding-Team erklärt den Spediteuren, welche Daten benötigt werden und was mit ihnen passiert. "Die Daten gehören den Spediteuren", betont Spieker. Sie könnten auf ihre abgeschlossenen Touren ein Jahr lang im Archiv zugreifen und sie zudem zur dauerhaften Archivierung herunterladen. Laut Spieker ist die Nachfrage nach Echtzeit-Prognosen zuletzt deutlich gestiegen. Vor allem Industrien, die nach dem Justin-Time und Just-in-Sequence-Prinzip verfahren, und der Handel seien auf verlässliche Ankunftsprognosen angewiesen. Die Integrationsquote muss stimmen Voraussetzung ist aber, dass möglichst viele mitmachen. "Der zentrale Faktor für ein erfolgreiches Projekt ist, sehr frühzeitig die Carrier-Struktur des Kunden zu analysieren", so Spieker. Wenn ein Verlader mit Spediteuren zusammenarbeite, die entweder selbst noch auf einem niedrigen Digitalisierungslevel sind oder Subunternehmer beauftragen, die die technischen Voraussetzungen nicht mitbringen, werde auch die Transparenzquote entsprechend ausfallen. Online Marktübersicht Eine Marktübersicht mit Key Facts zu den wichtigsten Realtime-Visibility-Plattformen, die in Europa aktiv sind, finden Abonnenten im Online-Profiportal VR plus. Ebenso können Sie hier das komplette Interview mit Thomas Muschalla von Saint-Gobain Isover/Saint-Gobain Rigips abrufen.www.verkehrsrundschauplus.de/marketoverview Interview mit Thomas Muschalla, Projektleiter Supply Chain Management Saint-Gobain Isover & Saint-Gobain Rigips"Haben viel mit den Spediteuren gesprochen" Was hat Sie bewogen, eine eine Track-and-Trace-Lösung einzuführen?Als Unternehmen ohne eigene Lkw-Flotte hatten wir keinen Überblick, wo sich welches Fahrzeug befindet und wann es voraussichtlich bei Händlern oder auf Baustellen ankommt – Informationen, die sowohl Kunden als auch Verkaufsinnen- und Außendienst immer wieder benötigen. Die Telefon- oder email-Kette zwischen Kunde, Verlader, Spedition, gegebenenfalls Subunternehmer und Fahrer kostete derart viel Zeit und Ressourcen, dass sich die auf diesem Weg ermittelte Information bezüglich der voraussichtlichen Ankunftszeit oftmals schon selbst erledigt hatte. Jetzt können alle Beteiligten in der Kommunikationskette in Echtzeit selbst nachsehen, wo sich ein Lkw aktuell befindet. Für wie viel Prozent der Transporte kann die ETA abgebildet werden?Die Quote der an Sixfold angeschlossenen Stammspediteure ist sehr gut, fast vollständig. Eine Abdeckungsquote von 100 Prozent aller Transportaufträge ist aktuell aber noch illusorisch. Das liegt vor allem daran, dass wir keinen Einfluss darauf haben, welche Subunternehmen beauftragt werden und ob diese dann ihrerseits an die Plattform bereits angeschlossen sind. Man darf auch nicht vergessen, dass Realtime-Tracking noch ein relativ junges Geschäftsfeld ist. Mit der weiteren Marktdurchdringung wird automatisch auch die Anzahl der angeschlossenen Spediteure in Europa weiter steigen. Manch kleine Spedition tut sich noch etwas schwer, die Digitalisierung mitzugehen. In der Regel sind es technische Details oder Fragen der Datensicherheit. Stichwort Datenhoheit: Wie entkräften Sie Vorbehalte Ihrer Spediteure?Wir haben lange vor der Einführung mit unseren Stammspediteuren gesprochen und ihnen mit Hilfe von Sixfold erklärt, was genau wir wollen und warum wir dies wollen. Die Plattform hat sehr große Vorteile, nicht nur, weil es die Kommunikationswege strafft, sondern weil die ETA-Prognosen anhand vieler Parameter sehr genau und nahezu in Echtzeit übermittelt werden. Sorgen, dass Spediteure dabei zu viel über ihre Aktivitäten und Netzwerke preisgeben könnten, halte ich für unbegründet. Wir sehen lediglich die ETA-Daten für die mit unserem Transportauftrag verknüpfte Tour, ist dieser erfüllt, ist das Fahrzeug nicht mehr sichtbar auf den Bildschirmen. Das hat auch der überwältigende Teil unserer Spediteure verstanden. Welche technischen Voraussetzungen brauchen Spediteure, um sich anzudocken?Sixfold prüft, ob die Telematiksysteme, die eine Flotte nutzt, in die Plattform integriert sind. Das ist bei den allermeisten Systemen der Fall. Wenn diese Voraussetzung erfüllt ist, erfolgt eine Registrierung der Fahrzeugflotte. Sixfold unterweist die Spediteure, wie die von uns übermittelten Transporte nach der Fahrzeugzuweisung mit der Plattform programmseitig verknüpft werden und dann kann es losgehen. mh

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