Verteuerte Verstärkung?

Verteuerte Verstärkung? Der Mindestlohn für die Briefdienstleister ist erst der Anfang, jetzt steht das gesetzliche Minimum auch für die Zeitarbeitsbranche zur Debatte. Ob Speditions- und Logistik-betriebe darunter finanziell zu leiden hätten, ist noch unklar. Kommt er oder kommt er doch nicht, der Mindestlohn? Diese Frage beschäftigt seit Kurzem nicht nur die Postbranche, sondern auch Speditionen und Logistikfirmen. Der Grund: Die Zeitarbeitsbranche hat bei der Bundesregierung beantragt, eine verbindliche Lohnuntergrenze für den Sektor einzuführen. Geplant ist, einen Mindestlohn von 7,31 Euro im Westen und 6,36 Euro im Osten festzuschreiben. Sollte dieses Minimum kommen, bekäme dies das Transportgewerbe zu spüren. Denn viele Lager und Kommissionierbetriebe greifen regelmäßig auf Zeitarbeiter zurück. Drohen durch den Mindestlohn finanzielle Turbulenzen wie bei den Briefdiensten? Geruch des Anrüchigen Die Verbände wägen ab. "In unserer Branche sind nicht ganze Unternehmen auf Zeitarbeit aufgebaut", erklärt der Deutsche Speditions- und Logistikverband (DSLV) in Bonn in einer Stellungnahme. Deshalb seien die Konsequenzen eines Mindestlohnes für Leiharbeiter auch nicht so gravierend. Andere Marktkenner pflichten dem bei. "Im Kerngeschäft – also dem Eigenfuhrpark – werden Zeitarbeiter nur in Ausnahmefällen eingesetzt, etwa wenn ein Fahrer über längere Zeit krank ist", so Christian Labrot, Hauptgeschäftsführer beim Bundesverband Wirtschaft, Verkehr und Logistik (BWVL), der in Bonn seinen Hauptsitz hat. Die Speditionen halten sich eher bedeckt. "Bitte haben Sie dafür Verständnis, dass wir zu dem Thema keine Stellung nehmen", heißt es zum Beispiel aus der Zentrale von Dachser in Kempten. Ähnlich reagieren andere Unternehmen. Zeitarbeiter einzusetzen, scheint etwas Anrüchiges zu haben. Für kleine Speditionen ist das Thema kaum relevant, weil Zeitarbeit hier die Ausnahme darstellt. In der Speditions- und Logistikbranche ist das Minimum vielerorts längst Realität. "Die Mitarbeiter bekommen meist Tarife, die über den Mindestlöhnen liegen", sagt Labrot. Eine Einschätzung, die Sabine Kolaric von Trans-o-flex in Weinheim, bestätigt: "Wir liegen tendenziell darüber." Ob nun finanzielle Belastungen eintreten, können die Unternehmen schwer beantworten. Schließlich kennen sie nicht den genauen Betrag, den die Verleihfirma an ihre Angestellten auszahlt (s. Kasten). Studie: Zeitarbeit ist kein Kostenkiller Peilen Branchenkenner über den Daumen, lassen sie sich für West-Betriebe zu folgender Prognose hinreißen: Sobald der Leiharbeiter eine Qualifikation hat – und sei es nur ein Staplerführerschein – überspringt er wahrscheinlich die Mindestlohngrenze. Verwirrung stiftet nun die Tatsache, dass es bereits einen Mindestlohn für Zeitarbeiter gibt. Die Ursache: Innerhalb der Leiharbeitsbranche kämpfen mehrere Interessengruppen gegeneinander. Auf der einen Seite stehen der Bundesverband Zeitarbeit (BZA) und der Interessenverband Deutscher Zeitarbeitsunternehmen (IGZ), die bereits 2006 mit dem Deutschen Gewerkschaftsbund einen Tarifvertrag ausgehandelt haben. Darin ist für die niedrigste Entgeltgruppe I ein Lohn von 7,38 Euro festgeschrieben. Dieser Satz liegt oberhalb des angepeilten Minimums. Den beiden Gruppen steht der Arbeitgeberverband Mittelständischer Personaldienstleister (AMP) gegenüber. Und dieser hat ein Tarifwerk mit den christlichen Gewerkschaften vereinbart, das Löhne unter diesem Niveau erlaubt. Nur diese relativ kleine Gruppe von Zeitarbeitern käme in den Genuss von höheren Einkommen, wenn Berlin eine Untergrenze durchsetzt. Zeitarbeit ist kein Kostenkiller. Bei einer Umfrage der WHU Koblenz unter 1200 Logistikverantwortlichen kam heraus, dass die Betriebe durch den Einsatz von Zeitarbeitern ihre Personalkosten im Schnitt nur um 5 Prozent drücken konnten. Rücken Leiharbeiter an, steht im Vordergrund, flexibel auf die Auftragsschwankungen zu reagieren (s. Grafiken). Das reine Kostensenken als Motiv kam in der Rangliste nur auf Platz vier. Tätigkeiten werden anspruchsvoller Der Mindestlohn macht Zeitarbeit teurer. Allein deshalb werden die Betriebe sicher nicht abspringen. "Ab einem gewissen Anstieg wäre Zeitarbeit unattraktiv, sofern es nicht gelänge, die höheren Kosten beim Kunden zu berechnen", sagt Dierk Hochgesang vom Bundesverband Möbelspedition und Logistik (AMÖ), Hattersheim. Er bezweifelt, dass Speditionen stattdessen eigenes Personal einstellen. Das würde sich in einem stark saisonalen Geschäft wie dem Umzug nicht lohnen, so Hochgesang. Und das Geschäft prägen Nachfragespitzen, wenn etwa ein großer Unternehmensumzug ansteht. Gerade für solche Projekte verstärken sich die Speditionen bei Zeitarbeitsfirmen. Wenn sich Spediteure gegen Zeitarbeit entscheiden, hat das meist keine Geldgründe: lange Einarbeitungszeiten (laut WHU-Umfrage durchschnittlich vier Tage), Widerstände in der Kernbelegschaft, Qualitätsprobleme. "Lager – das klingt immer nach einfachen Jobs, aber die Tätigkeiten werden anspruchsvoller", betont der Leiter eines großen Distributionszentrums. Ein modernes Lager verwendet komplizierte Technik, die Mitdenken erfordere. Externe Springer seien damit oft überfordert: "Gleich bleibende Qualität bekommen Sie nur mit eigenen Mitarbeitern", urteilt der Insider. Unternehmen bevorzugen Arbeitszeitkonten, um die Belegschaft an die schwankende Auftragslage anzupassen. Das Beispiel der Möbelspeditionen lässt sich wahrscheinlich auf das ganze Speditions- und Logistikgewerbe übertragen.Kommt der Mindestlohn für Zeitarbeiter, lohnt es sich vermutlich bloß, Zeitarbeiter punktuell einzusetzen. Die Praxis, Legionäre auf Dauer zu beschäftigen, verliert an Attraktivität. Zeitarbeit wird wieder das, was sie schon immer war: Verstärkung auf Zeit.❙❚■ Constantin Gillies, freier Journalist