Berlin. Schonungslos hatte Karlheinz Schmidt, Hauptgeschäftsführer des Bundesverbandes Güterkraftverkehr Logistik und Entsorgung (BGL), in seinem Impulsreferat den Finger in die Wunde gelegt. Mit der EU-Erweiterung 2004 sei eine Ausflaggung großer Fuhrparkflotten in die osteuropäischen Beitrittsländer einhergegangen, die das Lohn- und Sozialkostengefälle erheblich verstärkt habe. „Unfairer Verdrängungswettbewerb unter Einsatz von Personal aus den Ausflaggungsländern mit niedrigen Sozial- und Lohnkosten ist die Folge“. In einem norddeutschen Hafen habe sich ein lettisches Unternehmen, das philippinische Arbeitnehmer mit lettischer Arbeitserlaubnis einsetzt, fest etabliert, berichtete Schmidt. Es biete in erster Linie Seehafenhinterlandverkehre innerhalb Deutschlands aber auch EU-weit zu lettischen Arbeits- und Sozialbedingungen an, ohne sich an die Standortbedingungen in Deutschland halten zu müssen. Es fehle an wirksamen Kontrollen, Gesetzesverstöße blieben ohne erkennbare Folgen. Ausländische Fahrer verfügten über Arbeitserlaubnis und Fahrerkarten, von denen nicht klar sei, wie die Papiere in die Hände der Unternehmen kämen.
Der Fall der lettischen Firma ist kein Einzelfall. Andreas Mossyrsch, Vorstand von Camion Pro e. V. Deutschland, liegt die Kopie der Fuhrparkliste mit den Nummernschildern eines rumänisch-bulgarisch Transportunternehmens vor, das die digitalen Tachographen ihrer 70 Lkw manipuliert hat. Der Informant des Berufsverbands für Unternehmen der Transportbranche fürchtet um sein Leben. „Wenn die rausfinden, dass ihr das von mir habt, zieht man mich tot aus einem Fluss“, schildert Mossyrsch die bedrängte Lage seines Gesprächspartners.
Lösungsansätze für faire Wettbewerbsbedingungen
Schmidt hatte vor den rund 70 Teilnehmern im Berliner Reichstagsgebäude einen möglichen Lösungsansatz aufgezeigt, um faire Wettbewerbsbedingungen herzustellen. Es gehe um eine rechtliche Abgrenzung zwischen Niederlassungs- und Dienstleistungsfreiheit im Verkehrssektor. „Dabei kommt es darauf an, die Dienstleistungsfreiheit in der Praxis tatsächlich auf eine „vorübergehende“ Betätigung in den jeweiligen Mitgliedsstaaten zu begrenzen. Von Dienstleistungsfreiheit könne nicht gesprochen werden, wenn Lkw dauerhaft in Ländern stationiert würden, in denen diese nicht registriert seien, aber dennoch erheblich grenzüberschreitende oder Kabotageverkehre durchführten.
Mit seiner Bestandsaufnahme stieß der BGL-Hauptgeschäftsführer bei den Vertretern des Zolls, der Gewerkschaften und der Branchenverbände auf weitgehende Zustimmung. In Sachen Kontrollen müsse die Regierung endlich handeln, forderte Frank Huster, Hauptgeschäftsführer des Deutschen Speditions- und Logistikverbandes (DSLV). Er sprach auch das „Fahrernomadentum“ an, eben jene osteuropäischen Fahrer, die zum Teil bis zu vier Monaten getrennt von ihren Angehörigen in ihren Lkw „hausen“. Raymond Lausberg, Leiter des Transportkontrolldienstes Autobahnpolizei Battice in Belgien, berichtete, unwürdige Arbeitsbedingungen und schlechte Bezahlung führten bei den Fahrern zu Frustration und Alkoholmissbrauch. Auf den Autobahnen seien „rollende Bomben“ unterwegs. „Die Bußgelder in Deutschland gegen Rechtsverstöße sind ein Witz“.
Udo Schiefner, SPD-Berichterstatter für Transport und Logistik, forderte eine bessere Kontrolle der Lenk- und Ruhezeiten und eine Einhaltung der Kabotageregelungen. Zusammen mit der SPD-Verkehrspolitikerin Kirsten Lühmann machte er sich die Sorgen des Gewerbes zu Eigen. „In der Nachbearbeitung werden wir aus den Vorschlägen parlamentarische Anträge entwickeln, die dieses Ziel verfolgen“. (jök)