"Unsere Ertragskraft war nicht hoch genug"

Herr Taucke, Sie sind seit Ende 2018 CEO der Nagel-Group und eine Ihrer ersten Entscheidungen war es, 100 Stellen abzubauen und 34 Logistikimmobilien des Unternehmens im Zuge eines Sale-und-Lease-Back-Deals zu verkaufen. Von außen betrachtet wirkt das "zerstörerisch". Sind Sie ein Zerstörer? Nein, ein Zerstörer zerstört nur. Das mache ich nicht. Ich baue um und verändere. Ich arbeite daran, dass das Unternehmen produktiver wird und die Kosten noch besser in den Griff bekommt. Bei der Nagel-Group will ich eine Ertragsstärke herstellen, die es hier bislang nicht gab. Ist die Nagel-Group ein Sanierungsfall? Keineswegs! Das, was wir aktuell machen, ist eine Restrukturierung und Modernisierung. Die Ertragskraft des Unternehmens war in den vergangenen Jahren nicht hoch genug. Ein adäquates EBIT (Gewinn vor Zinsen und Steuern) für ein Unternehmen wie Nagel liegt bei drei bis fünf Prozent. Vor zwei Jahren lag unser Betriebsergebnis bei minus 2,2 Millionen Euro. 2018 haben wir operativ bereits wieder schwarze Zahlen geschrieben. 2019 wird noch deutlich besser. Wir sind auf dem richtigen Weg. Was steckt dann hinter Ihrem Logistikimmobilien-Verkauf an Investoren vor wenigen Wochen? Dieses Thema hat überhaupt nichts mit den Zahlen zu tun. Die Nagel-Group hat eine sehr solide Finanzierung. Dass wir diesen Schritt gehen, hat andere Gründe. Wobei diese Entscheidung vor meiner Zeit getroffen wurde. Ich trage sie aber voll mit, weil uns der Verkauf eine enorme Freiheit gibt. Dank des Sale-und-Lease-Back-Modells können wir flexibel entscheiden, wie wir mit der einzelnen Immobilie verfahren: ob wir sie mieten und mit ihr strategisch nach vorne gehen oder ob wir sie nicht mehr mieten. Immerhin verschafft Ihnen der Verkauf der Logistikimmobilien finanziellen Spielraum. Angeblich liegt der Verkaufserlös bei 260 Millionen Euro. Ist das so? Das kann ich Ihnen nicht sagen. Der Prozess ist noch nicht final abgeschlossen. Angeblich wurde auch die Zentralverwaltung an der Friedrich-Menzefricke-Straße verkauft. Ja, das ist so. Das war aber schon vor einigen Jahren und hat nichts mit dem aktuellen Deal zu tun. Der Unternehmenssitz der Nagel-Group bleibt übrigens in Versmold. Schreibt die Nagel-Group schwarze Zahlen? Nach dem operativ schlechten Ergebnis von 2017 haben wir in 2018 enorm aufgeholt. Wir schreiben operativ eine schwarze Null, vielleicht sogar etwas mehr. Gerade in Deutschland war das Ergebnis im vergangenen Jahr souverän. Da hat sich Nagel super entwickelt. Ein gutes Stück hat Ihnen aber die glänzende Konjunktur in die Hände gespielt. Sicher. Wir haben aber auch an den richtigen Hebeln angesetzt, um das Ruder herumzureißen. So haben wir unser Pricing im vergangenen Jahr massiv vorangetrieben. Da waren wir zuvor leider weniger konsequent. 2019 sind wir sogar noch besser unterwegs, weil wir schon im ersten Quartal unsere Preise angepasst haben. Da hat der Vertrieb ordentlich Druck gemacht, denn wir müssen deutlich stärker wachsen. Welches Umsatzwachstum peilen Sie also für dieses Jahr an? Wir werden einige Geschäfte anpassen. Das wirkt sich auch auf den Umsatz aus. Deshalb werden wir in diesem Jahr wohl auf einem ähnlichen Niveau landen wie in 2018: bei knapp zwei Milliarden Euro. Apropos Geschäftsanpassung: Das Nagel-Management hat ja, wie man hört, ein neues Regionalkonzept in Deutschland aufgelegt, mit dem mehrere Standorte unter einem Dach in einer Region zusammengefasst werden sollen. An welchen Standorten wird das schon gemacht und welche Effekte bringt das? Umgesetzt haben wir das Regionalkonzept bereits in Baden-Württemberg (Deißlingen/Stuttgart), im Norden (Bremen/Hannover) und im Osten (Berlin/ Magdeburg). Das läuft hervorragend und steigert massiv die Synergien in der Administration. Das spart deutlich Kosten und steigert die Produktivität. Das Konzept werden wir in Deutschland weiter vorantreiben. Wie wir da verfahren, wird derzeit entschieden. Integrieren Sie jetzt auch Transthermos? Noch sitzt ja fast an jedem Nagel-Standort ein Transthermos-Standort im Umkreis von wenigen Kilometern. Diese Integration treiben wir massiv voran. Zum Beispiel ist aus Transthermos mittlerweile Nagel Transthermos geworden. Das ist ein wichtiger Schritt. Noch laufen aber die Nagel-Transthermos-Standorte separat. Das werden wir ändern und beispielsweise Synergien in der IT heben. Wie viele Nagel- und Transthermos-Standorte umfasst Ihr Netz heute in Deutschland, und wie viele sollen es mittelfristig werden? Wir verfügen in Deutschland über 27 Kraftverkehr-Nagel- und 20 Nagel-Transthermos-Niederlassungen zuzüglich entsprechender Außenlagerstandorte. Wie sich dieses Netzwerk auf Dauer entwickelt, wird derzeit noch analysiert und bewertet. Der kürzlich erfolgte Immobilien-Verkauf gibt uns aber die Flexibilität, hier langfristig sinnvolle Veränderungen durchführen zu können. Wie viel Euro wollen Sie also insgesamt in diesem Jahr einsparen? Für unser Ergebnis brauche ich einen deutlichen Millionen-Betrag. Wobei unser erstes Quartal 2019 sehr vielversprechend war. Wir hatten einen super Start. Dank Mehrvolumen, Preisanpassung, Kosteneinspar-Maßnahmen und der entspannteren Laderaum-Situation. Wobei es verfrüht wäre zu sagen: Die Nagel-Group hat es geschafft. Das hätte uns auch überrascht. In Ihrem Rundschreiben haben Sie ja, wie man hört, den Leitern der Ländergesellschaften gerade mitgeteilt, dass sich Nagel wieder auf seine Kernkompetenzen fokussieren wolle. Was sind aus Ihrer Sicht die Kernkompetenzen? Unsere Kernkompetenzen sind ganz klar: Die Nagel-Group ist ein Familienunternehmen. Die Nagel-Group ist Marktführer in der Lebensmittellogistik in Deutschland. Die Nagel-Group ist systemrelevant. All dies wollen wir bleiben. Und ganz wichtig: Wir wollen unsere Ertragsstärke steigern. Das gelingt uns aber nur, wenn wir uns auf das fokussieren, was wir gut können. Und das sind nun einmal der Transport, die Lagerung sowie Mehrwertdienste im Segment Lebensmittel und temperaturgeführter Produkte. Wir sind kein Gemischtwarenladen. Und das werden wir auch nicht. Wir wollen aber digitaler, automatisierter, produktiver und ertragsstärker werden. Wie wichtig ist für Sie vor diesem Hintergrund Ihr Auslandsnetz? Noch ist ja Nagel in 15 Ländern Europas mit eigenen Assets vertreten, wobei Sie Rumänien unlängst geschlossen haben. Schwierige Frage. Ich kenne keinen Kunden, der mit uns Europa durchgängig bedient. Ich kenne aber Kunden, die mit uns bereits in mehreren Ländern arbeiten. Wir sind auch mit einigen großen Kunden international gewachsen. Für unsere Kunden ist es also wichtig, dass wir sie in Europa bedienen können. Ob dafür immer eine eigene Struktur erforderlich ist, analysieren wir gerade. Wie tragen denn die einzelnen Länder zu Ihrem Ergebnis bei? Das ist sehr unterschiedlich. UK, Polen, Deutschland, Österreich, Italien bringen weiterhin tolle Beiträge. In Osteuropa, ausgenommen in Polen, suchen wir noch nach dem richtigen Set-up. Interessanterweise entwickelt sich Ungarn dank Neugeschäft gerade gut, Tschechien ebenfalls, den Standort Slowakei habe ich erst einmal gesehen. In Belgien, Holland und Frankreich machen wir jeweils Umsätze im Millionenbereich. In Dänemark aber sollen die Probleme massiv sein. Dänemark war in der Tat tragisch. Wir haben das Management ausgewechselt und unsere Preise angepasst. Außerdem bauen wir dort die Netz-Struktur um. Bislang hat Dänemark sehr autark gearbeitet. Jetzt speist die Landesgesellschaft stärker in unser Netz ein und umgekehrt. Dadurch sparen wir Equipment und Verkehre. Klar ist: Dänemark muss den Turnaround schaffen. Und wie sieht es mit Ihrem England-Geschäft aus? Angeblich stellen Sie das durch den Brexit gerade zur Disposition. Sie beziehen sich auf einen Artikel in einer namhaften Wirtschaftszeitung, in dem ich völlig falsch zitiert worden bin. Richtig ist: Großbritannien ist für uns wichtig, insbesondere der Domestic-Markt. Grenzüberschreitende Verkehre sind ein bedeutendes Geschäft, weil dahinter wichtige Kunden stehen. Wenn unsere Lkw durch einen Brexit tagelang an der Grenze stehen müssten, könnte es jedoch sein, dass der Transport nach UK für unsere Kunden zu teuer wird. Wohin wollen Sie die Nagel-Group mittelfristig also entwickeln? Auf welche Trends stellen Sie sich da ein? Wir haben heute ein klares B2B-Geschäft. Mittelfristig werden wir aber stärker B2C in den Blick nehmen müssen. Denn der Trend geht weg vom Einkauf in Supermärkten. Menschen essen vermehrt in Kantinen und Restaurants oder lassen sich Convenience Food nach Hause liefern. Wir werden sicherlich Handelsketten bei der Belieferung von Endkunden keine Konkurrenz machen. Wenn der Handel dieses Geschäftsfeld jedoch nicht mehr als seine Kernkompetenz erachtet, will ich nicht ausschließen, dass wir uns dieses Geschäft anschauen. Interessant sind für mich auch die vielen neuen Cooling-Systeme, die im Moment entstehen, etwa begehbare Kühlschränke. Auch diese müssen beliefert werden. Warum nicht von uns? Allerdings würden wir uns in einem neuen Wettbewerbsumfeld bewegen - mit Konzernen wie JD.com, Alibaba, Amazon Fresh und Uber. Und vom Geschäftsmodell her sind das wirkliche Disruptoren. Apropos Digitalisierung: Wie wollen Sie Nagel-Group für dieses Thema rüsten? Ein erster wichtiger Schritt war es, dass wir für das Thema Digitalisierung ein Innovations-Board gegründet und in der Geschäftsführung verankert haben. Für das Thema Innovation und Corporate Development ist unser Gesellschafter und Mitglied der Geschäftsführung, Tobias Nagel, verantwortlich, während ich selbst die Strategie und die IT vorantreibe. Digitalisierung ist aber ein junges Thema. Deshalb sehen wir uns im Moment sehr viel an: Innovation Labs in Berlin, das Digital Hub in Hamburg und sogar in China sehen wir uns um. Wir werden die Digitalisierung brauchen und deshalb müssen wir uns engagieren. Wie sieht also das Unternehmen Nagel-Group im Jahr 2025 aus? Ob wir reiner Nischen-Anbieter in der Lebensmittellogistik bleiben, muss man sehen. Ich kann mir vorstellen, dass wir mittelfristig unser Temperaturführungs-Know-how in andere Produktbereiche einbringen, zum Beispiel in die Pharma- und Kosmetik-Logistik. Sie sehen also: Ich bin beileibe kein Zerstörer, sondern baue die Nagel-Group konstruktiv um - zu einem noch ertragreicheren Unternehmen als heute. Mehr zum Thema im Dossier Nagel-Group www.verkehrsrundschau.de/dossiers Daten & Fakten Nagel-GroupNagel-Group mit Sitz im ostwestfälischen Versmold ist ein europaweit tätiges Logistikunternehmen mit Spezialisierung auf Lebensmittellogistik in allen Temperaturklassen. Das Familienunternehmen mit Sitz im ostwestfälischen Versmold war im Jahr 1935 von Kurt und Rudolf Nagel gegründet worden. Gesellschafter sind die Geschwister Beatrice Nagel und Tobias Nagel, die jeweils 50 Prozent an der Nagel-Group halten. Heute beschäftigt das Unternehmen über 12.000 Mitarbeiter an über 130 Niederlassungen in 15 Ländern. Zuletzt erwirtschaftete das Unternehmen nach eigenen Angaben einen Umsatz von rund zwei Milliarden Euro, schrieb aber in 2017 rote Zahlen. Die Zahlen für das Geschäftsjahr 2018 liegen noch nicht vor. Das Unternehmen richtet sich derzeit neu aus. eh Vita Carsten TauckeCarsten Taucke ist seit 1. Dezember 2018 CEO der Nagel-Group in Versmold. Der 54-Jährige ist gelernter Speditionskaufmann und Absolvent der Deutschen Außenhandels- und Verkehrs-Akademie (DAV). Er war in internationalen Industriekonzernen und Logistikunternehmen tätig. Unter anderem gehörte Taucke zehn Jahre in Deutschland und in den USA zum Management der US-amerikanischen Industriekonzerne Mallinckrodt Medical und Dade Behring. Nach einer Tätigkeit als Vorstand bei Fiege Logistik stieg Taucke 2010 bei Imperial ein, zunächst als Mitglied der Geschäftsführung der damaligen Imperial-Reederei. Danach hatte er diverse Management-Positionen bei Imperial inne. Zuletzt war Taucke Vorsitzender der Geschäftsführung der Imperial Logistics International. eh

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