Unerlaubte Arbeitnehmerüberlassung

Unerlaubte ArbeitnehmerüberlassungRisiko NiedriglohnarbeitWerkverträge sauber von Leiharbeit abzugrenzen, ist nicht immer einfach. Aktuell steht Daimler deshalb in der Kritik. Bei unerlaubter Arbeitnehmerüberlassung haftet aber nicht nur der Einsatzbetrieb, sondern auch dem Dienstleister drohen empfindliche Sanktionen.Schein oder nicht Schein – diese Frage stellt man sich derzeit bei der Staatsanwaltschaft Stuttgart. Nachdem dort gegen den Autobauer Daimler und dessen Logistikdienstleister Preymesser eine Strafanzeige wegen verdeckter Arbeitnehmerüberlassung eingegangen ist, versuchen die Justizbeamten herauszufinden, ob die beiden Unternehmen tatsächlich Scheinwerkverträge abgeschlossen und dadurch Tarifvereinbarungen und Mindestlöhne für Leiharbeit unterlaufen haben.Auslöser ist eine TV-Reportage des „Südwestrundfunks“ (SWR): Ein Reporter des SWR ließ sich dafür über ein Leiharbeitsunternehmen anstellen und an die Spedition Preymesser verleihen. Er stand danach zwei Wochen lang undercover am Fließband des Mercedes-Benz-Werkes in Untertürkheim. Der Fernsehbeitrag erhebt den Vorwurf, dass der Reporter häufig gemeinsam mit der Stammbelegschaft der Stuttgarter arbeitete, obwohl die Spedition, an die er entliehen war, per Werkvertrag für den Premiumhersteller tätig war. Damit hätte er eigentlich nicht den Weisungen der Daimler-Mitarbeiter unterstehen und auch nicht die gleichen Arbeiten verrichten dürfen. De facto sei dies aber geschehen, moniert der Reporter. Zudem sei der Stundenlohn von 8,19 Euro so niedrig, dass damit eine Hartz-IV-Aufstockung möglich sei und die Produktion der Mercedes-Fahrzeuge dadurch indirekt vom Steuerzahler finanziert werde. Daimler weist Anschuldigungen zurück Daimler hat der Darstellung des SWR wenige Tage nach der Ausstrahlung der TV-Reportage am 13. Mai 2013 widersprochen: Der Reporter sei von Preymesser in seine Aufgaben eingewiesen worden und habe nicht die gleichen Tätigkeiten wie die Mitarbeiter des Konzerns ausgeführt, hieß es in einer Stellungnahme. Die Mitarbeiter in dem betroffenen Bereich seien Facharbeiter und hätten eine entsprechende Ausbildung. „Der Reporter hat keine Weisungen zur Erfüllung seiner Logistikdienstleistungen von unseren Führungskräften oder Mitarbeitern erhalten“, versicherte Wilfried Porth, Personalvorstand und Arbeitsdirektor von Daimler. Zudem genieße die Einhaltung sämtlicher arbeitsrechtlicher Vorgaben zur Abgrenzung der Tätigkeiten von Drittfirmen beim Autobauer aus Stuttgart höchste Aufmerksamkeit: „Wir bekennen uns ohne Wenn und Aber zu den geltenden Regelungen in Bezug auf Werkverträge und den Einsatz von Fremdarbeitskräften“, so Porth. Staatsanwaltschaft sucht Anhaltspunkte Ebenso wie Daimler ist Preymesser vom SWR vorab nicht über die Gründe der Recherche informiert worden. Das mittelständische Unternehmen mit Hauptsitz in Neutraubling bei Regensburg ist seit über 16 Jahren für Daimler tätig und erbringt für den Autobauer auf Werkvertragsbasis logistische Aufgaben wie die Ein- und Auslagerung sowie Transportaufgaben. Der Juniorchef der Spedition ist von den Anschuldigungen in erster Linie überrascht gewesen. „Wir haben eher zufällig davon erfahren, dass über uns im Fernsehen berichtet wird“, erklärte Florian Preymesser auf Anfrage. Zu den Vorwürfen wollte er sich aufgrund des schwebenden Verfahrens nicht äußern. Man kooperiere mit den Ermittlungsbehörden und sei zuversichtlich, die Vorwürfe ausräumen zu können. Unabhängig von der Strafanzeige hatte die Staatsanwaltschaft Stuttgart bereits wegen des Fernsehbeitrags einen Beobachtungsvorgang gegen beide Unternehmen eingeleitet. Bei Daimler und Preymesser werde in alle Richtungen geprüft, ob sich ein Anfangsverdacht ergibt, sagte die Erste Staatsanwältin Claudia Krauth. „Einer der möglichen Verdachtsmomente könnte der Paragraf 266a des Strafgesetzbuchs sein, also das Vorenthalten und Veruntreuen von Arbeitsentgelt.“ Bei dem Beobachtungsvorgang handele es sich um die Vorstufe eines Ermittlungsverfahrens, bei der noch keine Zeugen vernommen werden dürfen. Dabei dürften öffentlich zugängliche Quellen genutzt werden. Gesetzeslücke ermöglicht Missbrauch Seit 2012 gilt für die rund 900.000 Zeitarbeiter in Deutschland ein Bruttomindestlohn, der inzwischen bei 8,19 Euro im Westen und 7,50 Euro im Osten liegt. Bereits seit 2003 unterliegen Verleiher dem im Arbeitnehmerüberlassungsgesetz (AÜG) verankerten Equal-Pay-Gebot, wonach Leiharbeitern bei vergleichbarer Arbeit der gleiche Lohn wie der Stammbelegschaft zusteht, wenn nicht ein Tarifvertrag anderes regelt. Weil Leiharbeiter vielen Wirtschaftsunternehmen inzwischen schlicht zu teuer sind, lagern sie einzelne Teilbereiche aus und kaufen sie über Dienstleister billiger wieder ein. „Unter regulären Bedingungen sind Werkverträge eine legale Strategie, um Lohnkosten an die Leistung und Produktivität anzupassen“, erläutert Nathalie Oberthür, Rechtsanwältin in der Kanzlei Ruttkamp, Portz, Oberthür in Köln. Sie weiß aber auch von Unternehmen, die dieses Instrument ausnutzen. Eine Gesetzlücke macht es möglich: „Liegt ein Scheinwerkvertrag vor und besitze die Fremdfirma gleichzeitig eine Erlaubnis der Arbeitsagentur für Leiharbeit, schützt das die Entleiher“, sagt die Fachanwältin für Arbeitsrecht und Sozialrecht. Die Arbeitnehmer hätten gegenüber dem Verleiher dann Anspruch auf Equal Pay, also auf eine Differenzvergütung nach dem AÜG. Es droht also lediglich ein Rückfall auf die Konditionen der Leiharbeit. Dies führt immer häufiger dazu, dass Konzerne Werkverträge nur mit Fremdfirmen aushandeln, die eine Erlaubnis für Leiharbeit besitzen. Damit können sie sich absichern und müssen kaum Rechtsfolgen befürchten. „Ich glaube, die meisten Unternehmen wissen, was sie tun“, sagt die Rechtsanwältin. In eine unerlaubte Arbeitnehmerüberlassung rutsche man selten aus Versehen. Deshalb versuchen Politiker und Gewerkschaften seit Kurzem, das Werkvertragsrecht einzuschränken.„Da gibt es zum Beispiel einen Gesetzentwurf der SPD “, sagt Oberthür. Dieser sieht ein Mitbestimmungsrecht des Betriebsrats auch für Fremdpersonal vor. Inzwischen hat sich auch Arbeitsministerin Ursula von der Leyen (CDU) des Themas angenommen. Sie plant neben der Ausweitung des Mitspracherechts der Betriebsräte, die Kontrollmöglichkeiten der zuständigen Zollbehörden zu verbessern und die Arbeitnehmerüberlassungserlaubnis auf echte Leiharbeit zu beschränken. Denn: „Wenn es keine Erlaubnis gibt, gilt ein Arbeitsverhältnis als zustande gekommen und die Leiharbeiter gehen auf den Entleiher über“, sagt die Arbeitsrechtlerin. Dem ursprünglich fremden Personal stünden somit für den Rest der Vertragslaufzeit die gleichen tariflichen Entlohnungs- und Arbeitsbedingungen zu wie der Stammbelegschaft. Korrekte Abgrenzung ist nicht einfach Der Grat zwischen Werkvertrag und Leiharbeit ist schmal. Ein Problem sei, dass in der Praxis oft nicht sauber differenziert werde, sagt Oberthür. „Aus dem Werkvertrag muss eindeutig hervorgehen, welches Werk hergestellt beziehungsweise welche Leistung erbracht werden muss“, sagt sie. Beide Vertragsparteien müssten zudem dafür sorgen, dass diese Regelungen auch umgesetzt werden. Wenn zum Beispiel die Arbeitnehmer des Werkherstellers und die des Werkbestellers räumlich nicht voneinander abgegrenzt oder das Fremdpersonal seine Anweisungen von der Stammbelegschaft bekommt, könne dies den Vertragspartnern zum Verhängnis werden. Ein Verleih ohne Erlaubnis ist laut AÜG ordnungswidrig und kann richtig teuer werden – auch für den Entleiher. Es drohten Geldbußen von bis zu 500.000 Euro. Dabei könne der durch die unerlaubte Handlung erzielte wirtschaftliche Vorteil abgeschöpft werden, wodurch mitunter der Bußgeldrahmen überschritten wird. Jede rechtskräftige Geldbuße über 200 Euro werde außerdem in das Gewerbezentralregister eingetragen und das habe Auswirkungen auf die Beurteilung der Zuverlässigkeit eines Unternehmens, sagt Oberthür. Zudem hafteten der Werkhersteller und -besteller für nicht abgeführte Sozialversicherungsbeiträge. Kaufland muss mehrere Millionen zahlen Dass solche Sanktionen ein Unternehmen empfindlich treffen können, zeigt das Beispiel von Kaufland. Anfang 2012 stand die SB-Warenhauskette wegen unerlaubter Arbeitnehmerüberlassung in der Kritik. Eineinhalb Jahre nach einer Großrazzia des Zolls in drei Logistikzentren einigten sich die Staatsanwaltschaft Stuttgart und der Einzelhandelskonzern nun auf die Einstellung des Verfahrens gegen Zahlungen in Millionenhöhe. Wie das „Handelsblatt“ berichtete, hat sich Kaufland laut Staatsanwaltschaft verpflichtet, fünf Millionen Euro an die Staatskasse zu überweisen, eine Million Euro wird demnach als Ordnungsgeld beim Hauptzollamt fällig. Diese Summe hat sich Kaufland Schätzungen der Staatsanwaltschaft zufolge durch Scheinwerkverträge im Vergleich zu den höheren Tariflöhnen unzulässig gespart. Weitere drei Millionen Euro hat Kaufland bereits an Beiträgen an die Sozialversicherung zurücküberwiesen. „Dank der Vernehmungen von Lagerarbeitern und Verantwortlichen durch den Zoll konnten wir den Einsatz von Scheinwerkverträgen in einem Logistikzentrum weitestgehend nachweisen“, sagte Claudia Krauth von der Staatsanwaltschaft Stuttgart Mitte Mai dem „Handelsblatt“. Schuldige sind schwierig auszumachen Ob Daimler und Preymesser ähnliche Strafen drohen, ist noch nicht absehbar. Solange die Fakten nicht im rechtsstaatlichen Verfahren geklärt sind, gilt die Unschuldsvermutung. Auf die Zusammenarbeit der Unternehmen hatte der Fernsehbeitrag bisher keine Auswirkungen. Und das könnte auch so bleiben. Denn zu belegen, dass ein Werkvertrag in Wahrheit ein verkappter Arbeitsvertrag ist, fällt den Beamten der Bundesagentur für Arbeit und der Finanzkontrolle Schwarzarbeit der Zollverwaltung in vielen Fällen ebenso schwer, wie den verantwortlichen Managern einen Vorsatz nachzuweisen. ❙❚■ André Gieße Interview In Stuttgart ist man sich keiner Schuld bewusst und weist die Vorwürfe des Reporters zurück Welche Lehren sollten Logistiker aus diesem Fall ziehen? Stefan Sell ist Professor für Volkswirtschaftslehre, Sozialpolitik und Sozialwissenschaften am Rhein-Ahr-Campus Remagen der Fachhochschule Koblenz und ist Experte in Arbeitsmarktfragen.Die Spedition Preymesser soll laut dem TV-Bericht „Hungerlohn“ an Daimler Arbeitskräfte entliehen haben, die angeblich die gleiche Arbeit wie Mitarbeiter des Konzerns gemacht haben und auch diesen unterstellt gewesen sein sollen. Welchen Fehler wirft diese Reportage der Spedition konkret vor? Stefan Sell: Wenn die TV-Reportage so korrekt ist, besteht der Fehler der Spedition darin, dass sie ihre Leute für Tätigkeiten eingesetzt hat, für die der Rechtsrahmen des Werkvertrags nicht gilt. Werkverträge sind von der Leiharbeit dadurch abgegrenzt, dass der Auftragnehmer in eigener unternehmerischer Verantwortung mithilfe seines Personals klar abgegrenzte Aufgaben erbringt. Stattdessen zeigte der TV-Bericht, dass der Reporter direkt neben den Stammbeschäftigten von Daimler eingesetzt worden war. Er machte also die gleichen Aufgaben wie diese und erhielt auch von diesen konkrete Anweisungen. Rein rechtlich könnte man dies nur mit Leiharbeitnehmern machen.Wie verändern Werkverträge das Verhältnis von Auftraggeber und Auftragnehmer?Es gibt inzwischen eine Dreiklassen-Gesellschaft in Großfirmen: Sie besteht aus der kostspieligen Stammbelegschaft, den mittlerweile teuren Leiharbeitern und den noch günstigeren Werkvertragsarbeitnehmern. Dadurch kommt es zu Überlappungen. Zudem werden Werkvertragsfirmen von großen Auftraggebern zunehmend in die Rolle gedrängt, die Discounter seit Jahren mit ihren Lieferanten leben. Diese treten zu Gesprächen in der Zentrale an, wo man ihnen einen Vertrag mit zehn Prozent Preisnachlass präsentiert. Wer nicht mitmacht, wird ausgelistet. Da werden keine Verträge verhandelt, sondern Bedingungen entgegengenommen. Was können Transport- und Speditionsdienstleister aus diesem Fall lernen?Wenn zum Beispiel ein Transporteur über einen Werkvertrag Transporte für eine Produktionsfirma erbringt, ist alles in Ordnung. Problematisch wird es nur, wenn die Aufgaben des Auftragnehmers in die eigentlichen Kernprozesse seines Auftraggebers hineinreichen. Das ist zum Beispiel der Fall, wenn Mitarbeiter auf Basis unterschiedlicher Vertragsinhalte und Rechtsgrundlagen bei einem Produzenten nahe zusammenarbeiten und die Tätigkeiten der Werkvertragsarbeitnehmer nicht klar von denen der Stammbelegschaft abgegrenzt sind. In diesem Fall droht sowohl für den Transporteur als auch den Auftraggeber die Gefahr, dass sie in die illegale Arbeitnehmerüberlassung hineintappen. Einziger Ausweg ist aus meiner Sicht eine langfristige Systempartnerschaft zwischen beiden Seiten. Ein Werkvertragsnehmer, hier der Spediteur, sollte unbedingt darauf hinwirken, dass auch seine Forderungen in den Werkvertrag einfließen. ehBegriffserklärung Werkvertrag versus LeiharbeitWährend der Verleiher bei Zeitarbeitsverträgen dem Entleiher geeignete Arbeitskräfte überlässt, die dieser nach eigenem Gutdünken einsetzt, ordert der Werkbesteller bei Abschluss eines Werkvertrags vorab definierte Leistungen zum Festpreis. Bezahlt wird nämlich nicht nach Stunden, sondern pro Werk. Dieses Werk kann die Herstellung einer bestimmten Sache, aber auch ein immaterielles Ergebnis wie das Abladen von Paletten umfassen. Entscheidend ist, dass der Werkhersteller die vereinbarte Leistung selbst erarbeiten und organisieren muss. Ob der Einsatz von Fremdpersonal im Unternehmen Bestandteil eines Werkvertrags oder doch eine Arbeitnehmerüberlassung ist, richtet sich nach der getroffenen Vereinbarung, bei Abweichungen nach der Durchführung in der Geschäftsbeziehung. Auf die Bezeichnung im Vertrag kommt es dabei nicht an. Werden aber fremde Mitarbeiter wie Beschäftigte der Stammbelegschaft eingesetzt, in die Betriebsabläufe des Werkbestellers eingebunden, mit dessen Arbeitsmitteln ausgestattet und erhalten sie hauptsächlich ihre Anweisungen durch ihn, dann liegt ein klassischer Fall von verdeckter Zeitarbeit, also von Scheinwerkverträgen vor. ag„Bei Daimler und Preymesser wird in alle Richtungen geprüft, ob sich ein Anfangsverdacht ergibt“ Claudia Krauth, Erste Staatsanwältin der Staatsanwaltschaft Stuttgart Wer erwischt wird, muss mit empfindlichen Strafen und Nachzahlungen rechnen

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