"Tief sitzender Frust"

Das Formular verlangt außer Unternehmensname und -anschrift nur wenige Angaben, aber genau die haben es in sich. Der KEP- Unternehmer bestätigt, dass er die Anforderungen des Mindestlohngesetzes (MiLoG) kennt und umsetzt. Er unterschreibt, dass er Beginn, Ende und Dauer der Arbeitszeit von fest angestellten Mitarbeitern aufzeichnet und diese Daten mindestens zwei Jahre aufbewahrt. Außerdem sichert er zu, dass auch seine Subunternehmer fest angestellten Mitarbeitern einen Stundenlohn von wenigstens 8,50 Euro zahlen und dies im gleichen Formular bestätigen werden. Seit Mitte November kann dieses Formular auf der KEP-Frachtenbörse "E-Kurier" abgerufen und unterschrieben per E-Mail oder Post zurückgeschickt werden. Rund 500 Mitgliedsunternehmen haben dies bis Ende Februar getan. Wenn sie in Zukunft Frachtangebote einstellen und abrufen, zeigt ein Button die freiwillige Selbstauskunft an. "Jeder dritte Partner, der E-Kurier regelmäßig nutzt, hat reagiert", bestätigt Hans Reischer, Verkaufsleiter von Hierl & Müller. Das Straubinger Logistikunternehmen ist Gründer und Betreiber von E-Kurier. Als besonders bemerkenswert empfindet Reischer, dass jeder zweite Teilnehmer laut eigener Aussage fest angestellte Fahrer einsetzt. Die meisten übrigen Auskunftgeber beschäftigen Subunternehmen mit fest angestellten Fahrern. "Der Mindestlohn ist in der KEP-Branche angekommen", resümiert Reischer. Genauso sieht dies der Bundesverband der Kurier-Express-Postdienste (BdKEP) in Berlin, der den E-Kurier-Fragebogen mit initiiert hat. Allerdings hat Andreas Schumann, Vorsitzender des BdKEP, einen tief sitzenden Frust über die Marktsituation im Allgemeinen und die MiLoG-Paragrafen im Besonderen ausgemacht. "Viele KEP-Unternehmen erklären ihren Auftraggebern unverblümt, dass sie selbst zwar den Mindestlohn zahlen, dies aber nicht für ihre Subunternehmer garantieren können, weil die vereinbarten Preise einfach zu niedrig sind", berichtet der Verbandschef. Mit Sicherheit werden diese Firmen nicht den E-Kurier-Fragebogen ausfüllen. Bleibt abzuwarten, wie die Kunden reagieren. Sie können entweder den KEP-Dienstleister wechseln oder sich auf neue Preisverhandlungen einlassen. Wie auch immer: Als Auftraggeber haften diese Kunden laut Paragraf 13 des MiLoG für ihre Auftragnehmer und deren Subunternehmer. Wenn Letztere keinen Mindestlohn zahlen, drohen also auch den Kunden Bußgelder. Personalprobleme wegen Mindestlohn Grundsätzlich sind die einzelnen KEP-Unternehmen sehr unterschiedlich vom neuen Mindestlohngesetz betroffen. Für die meisten Stadtkurierdienste ist der Mindestlohn kein Thema. Sie beschäftigen ausschließlich selbstfahrende Kuriere, die von ihren eigenen Gewinnen leben. Ganz anders stellt sich die Lage für Unternehmen dar, die bislang sendungsaufkommensabhängige Stücklöhne gezahlt haben. Sie müssen diese nun in Mindestlohnsätze überführen und Aushilfen durch fest angestellte Arbeitskräfte ersetzen. Mancher Briefdienst aus den neuen Bundesländern hat deshalb dem Vernehmen nach mit Personalproblemen zu kämpfen: Da einige Aushilfen ausschließlich in aufkommensstarken Zeiten wie den Vorweihnachtswochen gearbeitet haben, verdienen sie mit dem Mindestlohn weniger. Gleiches gilt für einige Fahrer von Direktkurierdiensten: Sie sind bislang mit niedrigeren Stundensätzen als 8,50 Euro entlohnt worden, haben aber sehr großzügige Spesen für Übernachtung und Verpflegung erhalten. Auch dieses Modell hat seit dem 1. Januar 2015 jetzt ausgedient. "Vor allem bei osteuropäischen Kurierdiensten sind solche Entgeltkonzepte weitverbreitet", weiß Gerd Röttger, Geschäftsführer des Kurier- und Expressunternehmens InTime. Jetzt müssen KEP-Dienstleister aus Polen, Tschechien und anderen osteuropäischen Ländern, wo die Mindestlohnsätze niedriger als 2,50 Euro/Stunde sind, auch für Transporte von und nach Deutschland den deutschen Mindestlohn zahlen. Ohnehin sehen sich gerade die nationalen und internationalen Direktkuriere von dem neuen Mindestlohngesetz am meisten in Mitleidenschaft gezogen. Denn vor allem diese Unternehmen beschäftigen fest angestelltes Fahrpersonal oder arbeiten mit Subunternehmern, die wenigstens einzelne Fahrer fest angestellt haben. Außerdem sind diese Unternehmen besonders stark von den Dokumentationspflichten betroffen. So müssen diese unter anderem für jeden Mitarbeiter, der bis zu 2958 Euro im Monat verdient und somit theoretisch - bei dann allerdings acht Überstunden am Werktag - Mindestlohn beziehen könnte, Arbeitszeiten aufzeichnen und Pausenzeiten abziehen. Auch auf die ausländischen Subunternehmer kommt jede Menge Papierkram zu. Sie müssen jeden grenzüberschreitenden Verkehr beim deutschen Zoll anmelden und ihren Fahrern eine Bestätigung mitgeben, dass sie auf Deutschland-Touren nach dem deutschen Mindestlohngesetz bezahlt werden. Genau hier fangen die Probleme an. Da KEP-Fahrer in der Regel Fahrzeuge unter 3,5 Tonnen Gesamtgewicht fahren, zeichnet kein digitaler Tachograf ihre Lenk- und Ruhezeiten auf. Für die meisten Fahrer führt an handschriftlichen Notizen kein Weg vorbei. "Jeder Mitarbeiter muss seine Arbeitszeiten zwei Mal aufzeichnen - einmal in den Tageskontrollblättern und einmal in der Disposition", hat Busso von Alvensleben, geschäftsführender Gesellschafter von KDE in Erlangen, festgelegt. Taucht der Zoll dann tatsächlich zu Kontrollbesuchen auf, hat Alvensleben in jedem Fall Unterlagen zur Hand. Kleinere Ungenauigkeiten sind bei diesem Verfahren indes wohl unvermeidlich. So können die in der Disposition hinterlegten Daten von denen in den Tageskontrollblättern abweichen, weil Letztere bis zu einer Viertelstunde genau sind. Ansonsten herrscht große Unsicherheit in der KEP-Branche, was letzten Endes als Arbeitszeit einzustufen ist. "Wie sind Zwei-Mann-Touren zu bewerten, bei denen ein zweiter Mitarbeiter lediglich zum Entladen und Montieren mitfährt?", fragt Reinhard Kuhn, Geschäftsführer von Optimal Kurier in Freiberg. "Der Gesetzgeber muss klar definieren, was Arbeits-, Bereitschafts- und Pausenzeiten sind", fordert er. Gerade im KEP-Berufsalltag wimmelt es von Grenzfällen. So müssen auch Direktkuriere, trotz der Eilbedürftigkeit ihrer Sendungen, bis zu drei Stunden auf die Abnahme und Entladung durch den Empfänger warten. Müssen solche unfreiwilligen Pausen nach dem Mindestlohn abgerechnet werden? Weitgehende Klarheit besteht nur über Bereitschaftszeiten, die im Betrieb verbracht werden. Sie müssen nach dem Mindestlohngesetz abgerechnet werden - der Arbeitnehmer ist ja in diesem Zeitraum unabkömmlich. Was aber ist zu tun, wenn der Fahrer daheim in seinen eigenen vier Wänden auf Fahraufträge wartet? Mancher Jurist betrachtet dies nicht als Bereitschaftszeit. Wenigstens in einem anderen Punkt schält sich rechtliche Klarheit heraus "Auch der Mindestlohn unterliegt der Arbeitnehmerentsenderichtlinie", urteilt Axel Günther, Fachanwalt für gewerblichen Rechtsschutz in Bad Dürkheim (siehe Interview). Die EU-Mitgliedstaaten können demnach mit Gesetzen wie dem Mindestlohngesetz oder Tarifverträgen Lohnuntergrenzen festlegen. "Diese müssen dann von allen, also auch ausländischen Arbeitgebern innerhalb der gesetzlichen Geltungsbereiche dieser Staaten eingehalten werden", erläutert Günther. Ein ausländischer Kurierdienst muss demnach ab Grenzübertritt seinem Fahrer den deutschen Mindestlohn zahlen - mit Ausnahme von reinen Transitfahrten, die für nicht-deutsche Destinationen disponiert werden. Dort hat die Bundesregierung ausländische Unternehmer von dem MiLoG vorerst ausgenommen. Deutsche KEP-Dienste dagegen kommen nicht umhin, ihren Fahrern für die gesamte Strecke 8,50 Euro/Stunde zu zahlen. Zumal diese außerhalb Deutschlands wohl kaum einen niedrigeren Lohn akzeptieren dürften, selbst wenn dies rechtlich möglich wäre. Gezielte Freistellungsaufträge "Als Folge des Mindestlohns werden also internationale Touren verstärkt an ausländische Subunternehmer ausgelagert werden", prognostiziert Schumann. "Diese Entwicklung hat bereits in den letzten Jahren eingesetzt und wird sich weiter beschleunigen." Das wiederum machte eine andere Herausforderung noch kniffliger: Die hiesigen KEP-Dienste haben sicherzustellen, dass ihre ausländischen Partner auf Deutschland-Touren tatsächlich nach MiLoG zahlen. Hier müssen sie sich auf Selbstauskünfte verlassen. Ob diese tatsächlich zutreffen, ist eine andere Frage. Die ersten Firmen haben bereits gehandelt: Ein großer Direktfahrten-Spezialist hat seine Subunternehmer aufgefordert, ihre Tourenkalkulationen offenzulegen. Dem Vernehmen nach hat dieses Unternehmen die Preise für einzelne Geschäftspartner bereits heraufgesetzt und anderen wegen Auskunftsverweigerung den Stuhl vor die Tür gestellt. Diesen Schritt scheuen aber offenbar andere Branchenriesen: Sie legen ihren Subunternehmern Verträge vor, in denen diese Mindestlohnzahlungen für ihre fest angestellten Fahrer bestätigen und ihren Partner von jeglicher Haftung freistellen. "Mancher Unternehmer weiß gar nicht genau, was er da wirklich unterschreibt", versichert ein Marktkenner. Ob solche Freistellungsaufträge am Ende den Anforderungen des Gesetzgebers genügen, bleibt abzuwarten. Veranstaltungstipp VerkehrsRundschau-Seminar: Mindestlohn in der KEP-Branche - raus aus der Risikofalle Für Kurier-, Express- und Paketunternehmen (KEP) birgt das neue Mindestlohngesetz (MiLoG) viele Fallen. Wer hier nicht in der Haftung sein will und teure Bußgelder vermeiden will, muss sich absichern.Was hier zu tun ist, zeigt das VerkehrsRundschau-Seminar "Mindestlohn in der KEP-Branche - raus aus der Risikofalle" am 18. Juni 2015 in Berlin am Rahmen der 4. Europäischen KEP-Tage. Ziel ist es, KEP-Unternehmern konkrete Handlungsempfehlungen zu geben, wie sie ihre Haftungsrisiken durch das neue Mindestlohngesetz minimieren und die Mehrkosten erfolgreich in den Griff bekommen können.Themenschwerpunkte des Seminars:- Welche Verantwortlichkeiten der Gesetzgeber beim Mindestlohngesetz zwingend vorschreibt- Welche Sanktionen bei Pflichtverletzungen drohen- Welche Punkte vertraglich geregelt werden können- Die Mehrkosten durch das Mindestlohngesetz erfolgreich managen, neue Organisationsstrukturen schaffen und zielführend umsetzen- Scheinselbstständigkeit vermeiden- Wie Gerichte Scheinselbstständigkeit beurteilenReferenten sind Rechtsanwalt Markus Baur, Fachanwalt für Arbeitsrecht in München, und Jürgen Weber, Geschäftsführer von ITW Consulting in Sinzig/Rhein. Weitere Informationen unter www.verkehrsrundschau.de/events im Internet.Das Seminar findet am 18. Juni 2015 statt, am Vortag der "4. Europäischen KEP-Tage" in Kooperation mit dem Bundesverband der Kurier-Express-Postdienste (BdKEP) und der Interessengemeinschaft KEP-Together in Berlin. Die 4. Europäischen KEP-Tage werden am 19. und 20. Juni 2015 direkt nebenan im Postbahnhof Berlin durchgeführt. eh

BGA: Situation im Großhandel ist schlecht

Luftfracht: DHL Express und Shell kooperieren

Konjunktur: KfW Research senkt Wachstumsprognose

Export: USA bleiben wichtigster Handelspartner

Batteriehersteller: Northvolt beantragt Gläubigerschutz

Alle Schlagzeilen

"Tief sitzender Frust"

HASHTAG

#KEP

Güterverkehr in Italien ist 2014 gewachsen

Post: Online-Boom und schwache Frachtsparte

UPS weitet Programm für besondere Güter aus

MEISTGELESEN

Emons Spedition siedelt sich am c-Port an

Bund und Länder fördern Brennstoffzellen-Lkw von Daimler Truck

Fiege baut Logistikzentrum bei Leipzig

STELLENANGEBOTE

Head of Logistics (w/m/d) mit fundierter Erfahrung im internationalen Versand

Schichtleiter (w/m/d) Logistik - Warenausgang

Area HR Business Partner

Leiter (w/m/d) Logistik Teilbereich Warenausgang

Koordinator (m/w/d) Intralogistik mit Teamleitungsfunktion

WEITERLESEN

NEWSLETTER