Stimmt die Chemie noch?

Die Chemiebranche gilt als Frühindikator für die konjunkturelle Entwicklung. Brummt ihr Geschäft, dann können sich auch andere Branchen auf eine bessere Auftragslage freuen. Hadern hingegen Bayer, BASF & Co. mit der wirtschaftlichen Lage, wirkt sich der Domino-Effekt in die andere Richtung aus. Ganz genau beobachten die Logistikdienstleister, die direkt für die Chemieindustrie tätig sind, was sich in den Auftragsbüchern ihrer Kunden tut. VCI: Durchwachsene Bilanz Die Zahlen, die der Verband der Chemischen Industrie (VCI) Ende Juli verkündete, stimmen eher skeptisch. "Die Bilanz in Deutschland fällt für das erste Halbjahr durchwachsen aus", heißt es aus der Zentrale in Frankfurt. Aber aus Sicht der Spediteure zumindest positiv: Die Produktion legte in den ersten sechs Monaten zu, wenn auch nur um ein Prozent. Sorge bereitet dem Verband zudem, dass der Umsatz wegen sinkender Preise nahezu stagniert, sodass die VCI-Prognose für das Jahr 2015 mit einer Zunahme des Gesamtumsatzes von 0,5 Prozent bescheiden ausfällt. Bei Hoyer stellt man sich auf eine entsprechende Entwicklung ein. "Der Markt ist stabil, Wachstum ist kaum zu beobachten", sagt Ortwin Nast, Vorsitzender der Geschäftsführung der Hoyer-Gruppe. Er zitiert Aussagen von Vertretern der Chemieindustrie, die zumindest in Europa nur ein moderates Wachstum vorhersagen. Michael Schaaf, Geschäftsführer der Spedition Bay Logistik, kann die Skepsis nicht teilen - zumindest nicht, was den Transport von Gütern in Tank- und Silofahrzeugen betrifft. Ein Segment, dass Bay Logistik wie viele andere Spediteure auch (siehe Marktübersicht Seite 20/21) bedient. "Wir verspüren eine steigende Nachfrage in den letzten Jahren", sagt Schaaf. Inklusive der Systempartner, die für Bay Logistik unterwegs sind, verfügt die Spedition über einen Fuhrpark von 200 Fahrzeugen. "Die Nachfrage ist groß", sagt Schaaf. Er führt das unter anderem auf die gute Baukonjunktur zurück, die verschiedene Vorprodukte der Chemieindustrie einsetzt wie PVC. Bei Bay Logistik gestaltet sich die Auftragslage sogar so gut, dass nicht die komplette Nachfrage bedient werden kann. "Wir könnten mehr machen", sagt Schaaf. Das ist aber weniger einer überbordenden Nachfrage zuzuschreiben als einem Kapazitätsmangel. "Wir spüren den Fahrermangel, aber uns fehlen auch geeignete Disponenten", sagt der Bay-Logistik-Chef. Laufleistung der Lkw sinkt Vor diesem Hintergrund bereiten ihm die Abläufe an den Be- und Entladestellen Sorge. Schaaf stellt eine zunehmend sinkende Produktivität bei den Abläufen fest. Zum Teil können seine Fahrer nicht entladen und verlieren dann wertvolle Zeit. Aufgrund des Kostendrucks in der Chemieindustrie werde an Personal bei der Be- und Entladung gespart. Zudem sei es immer schwieriger, die Routen effizient zu disponieren, da immer mehr Unternehmen mit Zeitfenstern arbeiten würden. "Diese Fenster immer aufeinander abzustimmen, ist fast ein Ding der Unmöglichkeit. Wir müssen Puffer einbauen, die uns aber Geld kosten, wenn wir sie nicht benötigen", klagt Schaaf. Zudem müssten die Zeitfenster frühzeitig gebucht werden, weil ansonsten die begehrten Zeiten vergriffen seien. Der Spediteur kann auch Zahlen vorlegen, welche Konsequenzen die schlechteren Abläufe gehabt haben. Denn die jährliche Laufleistung seiner Fahrzeuge fällt permanent: "Vor zehn Jahren betrug die noch 150.000 Kilometer. Jetzt sind wir bei 130.000, manchmal auch nur noch mehr bei 120.000 Kilometer." Auch Nast sieht in dem Zeitfenstermanagement der Industrie ein Problem, das an Bedeutung zunimmt. "Die Zeitfenster werden immer präziser vorgegeben. In Kombination mit den Sperrungen auf den Straßen aufgrund der maroden Infrastruktur macht das die Aufgabe für die Dienstleister nicht einfacher", sagt Nast. Deshalb bezeichnet er den Transport von Gefahrgut auch nicht als eine lukrative Nische, mit der sich leichtes Geld verdienen lässt. "Sicher muss man Voraussetzungen mitbringen. Gleichwohl sind die Eintrittsbarrieren nicht so hoch", sagt der Hoyer-Chef. Eine Zugmaschine leasen, einen Auflieger kaufen, eine ADR-Lizenz erwerben "und schon kann es losgehen." Fahrerengpass wird kommen Nast stellt einen enormen Wettbewerb in diesem Segment fest: "Der Druck ist hoch, auch weil alle großen Chemieunternehmen in den letzten 18 bis 24 Monaten Ausschreibungen gemacht haben. Und bei Ausschreibungen reden wir über den Preis." Schaaf ergeht es da nicht viel anders: "Auf der anderen Seite stehen hochprofessionelle Einkäufer, die ihr Geschäft verstehen", hat er ein Lob für seine Auftraggeber parat, das ihm aber zum Nachteil gereicht. "Leider gibt es immer wieder Unternehmen, die günstiger anbieten, bei denen die Not größer ist als die Vernunft", so die Erfahrung von Schaaf. Verursacht wird dies auch durch steigende Kosten, zum Beispiel für Fahrer. Derzeit sieht Nast darin noch nicht so ein großes Problem wie Schaaf, "aber der Engpass wird kommen", lautet die Prognose von Nast. "Auch deshalb, weil die Verlagerung auf die Schiene zum Stoppen gekommen ist", sagt ausgerechnet Nast, dessen Unternehmen immerhin 40 Prozent der Chemieverkehre intermodal befördert. Er kann aber gerade keine großen Sprünge bei der Bahn erkennen. Stürme und vor allem der niedrige Dieselpreis stünden einer Verlagerung derzeit entgegen, weshalb es den Straßengüterverkehr auch zukünftig geben werde. Aber: "Die Transportpreise müssen rauf, sonst sehe ich mittelfristig deutliche Qualtitätseinbußen auf breiter Front", lautet seine Botschaft. Die hört man in der Chemieindustrie natürlich nicht so gerne. Burkhard Welther, Leiter Logistik bei Clariant, ein Unternehmen der Spezialchemie, rechnet jedenfalls momentan nicht mit Preiserhöhungen. Er kann auch noch keinen Fahrermangel erkennen. Wenn Personal knapp werde, würde diese Lücke mit ausländischen Fahrern ausgeglichen, die die gleiche Qualität abliefern würden. Nur Kommunikationsprobleme würden häufiger auftreten. Clariant hat ein jährliches Aufkommen von 1,5 Millionen Tonnen, davon etwa 60 Prozent lose Ware. "Das steigt bei uns leicht", sagt Welther. Der Grund ist aber vor allem die Zusammenlegung von Produktionsstandorten. Zeitfenstermanagement bei Clariant Bei dem Anforderungsprofil an die Dienstleister orientiert sich Clariant an den Vorgaben des VCI. "Geschultes Personal gehört ebenso dazu wie Fahrzeuge, Behälter und Einrichtungen, die in einem einwandfreien Zustand sein müssen", nennt Welther ein paar Beispiele aus dem Profil. Für Clariant ist eine absolut zuverlässige Belieferung elementar. "Der Kunde bewertet die pünktliche und zuverlässige Lieferung. Halten wir da nicht die Leistung ein, ist das verbunden mit einer Bewertung. Aber bei einer gewissen Negativquote fällt man aus dem Lieferantenstamm heraus. Ist dafür die Logistik verantwortlich, ist das natürlich fatal", sagt Welther und verdeutlicht damit, welchem hohen Druck auch die Chemieunternehmen in der Logistik ausgesetzt sind. Er bescheinigt den Dienstleistern jedoch ein hohes Qualitätsniveau. Wenig erfreulich für die Dienstleister dürfte die Ankündigung von Welther sein, dass Clariant das Zeitfenstermanagementsystem ausdehnen möchte. Bei der verpackten Ware gibt es ein solches System bereits. Bei der losen Ware hat Clariant aufgrund der Skepsis der Dienstleister bislang darauf verzichtet. "Aber wir haben mehr und mehr Produktionszwänge, die eine planbarere Beladung nötig machen", sagt der Logistikleiter. Wie genau das aussehen werde, könne man derzeit noch nicht sagen. Aber Welther geht davon aus, dass früher Ladungen und Sendungen angemeldet werden müssen und nicht mehr spontan Sendungen abgeholt werden können. Doch prallen mit den Bedürfnissen der Spediteure und denen der Chemieindustrie zwei Welten aufeinander, bei denen es nur eine Frage der Zeit zu sein scheint, wann dieses aufgeladene Gemisch zu einer Reaktion führt. Gefahrgut in der Stückgutspedition Besondere Herausforderung Stückgut und Gefahrgut: Geht das überhaupt zusammen? Selbstverständlich. Das beweist die Marktübersicht (siehe Seite 22), die zeigt, dass alle Stückgutspeditionen auch Gefahrgut transportieren."Wir machen das schon seit über 20 Jahren", sagt Andreas Beuermann, in der Stückgutkooperation System Alliance für das Thema Gefahrgut zuständig und im Hauptberuf Leiter der Abteilung Consulting Security & Safety bei dem Logistikunternehmen Hellmann. Damit beispielsweise eine Palette Schuhe aber auch neben einem 200-Liter-Fass Gefahrgut transportiert werden kann, sind zahlreiche Vorkehrungen notwendig. "Bei uns haben alle Fahrer eine ADR-Bescheinigung", sagt Beuermann. Damit können sie überprüfen, ob das Gefahrgut ordentlich deklariert ist und zumindest von außen den Anschein macht, dass es ordentlich verpackt ist. Sie wissen dann auch, ob die Ware besonders gesichert werden muss (zum Beispiel mit Antirutsch-Matten) oder ob es Zusammenlade-Verbote gibt.Im Umschlag-Hub selbst gibt es gesonderte Zonen, wo Gefahrgut zwischengelagert wird, wenn erforderlich. Es gibt einen Gefahrgut-Platz mit Auffangbecken und Schutzkleidung, sollte Gefahrgut entweichen. Und selbstverständlich ist das Personal im Lager geschult. Ein großer Aufwand, den die Kooperationen betreiben. Das kostet Geld, weshalb je nach Art des Gefahrgutes, der Menge und der Kunden auch ein Aufschlag erhoben wird. Doch dies tut der Nachfrage keinen Abbruch. "Die Mengen steigen, allerdings nicht überproportional", sagt Beuermann. Und um die Kosten überschaubar zu halten, versucht Hellmann, dass die Kunden über das Internetportal die Gefahrgutsendungen buchen, wo sie dann auf Grundlage einer Datenbank die für den Transport erforderlichen Angaben machen müssen. cd Mehr zum Thema Komplette Marktübersicht Die komplette Marktübersicht zu den Tank- und Silospeditionen wie auch zu den Stückgutkooperationen mit Ansprechpartnern und Infos zur Lagerung und Tankreinigung können Premium-Abonnenten in unserem Dossier "Gefahrgut" herunterladen. In diesem Dossier finden aber auch alle anderen Leser viele weitere Informationen zu dem Thema Gefahrgut und Chemielogistik: www.verkehrsrundschau.de/dossiers cd

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