Slot statt Block - Slot-System am Brenner

Ein Klick und Sie sind drin. So stellen sich zumindest führende Politiker aus Tirol, Bayern und Südtirol das neue Konzept vor, das den Streit um die viel belastete Brenner-Route endlich ad acta legen soll. In Kürze soll der Plan vorgestellt werden. Der aktuelle Zustand auf der Brenner-Route ist indes unverändert: Im vergangenen Jahr passierten österreichischen Behördenangaben zufolge rund 2,5 Millionen Lkw die Route zwischen Deutschland und Italien. Sechs von zehn Lkw seien dabei Ausweichverkehre, die theoretisch eine kürzere Route zur Verfügung hätten, aber aufgrund der niedrigen Mautkosten die Brenner-Autobahn wählten. Österreich sieht sich aufgrund der Tatsache, dass das längste Teilstück durch Tirol führt, als Hauptbelasteter hinsichtlich der Verkehrsströme. Bislang gab es zur Entlastung nur eine unzureichende Lösung: An ausgewählten Tagen (vergangenes Jahr waren es 41) werden an der Grenze von Deutschland nach Österreich nur eine gewisse Zahl an Lkw ins Land gelassen. Die Blockabfertigungen, die in Österreich auch unter dem Begriff Dosiermaßnahmen bekannt sind, sorgten für einen Streit zwischen den Anrainerstaaten. Denn als Folge stauten sich auf der deutschen Seite die Lkw teils über 30 Kilometer lang - das Problem wurde also auf die andere Seite der Grenze verlagert, wo man sehr unzufrieden war. Slot-System als Allheilsbringer? Die Lösung soll nun eine Idee sein, die bereits zur Bewältigung der Verkehre am Hamburger Hafen genutzt wird: das Slot-System. Transportverantwortliche buchen im Vorfeld online einen Zeitabschnitt, innerhalb dessen der Lkw die Brenner-Route passieren darf. Gibt es keine Slots mehr, darf auch nicht gefahren werden und man muss umplanen. Im April des vergangenen Jahres unterzeichneten Tirol, Bayern und Südtirol eine gemeinsame Erklärung für die Konzeptionierung des Projektes. Die Ergebnisse, so hieß es damals, sollten eigentlich bis vergangenen Herbst vorliegen. Das hat sich offenbar verzögert, aber nach Informationen der VerkehrsRundschau (VR) ist das Grobgerüst fertig und soll in Kürze von den beteiligten Ländern vorgestellt werden. Auf der Suche nach den Details wird sich teils in Schweigen gehüllt: Das bayerische Verkehrsministerium will ob der baldigen Veröffentlichung kein Statement zu dem System abgeben. Der Landeshauptmann aus Südtirol, Arno Kompatscher, lässt auf Anfrage vermelden, dass das Konzept beweise, dass man trotz unterschiedlicher Standpunkte an gemeinsamen Lösungen arbeiten könne und diese auch finde. Die Idee, das Slot-System auch am Brenner auszurollen, reklamiert Professor Harry Wagner für sich. Der Forscher, der unter anderem an der Technischen Hochschule Ingolstadt in den Bereichen Intermodale Mobilität und KI tätig ist, verantwortet auch die Geschäfte der Future Mobility Solutions GmbH, kurz FMS. Hier ist auch Tamara Beschler als Consultant tätig und betreute unter anderem die ersten Schritte zur Entwicklung des Systems: "Wir haben vor knapp zwei Jahren im Auftrag des Landes Südtirol eine Machbarkeitsstudie für ein Slot-System auf der Brennertrasse erstellt", berichtet sie. Jene ist nun die Basis für das weiterführende Konzept, das im Rahmen einer länderübergreifenden Arbeitsgruppe erstellt wird. FMS ist hierbei nicht mehr beteiligt, führt aber parallel weitere Untersuchungen zum Slot-System durch: "Wir haben uns vor allem mit Spediteuren befasst, die die Nutzer der Technologie wären", erklärt Beschler. Dabei sei anhand von echten Daten simuliert worden, ob ein Slot-System überhaupt einen Effekt hätte: "Wenn wir die Ergebnisse auf eine gesamte Flotte nivellieren", so Beschler, "dann wird es auf jeden Fall eine Zeitersparnis geben." Punktuell, so die Forscherin, könne es durch unvorhergesehene Ereignisse aber zu Verzögerungen kommen; so auch, wenn beispielsweise kein Slot mehr frei ist. Auch priorisierte Slots denkbar "Wichtig ist zu wissen, dass es durch das Slot-System nicht weniger Kapazität als vorher geben wird", sagt Beschler. Eine künstliche Beschränkung der Trasse auf weniger als die mögliche Kapazität sei unter Umständen sogar rechtswidrig. Bei einem Workshop der Slot-Arbeitsgruppe in Südtirol, an dem auch FMS beteiligt war, sei zudem die Idee von priorisierten Slots durchgespielt worden, die beispielsweise für Lebensmittel-Transporte oder umweltfreundliche Lkw mit alternativen Antrieben oder besonders effizienten Reifenkonzepten infrage komme. "Perspektivisch gedacht wäre für solche Prio-Slots sogar eine Aufhebung des Nachtfahrverbots in Tirol denkbar", meint Beschler. Ob es dazu kommt oder dieser Punkt überhaupt erwünscht ist, sei aber noch unklar. Die Forscher bei FMS befassen sich zudem mit der technischen Umsetzbarkeit des Slot-Systems. So komme etwa in einer Pilotphase ein Online-Buchungssystem infrage, das später über Schnittstellen auch in bekannte Flottenmanagement-Systeme eingefügt werden könne. "Am Beginn des Slot-Korridors kann das Fahrzeug mit Kameras oder unter Umständen auch via RFID oder GPS erfasst werden", so Beschler. Welche Technologie zum Einsatz komme, müsse in einem nächsten Schritt geklärt werden. Zustimmung aus Österreich Auf diesen arbeitet auch der Tiroler Landesrat für Verkehr, René Zumtobel, hin. Der Politiker gab gegenüber der VR einige Details preis, die das neue Slot-System beinhalten könnte: "Es gibt Rahmenbedingungen, die wichtig sind: Das Slot-System ist europarechtlich möglich, das wurde bereits von unabhängigen Experten überprüft. Der Erwerb einer Durchfahrt-Genehmigung muss kostenfrei sein. Und es gibt noch einige Details, die beachtet werden müssen, wie etwa: Wie lang ist ein Slot?" Bei der Entwicklung des Konzeptes habe man sich mit Industrie- und Wirtschaftsvertretern, aber auch mit Flottenverantwortlichen zusammengesetzt. "Wir müssen den Frächtern eine flexible Zeit geben, damit die Slots auch einhaltbar sind", so der Landesrat. Für den Anfang denke man beispielsweise an einen Toleranz-Bereich von plus minus 120 Minuten, innerhalb dessen ein gebuchter Slot auch genutzt werden müsse. Dabei ist sich Zumtobel auch bewusst, dass es zunächst zu einer reservierten Haltung der Transportunternehmen kommen kann: "Wenn etwas Neues kommt, gibt es naturgemäß Vorbehalte und offene Fragen. Wir möchten das System mit einer größtmöglichen Flexibilität gestalten und sicherstellen, dass es fair ist", so der Politiker, der auch von Bedenken weiß: "Es gab etwa die Befürchtung, dass große Unternehmen alle Slots aufkaufen und kleinere Frächter leer ausgehen. Das lässt sich aber vermeiden, etwa durch die Vergabe von Kontingenten." Die Kontrolle des Systems soll, so der Tiroler Verkehrsverantwortliche, digital vonstattengehen: Denkbar ist, wie auch von FMS beschrieben, eine Erfassung der Kennzeichen und ein Abgleich im System, ob für die Erfassungszeit ein Slot gebucht wurde. "Bei Verstößen müssen wir Strafen verhängen", kündigt Zumtobel an. Die Höhe stehe noch nicht fest, sie soll aber so hoch sein, dass es sich nicht rechne, das System auszunutzen. Neue Verladezeiten? Für Flottenverantwortliche bringt das Slot-System eine neue Herausforderung mit sich. Dessen ist sich beispielsweise auch Martin Gruber, der CEO von Gruber Logistics aus Auer in Südtirol, bewusst. Er befürchtet eine Verschiebung der Lieferketten, weil nur noch eine gewisse Zahl an Lkw über den Brennerpass fahren dürfe: "Nach dem System, so wie es aktuell angelegt ist, müssten die Herstellerfirmen, von denen wir Waren laden oder entladen, flexible Arbeitszeiten rund um die Uhr einrichten und die Produktionszeiten je nach Ankunftszeit der Güter variieren können. Alternativ müssten sie Parkplätze für Fahrer bereitstellen, die zu bestimmten Zeiten nicht laden oder entladen können", meint Gruber. Dadurch würden dem CEO zufolge "zweifellos die Kosten für Stopps explodieren". Darüber hinaus würden die Wartezeiten zum Be- und Entladen das Leben der betroffenen Fahrer verschlechtern. Ob diese Befürchtung berechtigt ist, ist davon abhängig, wie viele Lkw pro Stunde über den Brennerpass fahren dürfen. Hierzu wollte sich der Tiroler Landesrat Zumtobel nicht festlegen: "Die Kapazität pro Stunde wird von vielen Faktoren abhängen, das kann man nicht pauschal benennen. Wichtige Faktoren sind etwa die Uhrzeit, der Tag oder mögliche Behinderungen. Die Zahl wird auf jeden Fall so bemessen sein, dass diejenigen, die auf die Strecke gehen, auch gut durchkommen werden." Fragt sich nur, ob es an Tagen, an denen heute Blockabfertigungen stattfinden, auch genug Zeitfenster für alle Interessierten gibt. Das lässt sich wohl nur in einem Praxisversuch herausfinden. Zumtobel sieht in dem Slot-System jedenfalls die Chance, die Strecke generell planbarer zu machen. So gebe es die Möglichkeit, bei angekündigten Baustellen von vornherein schon weniger Fahrzeuge auf die Route zu lassen und somit Staus zu verhindern. Staatsvertrag als Knackpunkt Bis das Slot-System überhaupt Realität werden kann, muss aber noch eine ganz andere Hürde genommen werden. Denn für das Vorhaben ist ein Staatsvertrag notwendig, der von Deutschland, Österreich und Italien unterzeichnet werden muss. An diesem Punkt sieht der Südtiroler Landeshauptmann Kompatscher eine große Herausforderung: "Aktuell befinden sich die Verhandlungen zwischen Deutschland, Österreich und Italien in einer Sackgasse. Die beteiligten Nationalstaaten verharren auf ihren Maximalforderungen, ohne sich auf ergebnisoffene Verhandlungen einzulassen", so Kompatscher. Er hoffe, dass das digitale Verkehrsmanagement-System als gemeinsame Lösung anerkannt werde. Insbesondere auf italienischer Seite wird abzuwarten sein, wie das Slot-System aufgefasst wird. Der amtierende Verkehrsminister Matteo Salvini hatte im vergangenen Jahr eine Klage gegen Österreich wegen der Fahrverbote am Brenner angekündigt. Diese ist nach Informationen aus Tirol noch nicht eingereicht, es ist aber unklar, ob man sich in Italien deshalb auf den Kompromiss einlässt. Auf eine VR-Anfrage hat das italienische Verkehrsministerium bislang nicht reagiert. Kein Allheilsbringer Es ist klar, dass das Slot-System nur eine Hilfe dabei sein kann, die Verkehre am Brenner besser in den Griff zu bekommen. Dessen ist sich auch Zumtobel bewusst, der dennoch sagt: "Wie müssen uns endlich mal etwas trauen. Wir machen jetzt einen Vorschlag, wir binden alle Partner mit ein und schaffen nach den jetzigen Standpunkten eine gute Lösung. Und dann setzen wir das um und sehen, wie es funktioniert. Bei Bedarf passen wir etwas an." Stimmen die Nationalstaaten zu, so glauben Zumtobel und Beschler, dass das Slot-System binnen eines Jahres in einem Pilotbetrieb starten könnte. Und der Tiroler Landesrat gibt auch das Versprechen: "Aus meiner Sicht wäre die Einführung des digitalen Verkehrsmanagement-Systems an 365 Tagen des Jahres das automatische Ende der Dosiertage." Transportunternehmen müssen sich auf irgendeine Art von Maßnahmen am Brenner einstellen. Die Frage ist, was mehr Probleme macht: Staus bei Blockabfertigungen oder mögliche Lieferkettenverschiebungen, weil man bei den Slots leer ausgegangen ist. Das ist alles nicht schön. Aber wer über den Brenner will, kommt um eines von beiden nicht herum. Hinweis der Redaktion: Am 2.2. hat Italien die Einreichung der Klage gegen die Beschränkungen am Brennerpass angekündigt. Welche Folgen dies für das Slot-System haben könnte, war zum Redaktionsschluss noch nicht bekannt.

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