Schweiz als Vorbild

Wenn wir von unserer Zukunft nicht überzeugt wären, wären wir nicht hier in Brüssel." Und: "Die Politik hört auf uns." Das sind verbale Ausrufezeichen, die überraschen mögen aus dem Mund eines Bahn-Lobbyisten. Trotzdem hat Libor Lochman, Geschäftsführer des mächtigen Bahn-Lobbyverbands "Gemeinschaft der Europäischen Bahnen" (CER), allen Grund, diese Ausrufezeichen zu setzen. EU ist der Bahn freundlich gesinnt Denn die Bahn - und damit auch der Schienengüterverkehr - hat viele Freunde in der EU, besonders bei der Kommission und im Parlament. Die Mehrheit der EU-Entscheidungsträger will genauso wie die CER, dass die Bahn in Europa eine viel größere Rolle als bisher spielen soll. Dass Anspruch und Wirklichkeit noch weit auseinanderliegen, hat zahlreiche Gründe. Bei CER glaubt man, diese Gründe zu kennen. 17 Forderungen stellt der Verband in seinem "Rail Freight Bericht 2013" auf, um die Situation zu verbessern. Auf vier Hauptpunkte fasst sie Lochman im Gespräch mit der VerkehrsRundschau zusammen: Verbesserung der Infrastruktur, Vergleichbarkeit der Leistungen mit denen anderer Verkehrsträger, Liberalisierung des Marktes und technische Harmonisierung. Zur Infrastruktur sagt Lochman: "Der große Vorteil des LKW gegenüber der Bahn ist, dass der LKW fast überall und fast zu jeder Zeit dorthin fahren kann, wo er will", sagt der 51-jährige Tscheche. Daraus leitet er zwei Forderungen bei den Investitionen in die Bahn-Infrastruktur ab. Zum einen eine verbesserte Verzweigung des Netzes mit Direktanbindung an Häfen, Hubs, Industriegebiete und -großanlagen sowie in Ballungsgebiete hinein. Die EU habe das verstanden. Für viele solcher Anbindungsprojekte stehen Mittel aus den Fördertöpfen zum Aufbau des Transeuropäischen Verkehrsnetzwerkes (TEN-V) zur Verfügung. Jetzt seien die EU-Mitgliedstaaten gefragt, diese Projekte auch zu verwirklichen. Die zweite Forderung zur Infrastruktur: mehr Strecken, die allein von Güterzügen befahren werden. "Wenn tagsüber Güterzüge warten müssen, weil Personenzüge Vorfahrt haben, ist das natürlich ein großer Nachteil", sagt Lochman. Darin liege auch einer der Hauptgründe für die oft noch mangelnde Pünktlichkeit der Güterzüge. Schon kleine Verspätungen bei der Zusammenstellung oder Abfertigung eines Zuges könnten dazu führen, dass das Zeitfenster für die Schienennutzung verpasst werde - und dann müsste man oft stundenlang warten. Doch auch in dem Kampf um Infrastrukturmittel habe die Straße die Nase vorn. "Investitionen in Straßen sind generell billiger und zahlen sich viel schneller aus", sagt Lochman. Für Politiker sei das ein Grund, die Straße zu bevorzugen. Damit könne viel einfacher ein politischer Erfolg bei den Bürgern erzielt werden als mit der Finanzierung einer Güterbahnstrecke. Auf Autobahnen können LKW und PKW fahren - auf Güterbahnstrecken sehe der Bürger keinen direkten Nutzen für sich. Kein fairer Wettbewerb mit dem LKW Partner aus der Privatwirtschaft ließen sich leichter für Straßenbauprojekte gewinnen, weil sie schneller Rendite abwerfen. "Wer in Gleise investiert, sieht erst in 20, 25 Jahren Geld", rechnet Lochman vor. Dass die Bahnen selbst einen Teil der Infrastruktur mitfinanzieren sollten, lehnt der Tscheche ab. Es sei die Rolle des Staates, für die Infrastruktur zu sorgen. Wenn sich die Bahnen direkt an solchen Kosten beteiligen sollten, müsse das auch für andere Verkehrsträger gelten. Damit ist er bei der zweiten Hauptforderung der CER: "Wir müssen eine Vergleichbarkeit schaffen darüber, wer was wofür zahlt. Dann können Bahn und LKW vernünftig miteinander konkurrieren und unter fairen Voraussetzungen zusammenarbeiten." Heute sei man von diesem Zustand weit entfernt. Zahle der Bahngütertransport für jeden Kilometer auf allen Strecken in Europa eine Abgabe, sei das für LKW anders. Doch um solche Einzelbeispiele geht es Lochman nicht. Auch LKW würden mit vielen Abgaben belastet, sagt er. Vernünftig sei eben die genannte Formel: Jeder zahlt für die gleichen Kriterien. Dadurch könnten vergleichbare Preise am Markt entstehen - und der Kunde könnte entscheiden, für welche Transportart er sich entscheide. Pläne, die zu einer größeren Vergleichbarkeit bei den Verkehrsträgerkosten führen sollen, lägen fertig in den Schubladen der EU-Kommission. Doch weil die EU gerade noch im Umbruch sei, wolle man bei der Kommission erst warten, was der künftige Verkehrskommissar von diesen Plänen halte. Zum dritten Punkt, der Liberalisierung, äußert sich Lochman zunächst nur kurz. Die Marktöffnung sei für den Güterbahnverkehr rein politisch gesehen weit fortgeschritten. Allerdings stoße sie auf ein großes Hindernis, nämlich die technische Harmonisierung, die vierte Kernforderung der CER. Die beiden letzten Punkte seien nicht voneinander zu trennen. Ohne technische Harmonisierung könne es keinen einheitlichen europäischen Eisenbahnraum mit freiem Wettbewerb und also auch keine vergleichbare Konkurrenzsituation zum LKW geben. So seien die nationalen Schienennetze untereinander meist nicht kompatibel. Bei fast jeder Grenzüberschreitung eines Güterzuges müssten Lok und Personal gewechselt werden. Gestützt auf Statistiken sieht der CER-Geschäftsführer positiv in die Zukunft. Die Konjunktur der Branche zieht langsam wieder an, wie der jüngste Bericht der EU-Kommission zeigt. Neue Wachstumspotenziale sieht Lochman im Ost-West-Transport zwischen Europa und Asien. Auch Häfen, die wie aktuell Piräus die Bahn mit Direktanbindung an Terminals bei ihrer Planung von vornherein mit einbeziehen, schaffen gleichsam natürlich neue Kundschaft. Wenn die nötige Infrastruktur vorhanden sei, habe auch der Einzelwagenverkehr, der zurzeit massiv Marktanteile verliere, seine Zukunft. Klar ist aber auch: Bei all den ungelösten Problemen wird die goldene Zeit für den Bahngüterverkehr noch nicht morgen beginnen. Dafür bedürfe es noch eines Mentalitätswandels, vor allem in Osteuropa. Dort habe man nach der Wende vor allem in Straßen investiert und die sowieso schon wenig entwickelte Bahninfrastruktur vernachlässigt. Im Vergleich dazu sei die Situation in Westeuropa viel besser.Der Traum wären Zustände wie in der Schweiz, wo die ganze Nation hinter der Bahn als Transportträger stehe. "Das kann man nur über gesellschaftlichen Konsens erreichen", so Lochman. Und dafür brauche es Generationen. Der Verband CER Mächtige Bahn-Stimme Mitglieder im europäischen Bahn-Lobbyverband CER (Community of European Railway and Infrastructure Companies) sind zurzeit 68 staatliche und private Bahnen und Infrastrukturbetreiber sowie nationale Verbände. Laut CER-Angaben decken diese Mitglieder 61 Prozent des gesamten europäischen Schienennetzes ab, repräsentieren 84 Prozent des Güterund 99 Prozent des Personenbahn verkehrs der EU plus Schweiz, Liechtenstein, Norwegen und Island sowie der mit der EU assoziierten Nachbarländer. Aus Deutschland sind die Deutsche Bahn sowie der Verband Deutscher Verkehrsunternehmen (VDV) Mitglieder bei CER. kw

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