Köln. In vier Jahren soll in der Schweiz das Kernstück der Neuen Eisenbahn-Alpentransversale (NEAT), der Gotthard-Basistunnel, eröffnet werden. Dieser ist Teil der Nord-Süd-Güterverkehrsachse über den Korridor 1 zwischen Rotterdam und Genua, dem bei ansteigendem Güteraufkommen eine wachsende Bedeutung zukommt. Deshalb arbeiten Deutschland, die Schweiz, Italien, die Niederlande und Belgien gemeinsam an einer langfristigen Strategie für den Ausbau. Doch in der Frage des Infrastrukturausbaus und der Priorisierung der Finanzmittel bestehen in den beteiligten Ländern unterschiedliche Vorstellung. Das zeichnete sich bei einer Konferenz zur Infrastrukturpolitik für den europäischen Güterverkehr in Köln ab, bei der Teilnehmer aus Politik, Wissenschaft und Wirtschaft der Länder über die zukünftigen Anforderungen an den Korridor 1 diskutierten.
Kritik kam dabei von mehreren Seiten am Tempo des Ausbaus beim deutschen Teilstück auf. „Die Schweizer bauen Tunnels schneller, als die Deutschen ein Planungsrecht erlangen“, äußerte Michael Cramer, verkehrspolitischer Sprecher der Grünen im Europäischen Parlament seinen Unmut. So hatte sich die Idee, in der Stadt Offenburg, die am Korridor 1 liegt, eine Lärmschutzwand zu errichten, als Fehlplanung erwiesen und das Ausbauprojekt erheblich verzögert.
Auch aus Sicht der Schweiz handelt Deutschland nicht schnell genug, nämlich bei der Umsetzung des Vertrags von Lugano. Dieser sieht einen Ausbau der Strecke Basel-Karlsruhe auf vier Spuren vor, damit nach Eröffnung des Gotthard Basistunnels (2016) und des Ceneri-Basistunnels (2019) die alpenquerenden Güter konsequent auf die Schiene verlagert werden können. Michael Odenwald, Staatssekretär im deutschen Verkehrsministerium, sagte, der 4-Spur-Ausbau werde – ausgenommen des Teilstücks zwischen Offenburg und Kenzingen – „bis voraussichtlich 2022“ fertig sein. Er berief sich darauf, dass es im Vertrag von Lugano keine konkreten Zeitabsprachen gebe. Dem widersprach der Schweizerische Botschafter Tim Guldimann. Der Vertrag sehe vor, dass die Kapazität der Zulaufstrecke in Süddeutschland schritthaltend mit der Verkehrsnachfrage und aufeinander abgestimmt erhöht werden müsse. Die NEAT sei bereits 2019 voll ausgebaut.
Infrastrukturfonds sichern Finanzierung in der Schweiz
Auch beim Thema Finanzierung sind die Schweiz und Deutschland uneins. Um langfristige Verkehrsprojekte zu schultern, schuf die Schweiz einen Fonds, der eine Finanzierung großer Infrastrukturprojekte außerhalb des ordentlichen Budgets und eine Finanzierung der Schiene durch die Straße erlaubt. In Deutschland hingegen gibt es weder eine Fondslösung, noch die Umlenkung der Mittel von der Straße auf die Schiene. Hugo Gratza, Leiter der Unterabteilung LA 1 Eisenbahnen im deutschen Verkehrsministerium zeigte sich vom Schweizer Modell beeindruckt: „Infrastrukturfonds wie in der Schweiz machen deutsche Verkehrspolitiker neidisch“. „Deutschland muss die Planung und Finanzierung der Verkehrsinfrastruktur überdenken“, erklärte Anton Hofreiter (Bündnis 90/Die Grünen), Vorsitzender des Verkehrsausschusses im Deutschen Bundestag. Weiteren Verhandlungsbedarf sahen die Teilnehmer auch bei der Vereinheitlichung von Regeln und Sicherheitssystemen sowie beim Lärmschutz. (bw)
John C. Albrecht