Mehrere Verbände aus der Schienengüterbranche haben die Gleitende Langzeit-Verkehrsprognose aus dem Bundesverkehrsministerium als „zu straßenfixiert und weitgehend realitätsfern“ kritisiert. Die Allianz pro Schiene, der Verband der Güterwagenhalter in Deutschland, der Verband Deutscher Verkehrsunternehmen (VDV) sowie „Die Güterbahnen“ warnen vor einer eklatanten Fehlsteuerung beim Ausbau der Infrastruktur.
In der derzeitigen Prognose des Bundesverkehrsministeriums würden Marktentwicklungen und Innovationen auf der Schiene „außen vor gelassen, das Wachstumspotenzial des Schienengüterverkehrs bewusst kleingerechnet“, so die Verbände. „Prognosen sind keine Fakten. Viele Annahmen der Prognose sind noch dazu wenig plausibel. Die Vorhersage bleibt sogar hinter der Realität der aktuellen Marktentwicklungen zurück“, sagte der Geschäftsführer der Allianz pro Schiene, Dirk Flege, kritisierte bei einer gemeinsamen Pressekonferenz in Berlin.
Fahrermangel ein Riesenproblem
Der Geschäftsführer der „Güterbahnen“, Peter Westenberger, sagte: „Das Jahr 1983 hat angerufen und möchte seine Verkehrspolitik zurück. Niemand in Deutschland will nochmal die Hälfte mehr Lkw auf den Straßen als heute. Es wird auch schlicht nicht genug Lkw-Fahrer geben, um ein Wachstum von 54 Prozent im Straßengüterverkehr zu realisieren.“ Schon heute sei der Fahrermangel ein Riesenproblem, und der demographische Wandel werde die Situation in den nächsten Jahren noch verschärfen.
Laut Westenberger laute die Kernfrage: „Wofür brauchen wir einen Verkehrsminister, wenn er nicht willens ist, prognostizierten Trendszenarien mit den Mitteln der Verkehrspolitik im Sinne eines umweltverträglichen Güterverkehrs entgegenzuwirken?“ Westenberger sagte weiter: „Bei einer unvoreingenommenen technologieoffenen Überprüfung wäre mehr Schiene herausgekommen. Doch die Prämissen für die Prognose wurden bewusst straßenfreundlich ausgewählt und die verkehrs- und klimapolitischen Ziele der Ampel-Koalition ignoriert.“
Verbände sehen steigende Nachfrage im Schienenverkehr
Der Vorsitzende des Verbands der Güterwagenhalter in Deutschland (VPI), Malte Lawrenz, riet dazu, die Innovationsfähigkeit der Branche anzuerkennen: „Die Wagenhalter haben sich längst auf die Veränderungen am Markt eingestellt. Anders als das Bundesverkehrsministerium es darstellt, wird die Nachfrage auf der Schiene nicht sinken, nur weil weniger Kohle transportiert wird. Beispielsweise drängen die Hersteller von Wasserstoff, Flüssigerdgas und Ammoniak sowie von Waren auf Paletten zunehmend auf die Schiene.“
Dazu ergänzte der Geschäftsführer des Verbands Deutscher Verkehrsunternehmen (VDV), Martin Henke, dass die Realität in der Wirtschaft und vor allem bei Speditionen und Verladern mittlerweile eine andere sei als in der Prognose unterstellt: „Die Prognose bildet die Marktrealität im Güterverkehr nicht mehr ab. Spediteure und die verladende Wirtschaft drängen inzwischen massiv auf die Schiene, weil sie wissen, dass die Straßen voll und die Fahrerkabinen der Lkw leer sind und bleiben. Zudem wird die Lkw-Maut weiter steigen und eine gute Ökobilanz spielt auch in der Logistik inzwischen eine entscheidende Rolle. Die Wirtschaft ist also in ihrem Handeln längst weiter in Richtung Schienengüterverkehr. Dem muss in der Verkehrspolitik mehr Rechnung getragen werden.“
Darüber hinaus weist der VDV darauf hin, dass auch das Potenzial des Kombinierten Verkehrs – d.h. eine frühzeitige Verlagerung vom Lkw auf die Schiene – stärker in den Blick genommen werden müsse.
„Der Bundesverkehrsminister darf seine Politik nicht an unrealistischen Prognosen ausrichten“, sagte Dirk Flege im Namen aller vier Verbände und erklärte abschließend: „Nur eine insgesamt effiziente Logistik ist zukunftsfähig. Koalitionsvertrag und Klimaziele geben eindeutige Eckpfeiler vor – nun muss die Politik die Infrastruktur schaffen, damit diese Ziele auch erreicht werden. Alles andere wäre eine verkehrspolitische Geisterfahrt.“
BMDV weist Vorwürfe zurück
Das Bundesverkehrsministerium (BMDV) wies die Kritik der Verbände am Mittwoch als nicht nachvollziehbar zurück. Bei den Verkehrsprognosen des Bundes handele es sich jeweils um eine möglichst realistische Vorausschau auf einen langfristigen Zeithorizont, teilte das BMDV mit. Die Verkehrsprognosen des BMDV sollen dabei als Grundlage der Politikgestaltung dienen. Die Kritik, Aspekte wie der Fahrermangel seien nicht berücksichtigt worden, treffe nicht zu. Dieser sei durchaus einbezogen worden, so das BMDV.
Dieser Beitrag wurde am 17. Mai um 16.22 Uhr aktualisiert.