Russlands WTO-Beitritt

Russlands WTO-Beitritt Putin bremst fremde Lastwagen aus Nach Russlands WTO-Beitritt hofften europäische Nutzfahrzeughersteller und -händler, dass Geschäfte dort einfacher und öfter zustande kommen. Doch der Kreml schützt die heimische Wirtschaft durch neue Sonderabgaben für Importeure. Die Verhandlungen haben 18 Jahre gedauert. Seit 23. August 2012 ist Russland nun offiziell Mitglied der Welthandelsorganisation (WTO). Die Verpflichtung der Russischen Föderation schließt unter anderem eine Senkung der Einfuhrzölle von durchschnittlich 10 Prozent auf 7,8 Prozent ein. Mengenmäßige Importeinschränkungen werden damit abgeschafft, Exportzölle auf rund 700 Waren begrenzt. Für die Europäische Union (EU) hat sie besondere Bedeutung: Denn die EU ist der größte Handelspartner von Russland und Russland wiederum der drittgrößte Handelspartner der EU. Nach Russland werden vor allem Kraftfahrzeuge (7 Milliarden Euro), Autoteile (3,5 Milliarden Euro) und Zugmaschinen (1 Milliarde Euro) importiert. Im Gegenzug führt Russland vornehmlich Rohstoffe wie Erdöl und -gas in die EU ein. Niedrigere Einfuhrzölle in zwei Stufen Die WTO-Mitgliedschaft soll den Handel von und nach Russland vereinfachen und liberalisieren. Multilaterale Regeln und Verpflichtungen gelten nun auch für den Rohstoffriesen und hohe Zölle auf Waren, die in das Land importiert werden, gehören der Vergangenheit an. So sinken laut Germany Trade & Invest, einer Gesellschaft der Bundesrepublik Deutschland für Außenwirtschaft und Standortmarketing, die Einfuhrzölle auf neue LKW umgehend von 25 auf 10 Prozent und drei Jahre später weiter auf 5 Prozent. Andere Zollsätze gelten künftig für gebrauchte Nutzfahrzeuge: Für drei bis sieben Jahre alte LKW reduzieren sich die Einfuhrzölle demnach auf 15 Prozent und in drei Jahren auf 10 Prozent. Bisher galten für diese LKW laut Germany Trade & Invest hubraumabhängige Zollsätze zwischen 30 und 105 Prozent des Fahrzeugwertes. Für über sieben Jahre alte Fahrzeuge sinke der Zollsatz von 4,40 Euro auf 1 Euro pro Kubikzentimeter Hubraum. Russland ist wichtiger Wachstumsmarkt Innerhalb der EU ansässige Nutzfahrzeughersteller und -händler begrüßen die Zustimmung von Kremlchef Wladimir Putin zum WTO-Beitritt seines Landes gleichermaßen. Für MAN beispielsweise ist Russland neben Brasilien, Indien und China einer der größten Wachstumsmärkte und zentraler Bestandteil seiner BRIC-Strategie. Nach Unternehmensangaben entwickelt sich dieser Markt positiv und die Nachfrage an Nutzfahrzeugen nimmt stetig zu. Allein im vergangenen Jahr konnten die Münchner dort 7600 Lastwagen und 200 Busse absetzen. Russische Produzenten wie Kamaz stehen der Marktöffnung hingegen skeptisch gegenüber. Produzierten sie 2011 noch 48.000 Einheiten und verzeichneten sie damit ein Wachstum von 40 Prozent im Vergleich zum Vorjahr, so rechnet man für 2012 nur mit einem verhältnismäßig geringen Wachstum von 9 Prozent auf insgesamt 48.500 produzierte Einheiten. Der Export spielt bei Kamaz eher eine untergeordnete Rolle. Rund 87 Prozent der produzierten Einheiten verkauft das Unternehmen im eigenen Land. Für die verhaltenen Wachstumsprognosen macht Kamaz zum Teil den WTO-Beitritt verantwortlich. Auch andere Unternehmen in Russland befürchten Nachteile für den heimischen Markt durch die stufenweise Reduzierung der Einfuhrzölle. Denn der bisherige Preisvorteil – gestützt durch die hohen Zollschranken für die ausländische Konkurrenz – schwindet zunehmend. Er ist derzeit häufig das einzige Kaufargument für russische Ware. Protektionismus durch den Kreml Die russische Regierung macht den heimischen Transporteuren, die sich auf günstigere Importfahrzeuge gefreut haben, und deutschen Herstellern, die auf höhere Absatzzahlen gehofft haben, aber einen Strich durch die Rechnung: Denn Hersteller aus dem Ausland müssen seit September eine Abwrackgebühr bezahlen, wenn sie Nutzfahrzeuge nach Russland einführen. Mit dieser neuen Regelung will Putin die eigene rückständige Industrie weiter vor ausländischer Konkurrenz schützen. Die Abgabe soll zudem die niedrigeren Importzölle durch das WTO-Abkommen kompensieren. Sie wird zusätzlich zum Einfuhrzoll erhoben und kann laut der Germany Trade & Invest je nach Größe und Alter des LKW noch einmal genauso hoch sein wie der Kaufpreis des Fahrzeugs. Demnach ist die Abwrackgebühr abhängig vom zulässigen Gesamtgewicht und beträgt für neue LKW zwischen 75.000 und 435.000 Rubel (1865 bis 10.820 Euro). Für LKW, die älter als drei Jahre sind, fallen zwischen 132.000 und 1,7 Millionen Rubel (3280 bis 44.030 Euro) an. Grundsätzlich gilt: Je älter das Fahrzeug und je größer sein zulässiges Gesamtgewicht, umso höher ist der Koeffizient für die Berechnung und somit die Abwrackgebühr selbst. Harte Zeiten für Gebrauchthändler Bei gebrauchten Nutzfahrzeugen aus dem Ausland ist die Abwrackgebühr deshalb deutlich höher, weil gerade Gebrauchtwagenimporte die russische Produktion bedrohen. Besonders hart trifft die neue Recyclinggebühr Unternehmen, die LKW bis zu einem Alter von sieben Jahren nach Russland importieren. Denn sie übersteigt die Ersparnis durch den reduzierten Einfuhrzoll deutlich. Freibrief für russische Hersteller Selbst jene ausländischen Hersteller, die mit einer eigenen Produktion in Russland vertreten sind, müssen für importierte Fahrzeuge zahlen. Selbst, wenn sie für ihre in Russland hergestellten Fahrzeuge ein flächendeckendes Netz von Werkstätten zur Schrottentsorgung aufgebaut haben. In Russland ansässige Fahrzeughersteller sind hingegen von der Abwrackgebühr befreit. Aber nur, wenn sie eine Garantie abgeben können, dass sie die Verschrottung von gebrauchten Fahrzeugen selbst übernehmen. Hierfür müssen sie sich in ein Register vom Ministerium für Industrie und Handel eintragen lassen. Eine weitere Ausnahme gilt für Fahrzeuge, die aus den Mitgliedsländern der Zollunion mit Weißrussland und Kasachstan in das russische Zollgebiet eingeführt werden und bereits den Status der Unionsware haben. Nicht zahlen müssen zudem Fahrzeughersteller, die das sogenannte Dekret 166 unterzeichnet haben. Dieses sieht vor, dass die Unternehmen ihre Fahrzeugproduktion innerhalb von fünf Jahren auf 300.000 Einheiten pro Jahr steigern und die Fertigung vor Ort vorantreiben. Im Gegenzug profitieren sie acht Jahre lang vom gebührenbefreiten Import ihrer Komponenten. Konzerne, die das Dekret unterzeichnet haben und längst im Inland produzieren, sind aber nur für jene Modelle von der Abwrackabgabe ausgenommen, die auch tatsächlich im Inland hergestellt werden. Fazit: Prinzipiell begrüßen Nutzfahrzeughersteller und -händler den WTO-Beitritt Russlands und die Abschaffung der Zollschranken. Doch nach Einführung der neuen Abwrackgebühr sind die Erwartungen gesunken. Die Bedingungen für LKW-Importe werden durch sie deutlich erschwert. Aufgrund der Sonderabgabe wagt auch kein Importeur – ganz gleich ob für neue oder gebrauchte Nutzfahrzeuge – eine Prognose, wie sich die Absatzzahlen in Zukunft für Russland entwickeln. Offen bleibt auch die Frage, ob die EU-Kommission einschreitet oder einzelne WTO-Mitgliedsstaaten reagieren. ❙❚■ Jacqueline Engler, freie Journalistin Der LKW-Import ist nun oft noch teurer als vor dem WTO-Beitritt Russlands Russlands WTO-Beitritt Russlands WTO-Beitritt Wert der Im- und Exporte im Jahr 2011 Wert der EU-Ausfuhren nach Russland: 108,4 Milliarden Euro Wert der EU-Einfuhren aus Russland: 199,5 Milliarden Euro Wert des Warenhandels insgesamt: 308 Milliarden Euro Schätzungen zufolge werden die europäischen Ausführer aufgrund der Zollsenkungen insgesamt 2,5 Milliarden Euro pro Jahr an Einfuhrzöllen einsparen. Darüber hinaus werden die niedrigeren Zölle dazu führen, dass die EU pro Jahr voraussichtlich Waren im Wert von rund 3,9 Milliarden Euro zusätzlich nach Russland ausführen wird. je

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