Praxisvergleich CNG-Fahrzeuge

Praxisvergleich CNG-Fahrzeuge Gas geben – Alternative für Euro 6? Erdgas-Motoren sind im Verteilersegment kräftig auf dem Vormarsch. Die VR zeigt die Ergebnisse eines Praxisvergleichs mit CNG-Motoren von Iveco und Scania bei Meyer Logistik in Berlin. Der Erdgas-Motor hat die experimentelle Phase bei Meyer Logistik längst abgeschlossen. Der Lebensmitteldistributor, der unter anderem auch die Systemgastronomie für Burger King macht, sammelt seit Mai 2009 Erfahrungen mit dem Alternativtreibstoff. „Bis zu diesem Zeitpunkt hatten wir überwiegend MAN, Mercedes und Scania im Fuhrpark“, erklärt Geschäftsführer Matthias Strehl. „Unsere Idee war, uns vom Diesel etwas unabhängiger zu machen und dabei gleichzeitig die Schadstoffemissionen unserer Flotte zu reduzieren – so kamen wir auf Erdgas.“ Während sich Strehl für das Econic-Konzept nicht erwärmen konnte – „bis auf die bessere Übersichtlichkeit sehe ich keinen Sinn in diesem relativ teuren Auto“ – waren Verhandlungen mit Iveco dagegen Erfolg versprechend. „Die hatten Erfahrungen mit 300 CNG-Fahrzeugen in Spanien und haben uns drei 6x2-Fahrgestelle sowie ein zur 4x2-Zugmaschine umgebautes Fahrgestell für Testzwecke zur Verfügung gestellt“, erinnert sich Strehl. Der Managing Director weiß auch noch gut, dass die Resonanz der Kunden auf die emissionsarmen Gasfahrzeuge sehr gut war: „Zwar wollte keiner mehr bezahlen, aber fürs Marketing wurden die EEV-Fahrzeuge sofort eingesetzt.“ Letztlich hat der Feldversuch auch Meyer genutzt, mehr Bekanntheit zu erlangen. Gleichzeitig aber auch die Tauglichkeit des Konzeptes bewiesen: „Klar hatten wir anfängliche Schwierigkeiten mit der Motorenangleichung“, gibt Strehl zu. „Doch inzwischen laufen die CNG-Stralis, bis auf kleinere, wiederkehrende Mängel, ganz gut und der direkte Vergleich unserer Berliner Niederlassung zeigt, dass die CNG-Motoren billiger laufen als die Diesel!“ Niedrige Kraftstoffkosten durch CNG Trotz einer herstellerabhängigen Preisdifferenz von aktuell 14.000 bis 20.000 Euro zwischen CNG und Diesel bezeichnet Strehl den Unterschied der Gesamtkosten als „nicht mehr allzu groß.“ Die Begeisterung für die Erdgas-LKW manifestierte sich bei Meyer Logistik durch den Kauf der Iveco nach Abschluss des Feldtests. Völlig kritiklos ist man dennoch nicht: „Unsere CNG-Stralis sind Handschalter mit 16-Gang-Getriebe. Das ist im Verteilerverkehr ein Nachteil. Besser wäre unseres Erachtens ein Automatik-Getriebe.“ Iveco bietet dies in Form eines Allison-Automaten an. Strehl würde aber eine automatisierte AS-Tronic bevorzugen, weil sie besser mit dem nur 270 PS starken Motor harmonieren würde. Weil die Adaption der ZF-Schaltbox an einen Gasmotor noch Probleme macht, sucht Iveco sein Heil vorerst im Allison-Getriebe plus Leistungssteigerung des CNG-Sechszylinders auf künftig 330 PS. 300 PS „plus“ sind wünschenswert Den Schritt zu mehr Leistung hat Scania bereits vollzogen. Jüngst kam zu den bereits im Fuhrpark befindlichen CNG-Ivecos ein Erdgas-Schwede mit 305 PS starkem Fünf-Zylinder. Der verfügt über ein Automatik-Getriebe und ist damit ganz nach dem Geschmack von Strehl. „Ungeachtet des Fabrikates kämpfen wir bei den CNG-Fahrzeugen mit höheren Kosten für den R+W-Vertrag und natürlich höheren Kaufpreisen. Das können wir aktuell nur über deutlich geringere Kraftstoffpreise kompensieren“, erklärt Strehl. Aktuelle Zahlen belegen – identische Leistung vorausgesetzt –, dass die Gasautos so viel Kilo Erdgas verbrauchen wie die Diesel auf gleicher Strecke an Litern. Den höheren Preis akzeptiert Strehl dennoch, weil er CNG nicht nur als Marketing-Gag versteht. „Erdgas ist umweltfreundlicher und wird wegen der leichteren Adaptierbarkeit an Euro 6 künftig sicher noch einen Preisvorteil einfahren“, ist sich der Geschäftsführer sicher. Frühere Vorbehalte, zum Beispiel die umständliche Versorgung oder zu geringe Reichweiten, lässt er ohnehin nicht mehr gelten: „Wir tanken an öffentlichen CNG-Tankstellen, die es inzwischen in ausreichender Menge gibt oder an unserem Standort in Essen bei den Stadtwerken.“ Die Reichweite der Fahrzeuge läge je nach Einsatz bei rund 350 bis 400 Kilometer. „Das reicht für unsere Touren völlig aus.“ Sorgen bereitet aktuell ein wiederkehrender Leistungsverlust bei der Iveco-Sattelzugmaschine. „Da geht das Zündgeschirr fast regelmäßig kaputt“, beschreibt Strehl. „Der Fahrer kennt das inzwischen und fährt beim ersten Auftreten des Phänomens in die Werkstatt. Allerdings muss ich auch sagen, dass unsere 6x2 inzwischen bis über 200.000 Kilometer runter haben und problemlos laufen.“ Nur auf sich absetzendes Kondensat müsse man im Winter achten, weil das Wasser gefriert und so die Gasanlage lahmlegen kann, ergänzt Fuhrparkleiter Detlef Fürst. Problemloser Kurztest Auf den testweise überlassenen Scania angesprochen, meint Fürst: „Ein schönes Auto und die Mehrleistung gegenüber dem Iveco bringt Vorteile. Allerdings hatten wir den Schweden nicht lange genug und auch nur bei wettermäßig guten Bedingungen – ergo kann ich wenig zu Problemen sagen, die bei einem längeren Dauerlauf auftreten können.“ Generell sieht der Fuhrparkleiter noch ungelöste Probleme im Werkstattbereich beider Hersteller: „Die Mechaniker machen zwar Schulungen. Doch wenn sie nicht regelmäßig an den CNG-Fahrzeugen schrauben, geht Wissen verloren – was sich für uns in längeren Reparatur- und Standzeiten widerspiegelt.“ Solider Schwede, preiswerter Italiener Fürst kann sich aus den genannten Gründen durchaus für den Scania erwärmen. „Ich glaube, da ist weniger Technik drin – während beim Iveco immer wieder mal ein Warnlämpchen blinkt. Unterm Strich denke ich trotzdem, dass der CNG-Motor den Kinderschuhen entwachsen ist und eine fertige Lösung darstellt. Wenn Verbreitung und Stückzahlen steigen, lassen sich auch aktuelle Werkstattprobleme lösen.“ Wie sehr Meyer Logistik von Erdgas überzeugt ist, zeigt das Festhalten an den CNG-Stralis. „Die fahren wir so lange, bis sie museumsreif sind“, lacht Matthias Strehl. „Zudem haben wir jetzt auch schon neue 330er bestellt“, ergänzt Detlef Fürst. Warum am Ende wieder Iveco zum Zuge kam, beantwortet Fürst mit einem vielsagenden Lächeln. Man hört aber zwischen den Zeilen raus, dass es der gleiche Grund ist wie beim Diesel: Der Schwede ist teurer. „Ich muss aber sagen, wenn‘s nach den Fahrern gegangen wäre, wären‘s wohl Scania geworden. Nicht, dass der technisch besser wäre. Aber die Chauffeure finden ihn das ‚rundere‘ Auto ...“ ❙❚■ Gerhard Grünig Acht Gasfahrzeuge hat Meyer schon im Fuhrpark. Jüngst stand ein CNG-Scania auf dem Prüfstand Getankt wird an öffentlichen Tankstellen Tanken ist trotz 200 bar Druck kaum anders. Der Scania wirkt in einigen Details – wie Armaturen und Füllstutzen – moderner und ansprechender Praxisvergleich CNG-Fahrzeuge Praxisvergleich CNG-Fahrzeuge OC9 G05; 5-Zylinder-Reihenmotor, DOHC, 4 Ventile/Zylinder, Multipoint-Einspritzung, Turbo, LLK, 3-Wege-Kat; Bohrung x Hub / Hubraum: 130 x 140 mm / 9.300 cm3; Leistung: 305 PS (224 kW) bei 1900/min; max. Drehmoment: 1250 Nm bei 1000-1400/min; EEV Getriebe: automatisches Allison-Sechsganggetriebe mit integriertem Retarder; Spreizung: 3,49-0,65; HA-Übersetzung: i=5,20; Reifendimension: 315/80 R 22.5 VA: starre Faustachse, Zweiblatt-Parabelfederung, Stabi; HA: Hypoidachse, Zweibalg-Luftfederung, Stabi; Zweikreis-Druckluftbremsanlage, ABS, ASR, ESP; Scheibenbremsen rundum; Dauerbremse: Allison-Retarder 8 x 80 l (640 l); 200 bar; Reichweite: ca. 400 km Cursor 8; 6-Zylinder-Reihenmotor, DOHC, 4 Ventile/Zylinder, Multipoint-Einspritzung, Turbo, LLK, 3-Wege-Kat; Bohrung x Hub / Hubraum: 115 x 125 mm / 7790 cm3; Leistung: 272 PS (200 kW) bei 1730-2000/min; max. Drehmoment: 1100 Nm bei 1100-1735/min; EEV Getriebe: ZF 16 S1620TD, 16 Gänge synchr. (Viergang-Grundgetriebe mit Range-/Splitgruppe); Spreizung: 16,41-1,00; HA-Übersetzung: i=3,70; Reifendimension: 315/80 R 22.5 VA: starre Faustachse, Zweiblatt-Parabelfederung, Stabi; HA: Hypoidachse, Vierbalg-Luftfederung, Stabi; Zweikreis-Druckluftbremsanlage, ABS, ASR, ESP; Scheibenbremsen rundum; Dauerbremsen: ZF-Retarder 8 x 80 l (640 l); 200 bar; Reichweite: ca. 350 km schöne Motorcharakteristik, gelungenes Fahrwerk, gute Lenkung, viele Assistenzsysteme, billig wirkendes Plastik-Interieur Bei der Bedienung unterscheiden sich die Gasfahrzeuge nicht von den dieselgetriebenen Varianten Praxisvergleich CNG-Fahrzeuge Nach dem Test übernommen und künftig mit 330 PS Insgesamt laufen sechs CNG-Stralis im Fuhrpark von Meyer Logistik. Die Fahrzeuge sind in der Distributions-Logistik für namhafte Lebensmittelketten im Einsatz. Vorteil des leisen Gasmotors ist ein sogenanntes Piek-Zertifikat – ein niedriger Geräuschemissionsstandard, der die Anlieferung auch außerhalb üblicher Zustellzeiten ermöglicht. Dazu verwendet Meyer außerdem Piek-Ladebordwände von Bär sowie immer mehr geräuschoptimierte Kühlaggregate von Mitsubishi. Gute Erfahrungen hat man auch mit den Hybrid-Aggregaten von Frigoblock gemacht. Künftig kommen Stralis 260 S 33 mit mehr Leistung (330 PS/243 kW bei 1785/min und 1300 Nm bei 1200 bis 1785/min) zum Einsatz. gg Die Fahrer sind zufrieden mit den Stralis Iveco Stralis CNG – feste grösse im fuhrpark Zu 100 Prozent praxistauglich Sowohl die Tests der VR als auch die Praxiserprobungen bei Unternehmen wie Meyer Logistik oder der Spedition Oestmann belegen, dass der CNG-Motor im Leistungssegment bis 330 PS eine ernst zu nehmende Alternative zum Diesel ist. Seine günstige Anpassungsfähigkeit an Euro 6 wird ihm weitere Vorteile bei der Kostenrechnung verschaffen. Ein künftiger Umstieg auf LNG (flüssiges, tiefgekühltes Erdgas) löst eventuell noch bestehende Reichweitenprobleme. Das Beste am Gasmotor: Fahrer und Werkstatt müssen nicht oder nur wenig umdenken. Kontakt: gerhard.gruenig@springer.com Gerhard Grünig VR-Redakteur Kommentar