Paket mit Überraschungen

Der Nachteil eines großen Pakets mit vielen verschiedenen Inhalten: Man verliert leicht den Überblick. Rückkehrpflicht mit gravierenden Folgen So kann es einem auch mit dem Mobilitätspaket ergehen, welches das EU-Parlament nach dreijährigen, zum Teil schwierigsten Verhandlungen im Juli 2020 verabschiedet hat. In diesem Paket befinden sich zahlreiche Bestimmungen, die für alle Unternehmen in der EU, die einen eigenen Fuhrpark haben oder Fuhrbetriebe beauftragen, von großer Bedeutung sind. Denn verstoßen sie gegen die neuen Regelungen, drohen empfindliche Bußgelder - im besten Fall. Die umfassenden Neuerungen sind die eine Besonderheit des Mobilitätspaketes. Die andere: Noch sind längst nicht alle Bestimmungen in Kraft. Viele Änderungen werden erst wirksam, wie beispielsweise die Neuregelung zu den Entsendebestimmungen von Arbeitnehmern im Februar 2022. Bis zum 1. Juli 2026 erstrecken sich die einzelnen Veränderungen. Eine Regelung, die viele Unternehmen direkt betrifft, die aber auch gravierende Folgen für die Struktur im Güterverkehrsmarkt hat, ist die Rückkehrpflicht von Lkw. Nach der Verordnung im Mobilitätspaket müssen alle Fahrzeuge, die für grenzüberschreitende Beförderungen eingesetzt werden, spätestens acht Wochen nach Verlassen des Niederlassungsmitgliedstaates zu ihrer Betriebsstätte in diesem Staat zurückkehren. Diese Regelung gilt ab dem 21. Februar 2022 - und hat es in sich. Dirk Engelhardt, Vorstandssprecher des Bundesverbandes Güterkraftverkehr Logistik und Entsorgung (BGL), spricht von dem "schärfsten Schwert im Mobilitätspaket" überhaupt (siehe auch Interview Seite 19). Demnach muss also beispielsweise ein Lkw, der in Litauen gemeldet und in Westeuropa ständig unterwegs ist, alle zwei Monate die weite Reise in die Heimat antreten. Immerhin sind das je nach Abgangs- und Zielort rund 1500 Kilometer - einfach. Die Autoren der Studie haben sich vorwiegend darauf konzentriert, welche ökologischen Folgen mit dieser Maßnahme verbunden sind. Die sind eklatant: Laut dem wahrscheinlichsten Szenario löst die Rückkehrpflicht immerhin 1,915 Millionen zusätzliche Fahrten pro Jahr aus. Damit steigt die Zahl der internationalen Fahrten in der EU um zwei Prozent. Mehr Lkw-Fahrten bedeuten einen höheren CO2-Ausstoß: Der klettert EU-weit um 4,6 Prozent bezogen auf den Gesamtausstoß im internationalen Straßengüterverkehr. Das ist keine Kleinigkeit. Denn zusammen mit weiteren 0,4 Millionen Tonnen CO2, die laut einer zweiten Studie aufgrund der neuen Kabotageregeln im Kombinierten Verkehr entstehen, werden somit ab 2023 jährlich 3,3 Millionen Tonnen CO2 zusätzlich ausgestoßen: Das entspricht dem jährlichen CO2-Ausstoß von Estland im Transportsektor. Warum die Zunahme an CO2-Emissionen prozentual gesehen im wahrscheinlichen Szenario SMC mehr als doppelt so hoch ausfällt wie die Zahl der zusätzlichen Lkw-Fahrten, lässt sich einfach erklären: Es sind vor allem die Staaten aus Osteuropa und aus den Randgebieten der EU mit weiten Heimfahrten, die im Zentrum Europas ihre Lkw stationieren. Dafür ist auch die Kabotagestatistik ein Indiz (siehe Grafik Seite 19). Der Umwelteffekt könnte Konsequenzen haben. Angesichts der ehrgeizigen Ziele der EU-Kommission zur Verringerung der CO2-Emissionen - Stichwort Green Deal - werden jetzt Stimmen laut, vielleicht nicht auf diese Maßnahme zu verzichten, sie aber abzuschwächen. BGL-Vorstand Engelhardt hat davon gehört: "Es wird mit Sicherheit eine weitere Diskussion darüber geben. Ich gehe aber nicht davon aus, dass die Maßnahme zurückgenommen wird", sagt der Vorstandssprecher vom BGL. Denn Social Dumping sei in der EU quer über alle Parteien hinweg ein Thema, das man bekämpfen möchte. Allerdings gibt es hier durchaus unterschiedliche Ansichten. Denn die Osteuropäer sind von der Maßnahme - vorsichtig ausgedrückt - wenig begeistert. Sie leiden am meisten unter der Rückkehrpflicht. Laut Studie werden 62 Prozent der internationalen Gütertransporte in der EU von Lkw ausgeführt, die in osteuropäischen EU-Mitgliedstaaten registriert sind. Die Rückkehrpflicht der Lkw hat nicht nur für die betroffenen Unternehmen Konsequenzen, sondern auch für alle anderen Fuhrbetriebe, gerade in Westeuropa. Denn mit der Regelung sollte für mehr Wettbewerbsgerechtigkeit in der EU gesorgt werden. "Bei Mindestlohndifferenzen zum Beispiel von 1,87 Euro in Bulgarien bis zu 3,80 Euro in den baltischen Staaten im Vergleich zu 9,50 Euro in Deutschland kann ein fairer Wettbewerb in Europa nicht funktionieren", sagt Engelhardt. Auch wenn wie in Deutschland viele Fahrer in Bulgarien gleichfalls mehr als den Mindestlohn erhalten dürften und daher der Vergleich der Mindestlöhne hinkt: Der Lohnvorteil der Osteuropäer dürfte immer noch hoch sein. Wie hoch tatsächlich, ist unklar. Sicher hingegen ist: Mit der Rückkehrpflicht steigt der Aufwand für die Osteuropäer spürbar. Zeitlich und damit auch finanziell. Für deutsche Kleinunternehmen und den deutschen Mittelstand eröffnet sich damit laut Engelhardt die Chance, sich ein Kundenportfolio aufzubauen und nicht von billig anbietenden Osteuropäern aus langjährigen Kundenbeziehungen gedrückt zu werden. Mehr zum Thema finden Sie unter #EUKommission www.verkehrsrundschau-plus.de/hashtag In Kürze Wer sich bislang im Transportgewerbe nicht mit dem Mobilitätspaket befasst hat, der begeht womöglich einen großen Fehler. Denn es haben sich nicht nur grundsätzliche Regelungen geändert. Die Neuerungen dürften auch Einfluss nehmen auf die Wettbewerbspositionen der einzelnen Akteure. Interview: Ist die Zeit billiger Frächter aus Osteuropa vorbei? Dirk Engelhardt, Vorstandssprecher des Bundesverbandes Güterkraftverkehr Logistik und Entsorgung (BGL) Wenn mit der Rückkehrpflicht jetzt tausende von Lkw alle acht Wochen in ihre Heimat zurückfahren, steigen die Kosten für diese Firmen nicht unerheblich. Ist die Zeit billiger Frächter aus Osteuropa vorbei? Nein. Aber die Unternehmen sind gezwungen, sich mit anderen Geschäftsmodellen zu befassen. Der eine wird seine Rundläufe anders organisieren müssen. Großflottenbetreiber müssen womöglich Niederlassungen in Westeuropa gründen. Wir hoffen, dass dann diese Anbieter zu gleichen Konditionen wie unsere Mittelständler aktiv sind und die heutigen Dumpingpreise sich ein Stück weit nach oben bewegen. Wenn pro Lastkilometer weniger als ein Euro gezahlt wird, kann das nach westeuropäischem Standard kein kostendeckender Preis sein. Es gehören aber auch immer zwei zu so einem Preis. Das ist genau der Punkt. Was mich am meisten ärgert, ist nicht der Osteuropäer, der hier zu günstigen Konditionen fährt. Das ist nachvollziehbar. Was mich am meisten ärgert, sind die deutschen oder westeuropäischen Auftraggeber, die sich in ihren Geschäftsberichten mit ethischen Leitbildern brüsten, aber dann Frachten zu Konditionen vergeben, mit denen solche Leitbilder mit Füßen getreten werden. Wenn die Lkw zurückfahren, gibt es insgesamt weniger Frachtraum. Wird das zu einem allgemeinen Preisanstieg führen? Ich bin fest davon überzeugt: Unabhängig von der Rückkehrpflicht werden die Preise steigen, wenn wir irgendwann die Pandemie überstanden haben. Schon vor Corona waren die Kapazitäten knapp. Das wird auch nach Corona der Fall sein. Aber nur, wenn wir den Abwärtstrend bei den Preisen stoppen, bekommen wir auch wieder neue Fahrer, um die Nachfrage bedienen zu können. Dazu ist eine attraktive Entlohnung notwendig. Das wird ohne steigende Frachtentgelte nicht zu realisieren sein. Warum Engelhardt die Rückkehrpflicht als das "schärfste Schwert im Mobilitätspaket" bezeichnet: Das komplette Interview im Heftarchiv unter www.verkehrsrundschau-plus.de. Online: EU-Mobilitätspaket Auf dem Profiportal VR plus können sich Abonnenten über das EU-Mobilitätspaket informieren. Es gibt dort eine Übersicht über alle Änderungen, die zwischen 2020 und 2026 in Kraft treten. Ein Faktencheck klärt über die Mythen des Mobilitätspakets auf. Zudem gibt es dort einen Kurs zu dem Thema. Mit dem Transport-Trainer lernen Verkehrsunternehmer, welche Auswirkungen das EU-Mobilitätspaket auf die Praxis hat und was für Vorschriften zu beachten sind. www.verkehrsrundschau.de/plus/mobilitaetspaket

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Interview: Ist die Zeit billiger Frächter aus Osteuropa vorbei?

Es reicht

Viele Transportunternehmen würden gegen Rückkehrpflicht verstoßen

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