"Oft gilt einfach: Geiz ist geil"

Europäische Luftfracht verliert an Boden", unter dieser Überschrift hat der Bundesverband der Deutschen Luftverkehrswirtschaft (BDL) letzten Monat eine Marktanalyse vorgestellt. Wer hineinschaut, sieht viele Minuszeichen. Europäische Frachtfluglinien befinden sich im Sinkflug, ihre Verkehrsleistung sank zwischen 2007 und letztem Jahr um 7,7 Prozent. Alle anderen Anbieter konnten dagegen weltweit zulegen. Carriern aus dem Nahen Osten gelang es sogar, im gleichen Zeitraum ihre Tonnenkilometer mehr als zu verdoppeln. Zu dieser Stimmungslage passt eine aktuelle Nachricht von Lufthansa Cargo, die im Vergleich zum September des Vorjahres 6,5 Prozent weniger Tonnage vermeldete. Eine Entwicklung, die auch an den Flughäfen nicht spurlos vorbeigeht: Auf die Liste der wichtigsten Drehkreuze weltweit schafft es aus Europa aktuell nur noch Frankfurt/Main in die Top Ten, Paris und Amsterdam sind herausgefallen. Wird bald also auch für deutsche Speditionsund Logistikdienstleister, die in der Luftfracht tätig sind, die Luft dünn? Von einer Krise spricht der Bundesverband der Deutschen Luftwirtschaft (BDL) nicht. "Luftfracht spielt für Deutschland nach wie vor eine zentrale Rolle", betont BDL-Hauptgeschäftsführer Matthias von Randow. Ein Drittel des gesamten Außenhandels nach Übersee - gemessen am Wert - werde per Luft transportiert. "Frankfurt, Köln/Bonn und Leipzig sind und bleiben starke Standorte." Dass es die deutsche Cargobranche zuletzt schwer hatte, bestreitet von Randow nicht. "Das liegt daran, dass sich in den letzten Jahren die Wettbewerbsbedingungen verschlechtert haben, vor allem durch Betriebszeitbeschränkungen sowie durch zusätzliche Steuern und Gebühren." Dagegen fänden die Carrier aus dem Nahen Osten an ihren Heimatstandorten optimale Bedingungen vor; hier sei rund um die Uhr Flugbetrieb möglich und es gebe eine starke Unterstützung durch die Politik. Andere Experten erklären die Minuszeichen mit dem Börsencrash in China oder damit, dass mehr Firmen auf Seefracht zurückgreifen und insgesamt besser planen. Denn Luftfracht gilt nach wie vor als teure Notlösung, wenn es in der Logistikkette gehakt hat. Kundenverhalten macht Kopfschmerzen Trotz der schlechten Gesamtbilanz bleiben die Speditionen gelassen. Von einem Sinkflug spürt man zum Beispiel bei Rieck Sea Air Cargo nichts. "Die Volumina sind stabil", sagt Jörg Lohrer, Niederlassungsleiter in Kelsterbach. Die Kunden der Spedition kommen aus den Sparten Automobil, Pharma und dem mittelständischen Maschinenbau. Davon, dass die Auftragsbücher hier in den letzten Jahren voll waren, hat auch Rieck profitiert. Genau wie Kühne + Nagel (K+N): Plus 5,1 Prozent meldet die Luftfrachtsparte des Branchenprimus für die ersten neun Monate. "Eines der Erfolgsrezepte ist, in Geschäfte mit höheren Margen zu gehen", erklärt Tim Scharwath, Executive Vice President Air Logistics. Als Beispiel dafür nennt er die Luft- und Raumfahrtindustrie. K+N übernimmt für Fluggesellschaften zum Beispiel den Transport von Triebwerken, die gewartet oder ausgetauscht werden müssen. Große Turbinen lassen sich nicht mit Standard-Staplern verladen, sondern nur mit Spezial-Lkw. Allein damit kann sich der Dienstleister differenzieren. Zu den margenstärkeren Branchen zählt auch Pharma, rückläufig sei dagegen das Geschäft mit Hightech. "Einfache Notebooks etwa werden - anders als früher - nicht mehr geflogen", sagt Scharwath. Schärfster Konkurrenz der Spediteure sind und bleiben die großen KEP-Dienste wie DHL, UPS oder FedEx. Bis vor wenigen Jahren beförderten diese nur Sendungen bis zu einem Maximalgewicht von 70 Kilogramm, alles darüber bezeichnete man abfällig als "Shitcargo" und überließ es anderen Dienstleistern. Mittlerweile versuchen die Integrators, auch in dieses Segment vorzudringen. Bislang mit bescheidenem Erfolg. Marktkenner Lohrer erklärt das so: "Wir sind stark in den Gewichtsklassen, die KEP-Dienste nicht bedienen, und wenn es um problematische Zollangelegenheiten geht, zum Beispiel um die Wiedereinführung von Ware, die im Ausland veredelt wurde." Völlig heil ist Welt der Spediteure aber nicht. Kopfschmerzen bereitet ein Trend im Kundenverhalten: Immer mehr Versender holen per E-Mail bei Dutzenden von Spediteuren einen Kostenvoranschlag ein - ganz gleich, wie klein die Sendung ist. "Mittlerweile wird vom Maggi-Würfel aufwärts angefragt", scherzt Lohrer. Diese Praxis stammt aus der Automobilindustrie und greift auf immer mehr Branchen über: Die Unternehmen werden von ihrem Auftraggeber dazu gezwungen, bei jedem Transport 15 bis 20 Dienstleister anzufragen - mit dem Ziel, den niedrigsten Preis herauszukitzeln. Lohrer sieht diesen Fokus kritisch. "Dann wird eine 150-Kilogramm-Palette vier Mal umgeladen und ist eine Woche unterwegs, nur um 40 Cent pro Kilo zu sparen." Ein Beispiel: Anstatt eine Sendung von Frankfurt direkt nach Johannesburg zu befördern, wird sie zunächst per Lkw nach London transportiert, fliegt dann im Bauch einer Touristenmaschine zu einem südafrikanischen Airport und reist noch ein kleines Stück auf der Straße. Dass jede Umladung mit einem Risiko verbunden ist, sähen die Kunden nicht, so Lohrer. "Oft gilt einfach: Geiz ist geil." Eine Lösung gegen die Anfrageflut: Man bietet den Kunden Selbstbedienung via Internet. K+N hat letztes Jahr als Erster in der Branche ein E-Commerce-Portal eröffnet. Potenzielle Kunden können über "KN FreightNet" am Bildschirm sekundenschnell einen Preis für eine Sendung abfragen und den Transport auch direkt buchen. Viel Volumen wird über diesen Weg aber noch nicht bewegt, räumt K+N ein. "Da die Sendungen vergleichsweise klein sind", so Manager Scharwath. Dafür erreiche man Kunden, die der Vertrieb bisher nicht erfasst hat - kleine und mittlere Betriebe. Der rasante Steigflug der Flotten aus dem Nahen und Mittleren Osten ist für die Spediteure auf den ersten Blick positiv. Emirates, Etihad, Qatar und Turkish Airlines rollen mit ihren hohen Kapazitäten im Unterflurbereich den Markt auf. Das senkt die Preise und gibt Spediteuren mehr Auswahl bei den Destinationen. Dennoch sind viele nicht begeistert. "Geringe Preise sind weder für die Airlines noch für die Spediteure gut. So macht man kein auskömmliches Geschäft", sagt Rieck-Niederlassungsleiter Lohrer. Hintergrund: Die Erlöse der Speditionen werden prozentual auch von der Höhe der Frachtrate bestimmt. Sind sie niedrig, gehen auch die Einnahmen der Dienstleister zurück. "Dadurch werden unsere Kosten nicht mehr gedeckt", warnt Lohrer. K+N-Manager Scharwath hält es für durchaus möglich, dass die entstandenen Überkapazitäten auf lange Sicht einen Carrier in den Ruin treiben. "Das könnte zu starken Verwerfungen führen." Zudem befürchtet er, dass die Airlines den Kostendruck an die Handlingsagenten am Boden weiterreichen und die Qualität in der Abfertigung weiter sinkt. Unzufrieden sind die Spediteure auch mit der Preisgestaltung der Airlines. Dabei sah es Anfang 2015 gut aus: Im Februar hatte Emirates angekündigt, keine Treibstoffzuschläge mehr zu berechnen, sondern den Frachtkunden einen Komplettpreis anzubieten (All-in-Rate). "Wir hatten uns erhofft, dass das eine Lawine auslöst", sagt Reinhard Lankes, Luftfrachtexperte beim DSLV. Doch diese ist ausgeblieben. Lufthansa Cargo erhebt weiter einen Zuschlag, die Intransparenz bei den Preisen bleibt. Manch eine Airline erhebt zwei Surcharges, andere, wie die Lufthansa, nur eine. "So braucht man nach wie vor ein nachgeschaltetes IT-Tool, um die Raten vergleichen zu können", kritisiert Rieck-Manager Lohrer. Abschied vom reinen Frachtflugzeug Ein weiterer Trend ist der Abschied vom reinen Frachtflugzeug (Vollfrachter). Rund die Hälfte aller Sendungen werden mittlerweile als Beifracht im Unterdeck von normalen Passagiermaschinen (Fachwort: Belly) befördert. British Airways zum Beispiel hat schon letztes Jahr bekannt gegeben, dass seine Tochter IAG Cargo ihre Ladungen künftig nur noch im Unterdeck von Passagiermaschinen befördern wolle. Dazu passt die Ankündigung von Boeing, wegen schwacher Nachfrage in 2016 nurmehr zwölf Frachter vom Typ 747-8 zu bauen; geplant waren 18. Experten erwarten, dass sich diese Entwicklung fortsetzt. "Der Bereich Belly wird eher noch wachsen", meint Lankes. Dennoch sieht er weiter Bedarf für Vollfrachter. "Die werden gebraucht, wenn es lang, groß oder voluminös wird." Geht der Rückzug der reinen Frachtmaschinen weiter, sind die Folgen absehbar: Auf einigen Relationen gibt es dann nur noch Belly-Transporte, auf anderen verkehren Frachter mit geringerer Frequenz; Spediteure brauchen länger, um Sendungen, die höher als 1,60 Meter sind, weltweit zu befördern. Zu den Dauerproblemen gehört die Abfertigung am Boden. In der Luft mag alles schnell gehen, doch an Brennpunkten wie der Cargocity in Frankfurt muss ein Lkw unter Umständen mehrere Stunden auf die Abfertigung warten. Ein Grund für die Verzögerungen ist das hohe Papieraufkommen; bei einem internationalen Transport können bis zu 30 Dokumente anfallen. Abhilfe könnte hier ein elektronischer Frachtbrief schaffen, wie ihn der Verband IATA vorantreibt (Fachwort: E-Air Waybill). Der BDL ist zuversichtlich, dass die Vision von der papierlosen Luftfrachtsendung bald wahr wird. "Das kommt gut voran, 2015 wird eine nennenswerte Marktdurchdringung erreicht", erwartet Hauptgeschäftsführer von Randow. Er hält es für wahrscheinlich, dass auf einem Drittel der Routen, bei denen die Gesetzgeber die Bedingungen geschaffen haben, bis Ende des Jahres der elektronische Frachtbrief zum Einsatz kommt. Strich drunter: Die europäische Luftfrachtbranche steckt in einigen Turbulenzen. Marktkenner betonen aber, dass die langfristigen Aussichten nach wie gut sind. "Wir gehen davon aus, dass der Welthandel zunehmen wird - und damit auch die Luftfracht", sagt von Randow. Tatsächlich laufen die Kurven von Welthandel und Frachtmenge seit jeher parallel. Das würde bedeuten, es geht 2016 für alle Luftfracht-Akteure leicht aufwärts. Denn der Internationale Währungsfonds sagt für das kommende Jahr ein Plus von 4,4 Prozent beim Welthandel voraus. Mehr zum Thema finden Sie im Dossier Luftfracht www.verkehrsrundschau.de/dossiers Die Serie Luftfrachtmarkt im Wandel - Erfolgsmodelle für die Zukunft - Teil 1: Die Luftfrachtbranche ist derzeit massiv im Umbruch. Was dies für die Luftfrachtspeditionen und Airlines heißt- Teil 2: Temperierte Waren: Wie Airlines im Zusammenspiel mit Spediteuren die durchgängige Kühlkette national und international sicherstellen- Teil 3: Zustellung via Drohnen: Auf welche Lösungen Airlines und Integrators setzen