Globale Wertschöpfung im Umbruch: Perspektiven für die Logistik

Die Zeiten sind schwierig. Das spürt auch die Logistikbranche. 20 Jahre lang ist sie stetig gewachsen: von 171 Milliarden Euro im Jahr 2004 auf zuletzt insgesamt 331 Milliarden Euro Wirtschaftsleistung. Inflationsbereinigt sei aber nun ein leichter Rückgang zu verzeichnen, konstatierte Kai Althoff, Vorstandsvorsitzender der Bundesvereinigung Logistik (BVL) Ende Oktober auf dem BVL Supply Chain CX Kongress in Berlin. Immerhin: Die Logistik bleibt damit weiterhin der drittgrößte Wirtschaftsbereich Deutschlands - nach Automobil und Handel. Abschied vom freien Welthandel Das war es dann aber fast schon an guten Nachrichten vom ersten BVL Supply Chain CX Kongress, dem Nachfolger des Deutschen Logistik-Kongresses der BVL (siehe S. 19). Denn die globale Wertschöpfung wandelt sich derzeit dramatisch. "Die Supply Chains verändern sich mit einer Geschwindigkeit, wie wir es nie zuvor gesehen haben. Der Abzug der amerikanischen Wertschöpfungsketten aus China geht mit einer Geschwindigkeit voran, die atemberaubend ist", schildert Althoff die aktuelle Lage in der Logistik - neben den anhaltenden Trends Digitalisierung, Volatilität und Disruption. "Diese Welt ist sehr fragil geworden. Wir haben keinen freien Welthandel mehr. Wir haben Handelsbeschränkungen. Wir haben Zölle, die in immer neuen absurden Höhen diskutiert werden, die auch gegen unser eigenes Interesse laufen." Was Althoff dabei erbittert: "Wir setzen auf Konfrontation zwischen den Gesellschaften anstelle auf Vereinigung, Diskussion und produktive Auseinandersetzung." Als Beispiel nennt er den aktuellen Umgang mit China. "35 bis 40 westliche Länder glauben, dass sie es schaffen, China zu isolieren, dass dies der richtige Weg nach vorne sei. Das wird aber nicht funktionieren. Wir sehen, dass China aktuell überproportional hohes Wachstum mit allen anderen Ländern dieser Erde hat. Die Zahlen sprechen da für sich." Um so dringlicher sei: "Wir brauchen eine mutige deutsche Politik, die unsere Interessen vertritt und sich nicht in den Kanon der anderen einreiht." Wie umgehen mit China? Vor einer Abkehr vom freien globalen Handel warnt auch Tobias Meyer, CEO der DHL Group: "Der Handel, die export-orientierte Entwicklung von Volkswirtschaften, ist der größte Faktor, der Menschen aus der Armut geführt hat und es vielen Konsumenten ermöglicht hat, auch in der unteren Mittelschicht am Wohlstandsphänomen teilzuhaben." Er verstehe zwar, dass man aus sicherheits- und gesellschaftspolitischen Gründen große Vorbehalte gegenüber China haben könne. "Trotzdem muss man akzeptieren, dass China eine Wirtschaftsmacht ist, die man schlichtweg nicht ignorieren kann." So seien die Exporte Chinas in den letzten 20 Jahren um das 7,5-Fache gestiegen. Richtig sei zwar, dass der Handel von China nach USA und Europa seit 2012 nicht mehr oder nur wenig gewachsen sei. "Der Zuwachs aber in den Rest der Welt geht ungebremst weiter." So beziehe Vietnam mittlerweile 45 Prozent seiner Importe aus China, nannte er Zahlen. Selbst Brasilien, Mexiko, Kolumbien, Saudi-Arabien und Nigeria erhalten inzwischen 40 Prozent ihrer Importe aus China. "Diese Verflechtung Chinas mit 90 Prozent der Weltbevölkerung ist das, was aktuell die Logistikindustrie weltweit prägt. Das sind die Handelsströme, die derzeit stark wachsen", so Meyer. Und die nationale Schwäche von Chinas Volkswirtschaft treibe den Exportdruck nur noch weiter. Die Diskussion ,Wir machen uns von China unabhängig' könne man also führen. "Wenn man das aber will", so der DHL-Chef wörtlich, "muss man auch allen Beteiligten ehrlich sagen, dass dies mit erheblichen Wohlstandsverlusten einhergehen wird." Bei allen Risiken gebe es daher für die DHL Group auch aufgrund der wirtschaftlichen Schwäche in Deutschland und Europa keine Alternative, betont er, als sich weltweit zu engagieren und im Ausland stärker zu investieren. "Alles andere ist wirtschaftlich nicht sinnvoll. Und die wirtschaftliche Leistungskraft ist auch deshalb wichtig, weil wir sie brauchen, um das Thema Klimawandel hinzubekommen." BVL zündet den Turbo - Mission geglückt! Neues Konzept, neuer Name, neue Location, neues Präsidium und neue Geschäftsführung: Die Bundesvereinigung Logistik (BVL) hat 2024 den Turbo gezündet. Denn spätestens in 2032, so die Vision, will die BVL das bedeutendste Netzwerk und der wichtigste Vordenker für Wirtschaft, Politik und Gesellschaft zu Themen der Logistik sein. Dass die BVL das kann, zeigte der Supply Chain CX Kongress im Estrel Hotel, der das alljährliche Branchen-Event der Logistik-Community werden soll. Gute Nachricht ist: Das neue Format des Events, sprich der Split in Kongress und Expo, kam gut an. 2600 Teilnehmer (+ 30 Prozent) sprechen für sich. Wermutstropfen nur: Das "We-are-family"-Gefühl blieb durch die größere Fläche dieses Mal leider aus. Krisen-Resilienz ist machbar Doch wie kommen Supply Chain Manager und Logistik durch diese rauen Zeiten? Was können Betriebe selbst tun, um sich krisenfest aufzustellen? Da gibt es, wie ein Panel zeigte, noch Luft nach oben. "Der größte Resilienz-Bremser ist der selbst gemachte Bürokratismus", formulierte es Alexander Nowroth, Geschäftsführer von Lebenswerk Consulting. Vielerorts gebe es Kontrollmechanismen, gerade seit Corona, an denen aus Bequemlichkeit festgehalten werde. Sie bremsen aber laut Nowroth schnelle Entscheidungen aus oder blockieren gar. "Sagen Sie dem Bürokratismus den Kampf an!" Zudem rät er zu mehr "Risiko-Affinität", die es im Betrieb auf allen Ebenen aktiv zu fördern gelte. Denn risiko-affine, ja leidenschaftliche Menschen stünden unkonventionellen Ideen offener gegenüber, was in Krisenfällen hilfreich sei. Der wichtigste Resilienz-Hebel ist für ihn: "Verankern Sie das Führungsprinzip ,Total Ownership' in Ihrem Betrieb!" Hilfreich dafür sei die Emotionalisierung von Zielen mit klar definierten Fortschritts-Größen. Diese müsse sich jeder Mitarbeiter bildlich vorstellen können, nur so könne er seinen Bereich zielsicher nach vorne entwickeln. Auch eine höhere Agilität zahlt in die Resilienz von Firmen ein. Bewährt habe sich da "die Etablierung von Micro-Companies mit eigener Gewinn-/Verlust-Verantwortung", weiß Blockbrain-CEO Antonius Gress. "Das fördert das Unternehmertum im Unternehmen." Sprich: Mitarbeiter werden zu Unternehmern gemacht, was ihre Eigenverantwortung erhöht, aber auch Firmen hilft, etwa durch kostenbewussteres Handeln ihrer Mitarbeiter. Letztlich sei dies stets ein Spagat, für den die Einhaltung von Compliance-Regeln, gesunder Menschenverstand und kaufmännisches Denken sinnvoll zusammengeführt werden müssen, weiß DPD-Deutschland-CEO Karsten Schwarz. Das Wichtigste für mehr Resilienz ist - gerade in Krisen: "Firmen müssen bereit sein, sich zu verändern. Und wenn sie noch nicht bereit sind, ist die Not nicht groß genug", so Multi-Aufsichts- und Verwaltungsrätin Ulrike Handel. "Was gibt es Schöneres, als auf Besseres hinzuarbeiten?", macht sie Mut, den Wandel anzugehen. Essenziell dafür sei: "Veränderung passiert stets von oben, wird von oben initiiert und getragen. Und Veränderung wird dann von unten gelebt und umgesetzt." Mitarbeiter einbinden, mehr Agilität - all das kann Kay Schiebur, Konzern-Vorstand Services Otto Group, für mehr Resilienz unterschreiben. Schnelligkeit bedeute aber auch, dass man mal aus der Kurve fliegen könne, weil etwa zu einem Zeitpunkt nicht alle Informationen vorlagen. Sein Rat in schnelllebigen Zeiten: "Lasst uns Dinge, Technologien ausprobieren. Lasst uns Erfolge, aber auch das Scheitern feiern." Stichwort "gelebte Fehlerkultur", auch das hilft für mehr Resilienz. Deutscher Logistik-Preis 2024 geht an Denkinger Das nachhaltige Logistikprojekt "Rail-Hub" des Transport- und Logistikunternehmens Denkinger in Ehingen erhält in diesem Jahr den Deutschen Logistik-Preis der Bundesvereinigung Logistik (BVL). Denkinger hat laut BVL die Schwerlastgüterlogistik neu durchdacht, unter anderem mit dem Ziel, möglichst viel Stahl auf die Bahn zu verlagern. Herzstück des prämierten Konzepts ist das "Rail-Hub", das zwei Umschlaghallen entlang einer zwei Kilometer langen Gleisanlage umfasst, in die Güterzüge direkt einfahren und mittels Spezialequipment entladen werden können. Für den Weitertransport setzt Denkinger auf mehrere E-Lkw, die mittels eigener Fotovoltaikanlage geladen werden können. BVL: Politisch stärker engagieren Fazit des Kongresses: Die Zeiten in der Logistik werden stürmischer. Sich krisenfest machen ist das Gebot der Stunde. Vieles können die Betriebe dafür selbst tun. Den Rahmen indes muss die Politik setzen. Fakt ist: Die deutsche Wirtschaft braucht jetzt Antworten: "Deutschland muss schneller werden", forderte Althoff eindringlich. "Die Geschwindigkeit muss sich dramatisch erhöhen, damit wir den gewünschten Erfolg, den wir am Standort Deutschland und in Europa erbringen, auch künftig erbringen können. Unsere Politik muss deshalb mutig Innovationen fördern und in die Zukunft investieren." Die BVL mache der Politik daher ein Angebot. "Wir möchten gerne in Zukunft ein Unterstützer, aber auch ein kritischer Partner der Politik sein. Wir werden unsere Interessen hier in Zukunft erheblich stärker vertreten."

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