Berlin. Den vorgesehenen Betreibern der gescheiterten Pkw-Maut entgehen durch die Vertragskündigung Nettogewinne in Gesamthöhe von einer Viertelmilliarde Euro. Das geht aus internen Dokumenten der Auftragnehmer CTS Eventim und Kapsch TrafficCom hervor, die das Wirtschaftsmagazin „Capital“ (Ausgabe 9/2019) ausgewertet hat. Ausweislich des Finanzmodells für die eigens gegründete Mautbetriebsfirma Autoticket hätten sich deren Nettogewinne über die gesamte zwölfjährige Vertragslaufzeit bis 2032 auf insgesamt 257,4 Millionen Euro summiert. Bei dem Gewinn vor Zinsen und Steuern (Ebit) rechneten die Autoticket-Eigentümer über die Vertragslaufzeit bis 2032 mit einer Summe von 382,2 Millionen Euro. Dabei kalkulierten sie dem Finanzmodell zufolge mit einer Eigenkapitalrendite vor Steuern in Höhe von mehr als 25 Prozent, berichtet „Capital“ weiter.
Für Eventim und Kapsch galt die Abwicklung der Maut dank der bekannten Zulassungszahlen für Pkw als gut kalkulierbares Geschäft. Nun könnte die Gewinnplanung eine zentrale Rolle spielen, wenn es um die Höhe des Schadensersatzes geht, den die Betreiber nach der Kündigung des Mautvertrags im Juni geltend machen dürften – neben den bisherigen Aufwendungen für Personal und anderen Ausgaben. Im Vertrag ist festgehalten, dass der Bund den Auftragnehmern den Bruttounternehmenswert der Mautfirma erstatten muss, wenn er den Vertrag allein aus „ordnungspolitischen Gründen“ wie einem negativen Gerichtsurteil kündigt. Mitte Juni hatte der Europäische Gerichtshof (EuGH) die deutsche Pkw-Maut als europarechtswidrig verworfen.
Scheuer spricht von Schlechtleistung
Verkehrsminister Andreas Scheuer (CSU) hatte die Vertragskündigung allerdings nicht ausschließlich mit der Entscheidung des EuGH begründet. Darüber hinaus führte er auch Schlechtleistung der Auftragnehmer als Kündigungsgrund an. Zudem hätten die Betreiber noch direkt nach der Kündigung des Vertrags durch den Bund am 19. und 20. Juni mehrere Kontrakte mit Unterauftragnehmern angepasst, wodurch Ansprüche nachträglich „begründet und signifikant erhöht” worden seien. Dabei habe es sich um den Versuch einer „treuwidrigen Schädigung des Auftraggebers“ gehandelt.
Nach Recherchen von „Capital” hatte Scheuer den Betreibern nach dem EuGH-Urteil am 18. Juni allerdings zunächst nicht mitgeteilt, dass er die Mautfirma Autoticket abwickeln lassen wolle. Erst am 21. Juni – zwei Tage nach der Kündigung des Betreibervertrags – ließ Scheuer die Auftragnehmer informieren, dass er auf die vertraglich vereinbarte Option verzichte, Vermögensgegenstände der Firma wie das bereits weitgehend entwickelte Mautsystem zu übernehmen. Erst in dem Schreiben vom 21. Juni forderte der Bund die Auftragnehmer auch ausdrücklich auf, die geordnete Abwicklung von Autoticket in die Wege zu leiten, keine neuen Verträge mehr mit Subunternehmern abzuschließen und die bestehenden Verträge zu kündigen. Auf Anfrage von „Capital“ habe sich das Verkehrsministerium jedoch nicht zu detaillierten Fragen äußern wollen. (sno)