Manuelle Kommissionierung

Manuelle Kommissionierung Das Geld steckt im Detail Einsparpotenziale bei manueller Kommissionierung zu erzielen, ist nicht so einfach. Dass sich der Einsatz neuer wissenschaftlicher Methoden lohnen kann, zeigte das Institut für Fördertechnik und Logistik auf der Logimat. Zwischen acht und neun Uhr morgens war am Wareneingang des Logistikzentrums des Automobilzulieferers Mahle in Schorndorf die Hölle los: Mehr als 45 Prozent der insgesamt 750 Paletten am Tag wurden in dieser einen Stunde angeliefert. Lebhaft ging es danach noch einmal zwischen 14 und 15 Uhr zu, als weitere 150 Paletten ankamen. Ansonsten war es an den Rampen eher ruhig. Dieser Zustand kann nicht optimal sein, dachten sich die Berater der Unternehmenstochter Mahle Consulting. Sie stellten durch Veränderungen der Anlieferplanung sicher, dass die Auslastung der Mitarbeiter verstetigt wird. Heute werden zwischen sechs und 16 Uhr ungefähr gleich viele Paletten pro Stunde angeliefert. „Die Produktivität stieg effektiv um 33 Prozent – das entspricht einer Jahreseinsparung von 48.000 Euro“, berichtete Berater Alexander Wagner auf dem Forum „Exzellenz in der manuellen Kommissionierung“, das das Institut für Fördertechnik und Logistik (IFT) der Universität Stuttgart Ende Februar im Rahmen der Messe Logimat veranstaltet hat. Besser Kommissionieren durch Kaizen Wagner wendet zur Optimierung der Kommissionierung das Kaizen-Konzept (zu deutsch: ewige Verbesserung) an. Um permanente Verbesserungen in einer durchstrukturierten Umgebung wie der 15.000 Quadratmeter großen Kommissionierfläche bei Mahle zu erreichen, reicht weder der Blick auf die Prozesse aus der Vogelperspektive noch der Einsatz innovativer Kommissioniertechnik (siehe Kasten). „Man muss als Berater auch einmal bereit sein, sich die Hände schmutzig zu machen und die untersuchten Tätigkeiten selbst ausführen“, sagte Wagner. Manchmal seien es Kleinigkeiten, die dabei auffielen. Beispielsweise, dass die 325 Ausgangspaletten pro Tag beim Stretchen fünfmal mit Folie umwickelt werden, obwohl vier Durchgänge auch reichen würden. Allein die Materialeinsparung pro Jahr summiert sich dadurch auf 7000 Euro. Es sind auch noch größere Einsparungen möglich: In der Ausgangssituation bekamen die Mitarbeiter eine Kommissionierliste ausgehändigt, bei der kein Routing festgelegt war. Die zu pickenden Artikel waren nach Gewicht sortiert. Die Folge: Mitarbeiter befuhren denselben Gang zwei-, drei- oder sogar viermal. Doch durch die Programmierung einer neuen Routing-Systematik – Investment 16.000 Euro – verkürzten sich die Wege der Kommissionierer. Die Produktivität stieg um mehr als zehn Prozent, was einer Jahreseinsparung über die Zahl der eingesetzten Mitarbeiter von 144.000 Euro ausmacht. Cherry-Pickung ist wenig effektiv Ein häufig unterschätzter Produktivitätskiller ist das Cherry-Picking der Kommissionier. Das Cherry-Picking ergibt sich dann, wenn die Mitarbeiter die Möglichkeit bekommen, zwischen Pick-Positionen zu wählen oder Aufträge zu überspringen. „Der Effekt ist das Überspringen von Positionen mit schweren oder vielen Artikeln“, erklärte Wagner von der Unternehmensberatung Mahle Consulting. Dadurch verschlechtere sich das Routing, was dazu führe, dass die Produktivität sinke. Mahle begegnet diesem Phänomen damit, dass die Möglichkeit des Überspringens oder Auswählens im IT-System abgeschafft worden ist. Die Folge: Die Mitarbeiter bleiben auf einem Auftrag angemeldet, bis dieser abgearbeitet ist. Lediglich ins System eingesteuerte Expressaufträge können einen Auftrag unterbrechen. Ein weiteres Hindernis ist die suboptimale Zuordnung von Artikeln zu Lagerplätzen. Bei Mahle wurden die Lagerplätze einmal im Jahr auf Basis einer ABC-Analyse überprüft. Das war zu selten, wie Mahle Consulting feststellte. Das Nachfrageverhalten änderte sich deutlich häufiger – mit der Folge, dass aus oft gepickten A-Artikeln seltener nachgefragte B-Artikel wurden, ohne dass dies eine Änderung des Lagerplatzes ausgelöst hätte. 25 Prozent der als B-Artikel eingestuften Materialnummern hätten eigentlich als A-Artikel behandelt werden müssen; umgekehrt waren 22,7 Prozent der A-Artikel in Wirklichkeit als B-Artikel zu betrachten. Eine monatliche ABC-Analyse mit Hilfe eines Umlagerungstools soll nun dieses Problem lösen – und die Produktivität um über fünf Prozent steigern. Julian Popp, wissenschaftlicher Mitarbeiter am IFT, wies auf der Logimat auf die Relevanz von Optimierungsmaßnahmen in der Kommissionierung hin. Laut wissenschaftlichen Analysen sei die Kommissionierung mit rund 55 Prozent die kostenintensivste Tätigkeit in einem Kommissionierzentrum. Aufgrund des demografischen Wandels müssten sich die Unternehmen in diesem Bereich zunehmend auf ältere Mitarbeiter einstellen. Wichtig sei, diese durch technische Systeme wie Pick by Light oder Pick by Voice zu unterstützen, aber auch Hilfen zu entwickeln, die die körperlichen Belastungen reduzieren. Popp betonte zudem, dass es noch zu selten spezielle Systeme zum Anlernen von Mitarbeitern gebe. Projekt wertet Mitarbeiterschulung aus Das Lernen steht auch im Mittelpunkt eines Projektes mit dem Namen Leikom (Lernkurven in der manuellen Person-zur-Ware-Kommissionierung), die das IFT derzeit mit Hilfe mehrerer Partner aus Industrie und Wissenschaft umsetzt. Ziel ist es, zu ermitteln, wie schnell Kommissionierer auf eine neue Tätigkeit angelernt werden können. Die Wissenschaftler wollen zum Beispiel herausfinden, wie viele Leiharbeiter zur Abdeckung von Saisonspitzen nötig sind. Bisher werde dies in Unternehmen meistens aus dem Bauch oder auf der Basis von Erfahrungswerten heraus entschieden, sagte Matthew Stinson, Mitarbeiter der Abteilung Logistik am IFT. Fänden sich allerdings präzisere Methoden zur Unterstützung von Entscheidungen, ließe sich der Mitarbeitereinsatz optimieren, ohne dass das auf Kosten der Prozesssicherheit ginge. ❙❚■ Björn Helmke, VR-Korrespondent in Hamburg Der Automobilzulieferer Mahle hat die Anlieferung verbessert und so rund 48.000 Euro im Jahr gespart „Als Berater muss man auch bereit sein, sich die Hände schmutzig zu machen“ Alexander wagner, Unternehmensberater bei Mahle Consulting Technische Hilfen zur manuellen Kommissionierung Verfahren Beschreibung Vorteile Nachteile Pick by Scan Der Kommissionierer bekommt auf einem Scanner/PDA den Kommissionierauftrag und Lagerort angezeigt. Er quittiert die Ausführung durch Scannen des Artikels Ein robustes und eingeführtes Verfahren Eine Hand ist in vielen Systemen durch den Scanner belegt, dadurch Produktivitätsverlust Pick by Voice Der Kommissionier wird über gesprochene Befehle zum Lagerort geleitet und ebenso über zu entnehmende Mengen informiert. Er quittiert die Erledigung ebenfalls per Sprachnachricht Die Hände sind frei – dadurch niedrigere Unfallgefahr und höhere Produktivität Lärm in der Arbeitsumgebung hat Einfluss auf Kommissioniergeschwindigkeit Pick by Light Der Kommissionierer bekommt über Blickfangleuchten am Lagerort den nächsten Auftrag angezeigt. Er quittiert die Erledigung durch Knopfdruck auf dem Bedienfeld am Lagerplatz Geringe Fehlerquote, beide Hände sind frei – dadurch niedrigere Unfallgefahr und höhere Produktivität Hohe Installationskosten, bei einfarbigen Blickfangleuchten kann nur ein Mitarbeiter pro Kommissionierabschnitt eingesetzt werden Pick by Vision Anzeige von Lagerplatz, Entnahmemenge und Artikel in einem künstlichen Blickfeld (Kommissionierbrille) Die Hände sind frei – dadurch niedrigere Unfallgefahr und höhere Produktivität Das Verfahren ist noch nicht vollständig ausgereift Quelle: Institut für Fördertechnik und Logistik, Julian Popp

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