LNG braucht langen Atem

Das Ärgernis liegt als Papierstapel vor Bernhard Reichert, Geschäftsführer beim BTK Befrachtungs-und Transportkontor in Rosenheim. 2018 hat er 15 mit Flüssigerdgas betriebene Sattelzugmaschinen des Typs Iveco AS 440 S 40 T/P - LNG Cursor 9 in den täglichen Betrieb genommen. "Persönlich bin ich über die politische Sichtweise enttäuscht", sagt Reichert und verweist auf seinen Schriftwechsel mit dem Deutschen Bundestag. Dabei hat das Bundesministerium für Verkehr und digitale Infrastruktur (BMVI) mit dem EEN-Förderprogramm (siehe Kasten Seite 27) allein 2018 für LNG-Fahrzeuge zehn Millionen Euro bereitgestellt. Erste Anträge für Zuschüsse konnten im Juli beim Bundesamt für Güterverkehr gestellt werden. Reicherts Problem: Er hat die ersten acht LNG-Sattelzugmaschinen zu früh geordert - im April. "Ansonsten hätte es unvermeidlich zeitliche Probleme in unserer Fuhrparkausstattung gegeben", erklärt er. 15 LNG-Lkw für Mittelständler BTK LNG-Lkw bieten Iveco, Scania und Volvo an, der Kaufpreis liegt bis zu 45.000 Euro über dem eines Diesel-Fahrzeugs. "Ohne den Anreiz einer Förderung hätte ich das Projekt niemals gestartet, da die Finanzierungslücken nicht zu schließen sind", sagt Reichert. Die Mehrkosten für seine 15 LNG-Lkw beziffert er inklusive externer Kosten für wissenschaftliche Begleitung sowie Überwachung der Energieeffizienz mit Telematik und Software auf 638.750 Euro.Die BTK-Berechnungen gehen davon aus, dass sich die Mehrkosten in der Anschaffung pro Fahrzeug mit dem Fördergeld und den besseren Verbrauchswerten innerhalb von 60 Monaten ausgleichen. Berücksichtigt ist der leicht erhöhte Wartungsaufwand durch kürzere Intervalle - LNG bei 75.000 Kilometern, Diesel bei 150.000 Kilometern. Die Hersteller weisen zudem auf etwas mehr Servicekosten hin. Volvo empfiehlt bei LNG-Fahrzeugen eine Haltedauer von vier bis sechs Jahren (Diesel: zwei bis vier Jahre), "um das Potenzial voll auszuschöpfen", so Emanuel Lauf, Vertriebsdirektor bei Volvo Group Trucks Central Europe in Ismaning. Mit Leasing halten sich die Lkw-Konzerne dagegen zurück, dafür gibt es keine Zuschüsse. Allerdings empfiehlt die LNG-Taskforce der Initiatoren Deutsche Energie-Agentur und Deutscher Verein des Gas- und Wasserfaches, das Förderprogramm für Leasing zu öffnen. Im täglichen Einsatz verbrauchen LNG-Lkw weniger Treibstoff, das reduziert die Kosten. "Der Verbrauch liegt im Mittel bei circa 21,8 Kilogramm auf 100 Kilometern", berichtet Reichert von BTK. Nach Auskunft von Matthias Strehl, Geschäftsführer bei Ludwig Meyer, werden die Dieselverbräuche um "bis zu 18 Prozent" unterschritten. Die 20 LNG-Fahrzeuge der Spedition mit Sitz in Friedrichsdorf/Taunus haben fast vier Millionen Kilometer zurückgelegt. 2019 sollen im Fernverkehr neun weitere Flüssigerdgas-Lkw von Iveco und Scania hinzukommen. Für innerstädtische Verkehre mit 150 bis 200 Kilometern pro Tag hält Strehl jedoch komprimiertes Erdgas (CNG) für die bessere Alternative, weil die Tankstelleninfrastruktur engmaschiger sei und die Fahrzeuge "leicht bessere Verbrauchswerte je nach Einsatzgebiet aufzeigen". Anders als ein Diesel-Lkw, der zur Abgas-Nachbehandlung AdBlue mitführt, benötigen LNG-Fahrzeuge von Iveco und Scania nur einen einzigen Kraftstoff. Außerdem entfällt der SCR-Katalysator zum Abbau von Stickoxiden in Dieselabgasen. "Anstelle dessen haben wir einen 3-Wege-Kat, wie er aus dem Pkw bekannt ist", erläutert ein Iveco-Sprecher. Zwar seien die Tanks schwerer, aber der Kraftstoff wesentlich leichter (390 Kilogramm für 1600 Kilometer). Der Iveco AS 440 S 40 T/P - LNG Cursor 9 ist mit zwei Gastanks à 540 Kilogramm ausgestattet. BTK erzielt damit eine Reichweite zwischen 1600 und 1800 Kilometern. Die LNG-Fahrzeuge von Volvo verfügen über einen Tank für bis zu 1000 Kilometer. Den alternativen Kraftstoff bezieht BTK gut 200 Kilometer vom Firmensitz entfernt in Nördlingen. Dort stellt das Wellkawee Service-Center mit dem Partner Liquind 24/7 die Flüssigerdgas-Versorgung mit einer mobilen Tankstelle sicher. "Im Juni 2019 soll eine stationäre LNG-Tankstelle eröffnet werden", kündigt Martin Popp, Geschäftsführer bei Wellkawee in Aalen, an. Aufbau LNG-Tankstellen schreitet voran Liquind 24/7 mit Sitz in Berlin baut europaweit eine flächendeckende Verteilinfrastruktur für LNG auf. Mit Fördermitteln des EU-Programms "Connecting Europe Facility (CEF) for Transport" sollen zehn weitere LNG-Standorte entlang wichtiger europäischer Transportkorridore entstehen, auch in Deutschland. Bislang erhalten Lkw in Deutschland nur an drei öffentlichen Tankstellen Flüssigerdgas. Beim Start der LNG-Station in Hamburg im September 2018 kündigte Shell an, binnen 18 Monaten drei weitere Tankstellen in Deutschland aufzubauen. Wo genau in Niedersachsen, Nordrhein-Westfalen und Thüringen diese sein werden, konnte eine Shell-Sprecherin bei Redaktionsschluss nicht sagen. Plan des Konsortiums BioLNG Euronet, dem Shell angehört, sei, alle 39 Stationen bis Anfang der 2020er-Jahre am Netz zu haben. Testet vier LNG-Lkw: Friedrich A. Kruse Für Friedrich A. Kruse junior, Mitglied der Geschäftsleitung der gleichnamigen Spedition in Brunsbüttel, spielt es für den Einsatz von LNG-Lkw keine Rolle, ob am Firmensitz im Hafen ein LNG-Terminal gebaut wird. Die Firma testet seit Ende November 2018 vier Volvo-FH 4 Lkw mit LNG-Antrieb. Sie sind täglich zwischen Brunsbüttel und Hamburg, wo sie betankt werden, unterwegs. Geht die Rechnung auf, kann sich Kruse vorstellen, die LNG-Verkehre nach Süddeutschland auszuweiten. Eine LNG-Tankstelle auf dem Betriebshof komme vorerst wegen der Kosten nicht infrage. Gute Erfahrungen damit gibt es indes bei Ludwig Meyer in Grünheide bei Berlin. "Bis zu sieben weitere Liqvis-Kunden haben auf unserem Betriebshof LNG getankt", berichtet Geschäftsführer Matthias Strehl. Die eigene Tankstelle wurde zum Jahresende geschlossen, weil die Uniper-Tochter Liqvis 200 Meter entfernt seit November 2018 eine öffentliche LNG-Tankstelle betreibt. Reichert hofft, dass der Europäische Ladungs-Verbund Internationaler Spediteure (Elvis) bald eine LNG-Tankstelle an seinem Hub im hessischen Knüllwald-Remsfeld eröffnet. "Wenn wir im vierten Quartal 2019 an den Start gehen könnten, wäre das prima", sagt Elvis-Vorstand Jochen Eschborn. Realistisch erscheint ihm aber eher der 1. Januar 2020, denn er sieht noch "erhebliche Hürden": So betrage die Lieferzeit der Tankanlage acht Monate, das Genehmigungsverfahren für die Gastankstelle dauere drei bis vier Monate. Für die Lieferzeit von LNG-Lkw veranschlagt Eschborn sechs bis acht Monate. Zudem gebe es keine Preisgarantie für LNG, auch die Reichweite des Treibstoffs schwanke je nach Topografie und Ladung erheblich. "Als Elvis-Partner wäre das für uns die Möglichkeit, ein weiteres LNG-Fahrzeug einzusetzen. Nur in diesem Fall werden wir unser Linienfahrzeug auf LNG umstellen", sagt Reichert. Auf weitere Papierstapel hat er keine Lust. Mehr zum Thema finden Sie im Dossier LNG www.verkehrsrundschau.de/dossiers Geld vom Staat Fördermöglichkeiten und Mautbefreiung- Das BMVI-Förderprogramm "Energieeffiziente und/oder CO2-arme schwere Nutzfahrzeuge" (EEN) bezuschusst bis Ende 2020 LNG-Neufahrzeuge ab 7,5 Tonnen mit je 12.000 Euro. Der Höchstbetrag je Unternehmen und Kalenderjahr beträgt 500.000 Euro.- Die De-Minimis Förderrichtlinie, um Diesel-Lkw umzurüsten, läuft weiter. Neue Anträge können ab Januar 2019 eingereicht werden, LNG wird wieder dabei sein.- Die Bundesregierung hat die Energiesteuer-Ermäßigung für Erdgas als Kraftstoff bis zum Jahr 2026 verlängert. Der Energiegehalt von einem Kilogramm LNG entspricht 1,3 Liter Diesel. Weitere Einzelheiten zum Steuertarif finden sich im Internet unter https://bit.ly/2F62cmE- Das "Gesetz zur Änderung des Bundesfernstraßenmautgesetzes" garantiert LNG-Fahrzeugen für 2019 und 2020 eine komplette Mautbefreiung. Dazu folgendes Rechenbeispiel: Ein LNG-Lkw mit vier Achsen und 18 Tonnen oder mehr spart auf einer Mautstraße 18,7 Cent pro Kilometer gegenüber einem Euro-6-Fahrzeug der gleichen Ausführung ein (17,4 Cent für Infrastruktur plus 1,1 Cent für Luftverschmutzung plus 0,2 Cent Lärmbelastungszuschlag). Informationen im Internet unter https://bit.ly/2prXLc8. kkQuelle: Axel Blume Daten + Fakten Bestehende und geplante LNG-Tankstellen in Deutschland*)- Betreiber: Elvis AG, Alzenau, Ort: Knüllwald-Remsfeld, Kapazität: 100 Kubikmeter, parallele Betankung von 4 LNG-Lkw, Eröffnungsdatum: 4. Quartal 2019 oder 1.1.2020, öffentlich (für Elvis-Mitglieder)- Betreiber: HGM Energy GmbH, Bremen, Ort: Bremen-Arsten (Nähe A 1), Kapazität: 42.600 Liter bzw. gut 14 Tonnen LNG-Füllvolumen der mobilen Betankungsanlage, Eröffnungsdatum: Betreiber wartet täglich auf Auskunft der Gewerbeaufsicht, öffentlich (mobile Anlage soll durch stationäre Betankungsanlage abgelöst werden)- Betreiber: Iveco Magirus AG (mit Uniper), Unterschleißheim, Ort: Ulm, Kapazität: 68 Kubikmeter, Eröffnungsdatum: Juni 2016 (nicht-öffentlich, mobile Anlage), 3. Quartal 2019, öffentlich- Betreiber: Liquind 24/7 GmbH, Berlin, Ort: Duisburg, Kapazität: 100 Kubikmeter, parallele Betankung von 2 LNG-Lkw, Eröffnungsdatum: Mitte 2019, öffentlich- Betreiber: Liquind 24/7 GmbH, Berlin, Ort: Mannheim, Kapazität: 100 Kubikmeter, parallele Betankung von 2 LNG-Lkw, Eröffnungsdatum: Mitte 2019, öffentlich- Betreiber: Liquind 24/7 GmbH, Berlin, Ort: Nördlingen, Kapazität: 8 Kubikmeter, mobile Anlage, seit August 2018, 70 Kubikmeter, 1 LNG-Lkw-Tankplatz, Eröffnungsdatum: Mitte 2019 / öffentlich- Betreiber: Liquind 24/7 GmbH, Berlin, Ort: Memmingen, Kapazität: 70 Kubikmeter, parallele Betankung von 2 LNG-Lkw, Eröffnungsdatum: 3. Quartal 2019, öffentlich- Betreiber: Liquind 24/7 GmbH, Berlin, Ort: Wustermark, Kapazität: mobile Anlage: 20 Kubikmeter, 1 LNG-Lkw-Tankplatz, ab April 2019 stationäre Anlage: 70 Kubikmeter, parallele Betankung von 2 LNG-Lkw, Eröffnungsdatum: Juli 2019, öffentlich- Betreiber: Liquind 24/7 GmbH, Berlin, Ort: Stavenhagen, Kapazität: 70 Kubikmeter, 1 LNG-Lkw-Tankplatz, Eröffnungsdatum: 3. Quartal 2019, öffentlich- Betreiber: Liqvis (Uniper), Ort: GVZ Freienbrink, Grünheide (Mark) bei Berlin, Kapazität: zwei Dispenser für mindestens 100 Betankungen pro Tag, Eröffnungsdatum: November 2018, öffentlich- Betreiber: Shell Deutschland Oil GmbH, Hamburg, Ort: Hamburg, Kapazität: fast 30 Tonnen, Betankung von ca. 120 LNG-Lkw pro Tag, Eröffnungsdatum: November 2018 (Einweihung September 2018), öffentlich. kk*)Anmerkung: Auflistung in alphabetischer Reihenfolge (wenn nicht anders vermerkt, handelt es sich um stationäre Anlagen); Recherche: Kerstin Kloss, Stand 21.12.2018

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