Eschenbach. In Sachen Kartonagen kann Bernd Stohrer, Inhaber der Spedition A. Stohrer in Eschenbach – rund zehn Kilometer Luftlinie von Göppingen entfernt – kaum einer etwas vormachen. Kartonagen und Verpackungen sind sein Metier.
Der 55-Jährige, der die Spedition in dritter Generation führt, weiß genau, wie viel Kartonagen in seine fünf Lkw passen und wann er sie am besten auf Tour schicken muss, damit diese – ohne lange Wartezeiten – pünktlich an den Entladestellen der Empfänger ankommen.
Typisch Mittelständler hält sich Stohrer aber zurück – viel Gewese um sein Geschäft will er nicht machen. Nicht einmal eine eigene Homepage weist im Internet auf die Aktivitäten seiner Spedition hin. Und hätte die VerkehrsRundschau in diesem Jahr nicht ihr 75-jähriges Jubiläum gefeiert, wer weiß, ob wir je Stohrer begegnet wären.
VR-Abonnenten der ersten Stunden
Denn mit ihren fünf eigenen Lkw, sechs Lkw-Fahrern und Aushilfen fährt die Spedition A. Stohrer, wie sehr viele kleinere Transportbetriebe hierzulande, eher unter dem Radar. Dabei sind es eben solche Unternehmen, die durch ihre pünktliche und zuverlässige Ver- und Entsorgung von Industrie und Handel die Prozesse der Wirtschaft am Laufen halten – wenngleich meist eben nicht im Rampenlicht. So aber wissen wir, dank unseres Verlags-Archivs, dass die A. Stohrer Spedition seit dem Jahr 1950, also seit nunmehr insgesamt 71 (!) Jahren, die VerkehrsRundschau bezieht und eine unserer langjährigsten Abonnenten ist! Dafür ein herzliches Dankeschön an die Familie Stohrer für ihre Treue!
Zurück in eine Welt ohne Stapler und Netz
Eben in diese Zeit nimmt uns nun Bernd Stohrer mit, wenn er uns von seinem Unternehmen erzählt – zurück in eine Welt des Transports ohne Gabelstapler, Palette, Telefon, geschweige denn Internet. 1932 war es, als sein Großonkel Adolf Stohrer die Spedition gründete. Mit seinem ersten Lkw, einem Opel, holte er von Bauern in der Region die Milch ab und lieferte diese an Molkereien aus. Mit Erfolg, sein Betrieb wuchs auf drei Lkw und zwei Fahrer.
Doch mit dem Zweiten Weltkrieg kam das Leid; alle Lkw der Spedition und Stohrer selbst wurden zwangsweise von der Wehrmacht eingezogen, eine Bombe zerfetzte den linken Fuß des Unternehmers und er verlor alle seine Lkw. Oberschenkelamputiert startete er nach dem Krieg neu: mit einem Lkw, der ihm vom Staat zugeteilt worden wa. Er baute diesen auf Handkupplung um und lieferte weiter aus: keine Milch mehr, dafür Kies und Zement – Deutschland musste wieder aufgebaut werden. Eine harte Zeit: „Er konnte ja mit einem Bein nicht richtig gehen oder stehen. Vor allem beim Be- und Entladen eines Lkws war das sehr schwierig“, weiß Stohrer aus Erzählungen seines Vaters, der die Spedition seit 1949 bis 2014 geführt hatte (Übernahme in 1972 – nach dem Tod von Adolf Stohrer), und selbst heute noch – mit 91 Jahren – zuweilen im Betrieb mitmischt.
„Es war eine andere Welt. Termin- und Preisdruck gab es damals nicht“, erzählt er. Früher sei man seine Kunden nicht täglich, sondern einmal die Woche, vielleicht nur alle zwei Wochen angefahren, um die Waren abzuholen. Und mangels Gabelstapler und Paletten hätten die Leute in den Firmen Ketten gebildet, um die Waren vom Lkw zum Lager zu bringen und umgekehrt. „Damals schleppten die Leute, auch mein Vater, 50 Kilogramm schwere Zementsäcke. Die waren vom Brennen des Zements teilweise so heiß, dass es ihnen die Haut unter dem Hemd verbrannte.“
Bernd Stohrer drängte es dennoch ins Speditionsgeschäft. So half er schon mit sechs Jahren, die Lkw zu waschen, später auch sie zu reparieren. Mit zwölf fuhr er Gabelstapler, mit 16 machte er seine Speditionskaufmanns-Ausbildung bei der Spedition H. Wirth, mit 18 Jahren fuhr er in seiner Freizeit erste Zustell-Touren. „Damals durfte man ja mit dem Pkw-Fahrerschein noch kleinere Lkw fahren – sogar mit Anhänger.“ Sein BWL-Studium an der Fachhochschule schmiss er dagegen nach kurzer Zeit. „Schule war nie mein Ding.“ Das Lkw-Fahren dafür umso mehr: „Das war für mich die große Freiheit.“
Ein strikt reglementierter Markt
1989 trat Stohrer in das Familienunternehmen ein, seit 2013 leitet er es – mit allen Höhen und Tiefen. So hat er noch die Zeiten erlebt, als der Straßengüterverkehr hierzulande zum Schutz der Bahn genehmigungspflichtig war und ein Transportunternehmer deshalb eine Erlaubnis im Nahverkehr, eine blaue Konzession im Bezirksfernverkehr, eine rote im Güterfernverkehr sowie eine rosa Konzession für internationale Transporte brauchte. „Das war alles strikt reglementiert“, erinnert er sich. „Die Genehmigungen wurden einem vom Regierungspräsidium zugeteilt. Kaufen konnte man die nicht.“ Selbst die Frachtraten mussten die Transportbetriebe damals auf Basis eines staatlich vorgegebenen Reichskraftwagentarifs kalkulieren und ihre Abrechnungen den Frachtenprüfstellen zur Überprüfung einreichen.
„Unternehmertum war das nicht“, räumt er im Rückblick ein. Acht Lkw mit erst drei, später vier roten Konzessionen zählte seine Spedition Anfang der Neunzigerjahre – zur Blütezeit – kurz nach der Wiedervereinigung, die für kräftigen Wirtschaftsaufschwung in Deutschland sorgte. Doch mit der Liberalisierung des Güterverkehrs in 1993 – Stichwort Fall der Konzessionen und der Tarifbindung – kam die Wende im deutschen Transportgewerbe; auch für Stohrer. „Der Druck hat sich dadurch verschärft. Das hat die Transportbranche massiv verändert“, resümiert er. „Viele konnten ihre Transportpreise nicht kalkulieren. Das haben einige Auftraggeber ausgenutzt und versucht Druck zu machen und Niedrigpreise zu fordern.“ Und dieser Preisdruck sei auch heute noch so. „Wenn ich in München eine Abladestelle habe und in Rosenheim Rückladung bekomme“, nennt er ein Beispiel, „interessiert das keinen, wie viel Euro mich die Anfahrt kostet. Das rechnet keiner in den Preis rein.“
Stohrer ist gerne sein eigener Chef
Stohrer liebt sein Geschäft trotzdem – das spürt man. „Ich fahre gerne zu unseren Kunden, die kennen ja teilweise noch meinen Vater. Vor allem bin ich gerne mein eigener Chef “, betont er. „Auch wenn ich weiß, was selbstständig heißt – also selbst und ständig.“ Natürlich mache er sich zuweilen Sorgen über das Fortbestehen seines Geschäfts, Sorgen, die ihn auch nachts begleiten. Nicht weil ihm Aufträge fehlen. Im Gegenteil: „Aufträge hätte ich genügend. Doch ich finde keine Fahrer dafür. Selbst auf Zeitungsannoncen meldet sich keiner.“ Und durch die Digitalisierung werde es nicht einfacher. „Mit dem digitalen Tachographen werden die Lenk- und Ruhezeiten der Fahrer noch strikter kontrolliert. Das schreckt die Leute vom Fahrerberuf ab, weil sie sich überwacht fühlen.“
Vier eigene 40-Tonner und einen 7,5-Tonner setzt Stohrer aktuell ein. „Mehr sollen es nicht mehr werden. Mir passt unsere augenblickliche Betriebsgröße“, sagt er. Denn je größer man werde, desto schwerer werde es, den Überblick darüber zu behalten. Zumal er nicht wisse, ob er in Zukunft überhaupt noch an Fahrpersonal kommt, geschweige denn, welche Auflagen sich die Politik für Transportbetriebe einfallen lässt. Schon heute sei es ja so, „dass wir in Deutschland die Auflagen und dadurch die Kosten haben – Beispiel Berufskraftfahrer-Qualifikationsgesetz.“ Andere Länder würden dies anders regeln, fallweise auch laxer, meint er – mit Verweis auf Osteuropa. „Mit diesen Ländern aber konkurrieren wir und dieser Wettbewerb wird immer größer. Die wissen genau, dass uns hier Fahrer fehlen und die Kabotage nicht wirklich kontrolliert wird.“
Vor diesem Hintergrund hat Bernd Stohrer nur einen Wunsch: Im Jahr 2032, das ist in zehn Jahren, will er Jubiläum feiern. Dann ist die A. Spedition Stohrer 100 Jahre alt, er selbst ist dann 66 Jahre. Und vielleicht ist bis dahin sogar sein Sohn Marius in das Unternehmen eingestiegen, Vorstellbar ist es. „Marius hat soeben mit 13 Jahren“, erzählt Stohrer stolz, „auf unserem Hof seinen ersten Anhänger repariert.“ (eh)