Kunststoff ist im Kommen

Die 1200 mal 800 Millimeter große Europalette aus Holz ist in der Lager- und Transportwirtschaft derzeit das Maß aller Dinge. Regalbau, Anlagenbau und Fördertechnik sind von ihr geprägt. Viele Industriebetriebe haben ihre Verpackungen und Maschinen auf 0,96 Quadratmeter Flächenmaß ausgelegt. Die Ladeflächen von Wechselbrücken und Sattelzügen nehmen zwei Europaletten quer oder drei Europaletten in Längsrichtung auf. Inzwischen sind weltweit mehr als 500 Millionen der Epal-Holzpaletten im Umlauf. Rund 70 Millionen Stück werden pro Jahr neu produziert. Mit der Kunststoffpalette steht nun offenbar ein nachhaltiger Materialwandel bevor. Bislang fristen die Mitte der 90er-Jahre eingeführten Ladehilfsmittel ein Schattendasein. Experten schätzen ihren Marktanteil kaum höher als etwa fünf Prozent. Die aus Polyethylen (PE), Polypropylen (PP) oder Recycling-Material gefertigten Ladungsträger erschließen sich aktuell immer neue Anwendungsbereiche. "Wir stehen vor nennenswerten Veränderungen", sagt Ekart Kuhn, Gesellschafter des auf Ladungsträger spezialisierten Research- und Beratungsunternehmens Ekupac in Köln. Es gebe 20 bis 30 Argumente für die Kunststoffpalette. Gegenwärtig starte eine Menge markanter Vorhaben mit ihnen. "Pro Jahr sind einstellige Wachstumsraten zu erwarten. Die Marktanteile werden sich zugunsten der Kunststoffpalette verschieben." Erfolg in der Lebensmittelindustrie Noch ist der Einsatz der Kunststoffpalette auf wenige Branchen fokussiert. "Der Markt ist kleiner als bei Holzpaletten, aber die Wachstumsraten werden höher eingeschätzt", so Rolf Olsen, Geschäftsführer des Industrieverbands Halbzeuge und Konsumprodukte aus Kunststoff (Pro-K). Kaffeeröster, Molkereien, Obstproduzenten und Gebäckhersteller setzten inzwischen auf den Ladungsträger aus Synthetikmaterial. Die Euro-H1-Kunststoff- und Hygienepalette hat sich in den vergangenen zwei Dekaden als Standardlösung vor allem in der Fleischbranche durchgesetzt. "Das ist das gängigste Tauschprodukt unter den Kunststoffpaletten", sagt Ulrich Pollmann, Inhaber von Palettenpool Deutschland in Soest. Die Euro H1 sei kompatibel zu den Kunststoffbehältern E1 bis E4, in denen Fleischwaren transportiert werden, leicht zu reinigen und thermisch wie mechanisch extrem belastbar. Überwiegend kommt die Kunststoffpalette in geschlossenen Kreisläufen zum Einsatz. "Wenn es um intralogistische Systeme geht, die nicht zu dem offenen Tauschpool gehören, bietet sie eine nicht mehr wegzudenkende Alternative zur Holzpalette", urteilt Thomas Göbel, Key Account-Leiter beim Kunststoffhersteller Paul Craemer. Viele Experten sehen gerade in den geschlossenen Kreisläufen jedoch einen deutlichen Nachteil für eine weitere Verbreitung der Kunststoffpalette. "Ihre Tauschfähigkeit ist eine vertragliche Vereinbarung innerhalb der Lieferkette", erläutert Pollmann. "Es braucht weitere Standardisierungen auf Basis der Standardmaße, um eine Substituierung der Holzpalette voranzutreiben." Etwa sechs Millionen Kunststoffpaletten sind bislang im Umlauf. Mehr als 50.000 Euro-H1-Paletten setzt inzwischen die Lebensmittelfachspedition Kraftverkehr Nagel aus Versmold für den Transport von Fleisch- und Wurstwaren ein. Ein geschlossenes System. Die Spedition beliefert die Produzenten mit leeren Kunststoffpaletten, nimmt beladene H1-Paletten wieder auf und transportiert die Waren zu den Empfängern. Dort wird das Leergut vorheriger Lieferungen eingesammelt und wieder den Lebensmittel- und Fleischwarenherstellern zugeführt. Weil diese für die Hygiene verantwortlich sind und die Paletten bei unterschiedlichen Kunden zum Einsatz kommen, übernehmen die Industrieunternehmen nach jedem Transport die Reinigung vor der nächsten Beladung. "Bei den Umlaufkosten kann Kunststoff preislich mithalten", sagt Kuhn von Ekupac. Dabei seien diese Paletten leichter und weniger anfällig für Schäden. In der Intralogistik ist man skeptisch Vor allem die langlebig hohe Sauberkeit und Qualität sind maßgebliche Vorteile gegenüber den Holzpaletten, die spätestens bei fünf Umläufen deutliche Gebrauchsspuren aufweisen. Zudem lassen sich Ladungsträger aus Synthetikmaterial exakt auf die Anforderungen der Anwender hin produzieren. Die Hersteller der Automobilindustrie nutzen zum Beispiel in eigenen Poolsystemen individualisierte Lösungen. "Wenn sich die Anforderungen der Produzenten auf einen Nenner bringen ließen, dann wäre auch ein Tausch untereinander möglich", erläutert Pro-K-Geschäftsführer Olsen. "In einigen Segmenten entwickeln die Hersteller bereits Lösungen für einheitliche Systeme. Das wird den Marktanteil von Kunststoffpaletten weiter steigern." Überdies böte das Material enormes Innovationspotenzial für höherwertige Anwendungen - etwa in der Medizin oder in Reinraum-Produktionen. Zur Vorsicht bei der Einbindung in die automatisierte Intralogistik raten hingegen die Anlagenbauer und Fördertechnikhersteller. "Generell verhalten sich Kunststoffpaletten nicht schlechter als Holzpaletten; doch gerade beim Mischbetrieb, etwa mit Holz-, Chep- und schwarzen Kunststoffpaletten, muss insbesondere die Anlagensensorik auf die unterschiedlichen Ladungsträger ausgerichtet werden", erklärt Robert Wredenhagen, Verkaufsleiter des Schweizer Anlagenbauers Swisslog in Deutschland. Im Extremfall könnten beispielsweise doppeltief gelagerte Paletten von den Sensoren der Lastaufnahmemittel nicht geortet werden. Überdies verhielten sich einige Kunststoffpaletten auf Rollenbahnen weicher und liefen daher trotz gleichbleibender Anlagengeschwindigkeit unterschiedlich schnell. Auch im Regal verhalten sich manche Kunststoffpaletten anders als Holzpaletten. Wenn sie längere Zeit gelagert sind, biegen sie stärker durch. In Kanallägern verfangen sich beim Zugriff dann eventuell die Sattel der eingesetzten Satelliten-Fahrzeuge und sie bleiben im Regalkanal stecken. Derartige Besonderheiten könnten meist nur im Echtbetrieb geprüft werden. Lösungen dafür seien verfügbar. Das Interesse des Handels steigt stetig "Über den Umstieg auf Kunststoffpaletten entscheiden die großen Marktteilnehmer in Handel und Industrie", sagt Pollmann von Palettenpool Deutschland. Bestes Beispiel dafür sei die vom Kölner Hersteller und Poolbetreiber Chep vermietete Viertelpalette. Konkrete Angaben zur Stückzahl seiner im Markt befindlichen Kunststoffpaletten macht das Unternehmen unter Hinweis auf seine Börsennotierung nicht. Allerdings spricht Marketing-Manager Ertan Benzes von einer wachsenden Nachfrage. Die Akzeptanz des deutschen Handels, der die kleinen Kunststoffpaletten gern als Display-Paletten einsetzt, weckt das Interesse der Wirtschaftsunternehmen. Viele Experten erwarten eine ähnliche Entwicklung wie bei der Display-Palette in nächster Zeit im Bereich der Halbpaletten. Glaubt man den Paletten-Großhändlern, schreckt der Preis, der bei Kunststoffpaletten etwa um den Faktor sieben bis zehn höher liegt als bei Holzpaletten, bisher zwar offenbar noch viele Unternehmen ab. "In vielen neuen Projekten steht Kunststoff als Ladungsträger inzwischen aber zur Diskussion", resümiert Christian Kühnhold, Geschäftsführer der Paki Logistics. "Generell bleibt festzuhalten, dass beide Pools ihre Berechtigung haben."

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