Berlin. Olaf Scholz hat es schon mal prophezeit, aber diesmal dürfte es auch wirklich stimmen: „Die fetten Jahre sind vorbei.“ Denn die Corona-Pandemie hat nicht nur das Leben der Bürger auf den Kopf gestellt, sondern auch die Finanzen von Bund, Ländern und Kommunen – und weder virologisch noch finanziell ist die Krise ausgestanden.
Bis Anfang Juni will die Koalition ein Programm vorlegen, um vor allem die Wirtschaft wieder auf die Füße zu stellen. Die Erwartungen sind hoch: Es soll die Nachfrage ankurbeln, aber das Land zugleich bei Klimaschutz und Digitalisierung voranbringen. Doch die Kassen sind leer – und das, obwohl nach sechs Jahren ohne neue Schulden gerade erstmals sogar die schwarze Null fiel. Doch es deutet sich an, dass nicht einmal die 156 Milliarden Euro zusätzliche Kredite ausreichen werden.
Denn die Papiere von Wirtschafts- und Umweltverbänden häufen sich, in denen Vorschläge für Milliardenausgaben gemacht werden. Die Autoindustrie fordert zusätzliche Kaufprämien, Reisewirtschaft und Gastronomie einen Rettungsfonds und die Kommunen einen Rettungsschirm. Immer geht es um Milliarden, viele Milliarden. Für die Politik wäre es die Quadratur des Kreises, wollte sie allen Wünschen gerecht werden. Enttäuschungen sind programmiert.
Steuerschätzer wollen Situation abwägen
Wie schlimm die Zeitenwende in der Haushaltspolitik ausfällt, errechnen diese Woche die Steuerschätzer. Klar ist: Das Steueraufkommen für dieses und wohl auch das kommende Jahr wird einbrechen. Erstmals seit der Finanzkrise 2009 dürften die Einnahmen von Bund, Ländern und Kommunen sinken – womöglich sogar noch stärker als damals. Unterlagen aus dem Finanzministerium zeigen, dass die Corona-Krise in diesem Jahr ein Steuerloch von 118,8 Milliarden Euro reißen könnte. Auch die Steuerschätzer gehen nach Informationen des „Handelsblatts“ davon aus, dass der Staat mit rund 100 Milliarden Euro weniger auskommen muss als im Herbst vorhergesagt.
Die damals erwarteten Einnahmen hat Vizekanzler Scholz natürlich längst verplant: Rekordinvestitionen in Verkehrs-Infrastruktur und Breitband-Ausbau. Erhebliche Mittel für den Klimaschutz und die Digitalisierung der Schulen. Eine Grundrente für langjährige Geringverdiener. Der Abbau des Solidaritätszuschlags für fast alle Bürger und mehr Kindergeld. Muss der SPD-Mann den Rotstift ansetzen?
SPD-Chef Norbert Walter-Borjans warnt schon, die hart erkämpften Investitionen müssten jetzt auch kommen – und auch Scholz betonte sogleich: “Man darf einer Krise nicht hinterhersparen.“ Doch beim Koalitionspartner Union gibt es bereits Forderungen, die Grundrente auf Eis zu legen – wie alles, was Unternehmen belasten könnte Denn die Wirtschaft ist heftig gebeutelt, Hunderttausende Jobs sind in Gefahr. Die Regierung rechnet damit, dass die Wirtschaftsleistung in diesem Jahr um 6,3 Prozent sinkt. Das wäre ein stärkerer Einbruch als in der weltweiten Finanzkrise vor mehr als zehn Jahren.
Wünsche der Wirtschaft, Gewerkschaften und Politik
Druck kommt von allen Seiten. Der Gewerkschaftsbund DGB fordert massive öffentliche Investitionen zur Ankurbelung des Konsums. „Das stützt Wirtschaftsentwicklung und Arbeitsplätze und stabilisiert so letztlich auch die Staatsfinanzen“, argumentiert Vorstandsmitglied Stefan Körzell. „Reine Geldverschwendung“ wären breit angelegte Steuersenkungen für Unternehmensgewinne, Top-Verdienste und Vermögen.
Die Linke fordert eine Vermögensabgabe für besonders Reiche, auch in der SPD gibt es Anhänger dieser Idee. Dagegen bekräftigen Wirtschaftsverbände ihre Forderung nach einer Reform des Steuersystems – und warnen vor Steuererhöhungen. „Die finanzpolitischen Spielräume werden ab sofort deutlich enger – und das dicke Ende kommt erst noch“, sagt der Hauptgeschäftsführer des Industrieverbands BDI, Joachim Lang. „Dennoch wäre es absolut falsch, jetzt zu versuchen, Staatseinnahmen über höhere Steuern auszugleichen.“ Damit würde wirtschaftliche Aktivität gestoppt. Kanzlerin Angela Merkel (CDU) versichert am Mittwoch im Bundestag: „Stand heute“ seien keine Steuer- oder Abgabenerhöhungen geplant.
Klimaschützer zeigen sich beunruhigt
Mit großer Sorge schauen Klimaschützer auf die Lage. Vor der Corona-Krise bestimmten ihre Anliegen die politische Agenda – jetzt könnte das Geld, das in den Umbau der Wirtschaft fließen sollte, im Corona-Loch verschwinden. Umweltverbände, aber auch Ökonomen, UN-Generalsekretär Antonio Guterres und nicht zuletzt viele Unternehmen mahnen daher: Die Milliarden und Billionen dürfen nicht in das alte, auf Kohle und Öl aufgebaute System gehen, sondern müssen gleichzeitig der Wirtschaft und dem Klima helfen.
„Wir brauchen einen nachhaltigen, klimafreundlichen Neustart der Wirtschaft, um die aktuelle Krise zu bewältigen“, so sagt es Bundesumweltministerin Svenja Schulze (SPD). Von einem „doppelten Booster“ spricht die Denkfabrik Agora Energiewende. „Alles, was wir jetzt investieren, wirkt ja Jahre oder Jahrzehnte“, erklärte Direktor Patrick Graichen diese Woche. „Das sind Zeiträume, in denen wir schon längst in Richtung Klimaneutralität weit fortgeschritten sein müssen, oder vielleicht schon da sind.“ Dieses Ziel sei beschlossen. Das geplante Konjunkturprogramm sei eine „einmalige Chance“ für die Zukunft. „Es kann aber auch der Jahrhundertfehler sein. (dpa/ja)