Pfaffenhofen. Das Auto kann durch den vorausfahrenden Lastwagen schauen, über die nächste Kuppe blicken und es weiß sogar, wenn ein anderes Fahrzeug zum Überholen ansetzen will. Auf der Autobahn 9 zwischen München und Nürnberg ist diese Zukunftsvision heute schon Wirklichkeit - bei einem Pilotprojekt, das Bundesverkehrsminister Alexander Dobrindt (CSU) am Montag zusammen mit Forschern und Managern vorstellt.
Von einem „Sprung in das digitale Echtzeitalter”, der Unfälle und Staus vermeiden helfe, spricht Dobrindt. Wie das funktioniert, zeigen die Experten bei Fahrten auf der Autobahn zwischen Pfaffenhofen und dem Dreieck Holledau in Oberbayern.
Ein Auto steckt zwischen zwei Lastwagen und will auf die Überholspur wechseln. Der Fahrer will den Blinker links setzen, da erscheint auf einem Display sofort die Warnung: „Spur halten!” Der Grund: Auf der Überholspur nähert sich rasch ein anderes, im Spiegel noch gar nicht sichtbares Auto. Und im überholenden Fahrzeug erscheint im selben Augenblick die Warnung: „Abbremsen!” Erst danach entdeckt der Fahrer das Auto zwischen den beiden Lastwagen.
Daten per Mobilfunkmast
Das kann kein Sensor und keine Kamera leisten: Die Autos stehen über Mobilfunk in Verbindung, erklärt Professor Rudi Knorr vom Fraunhofer-Institut ESK. Ob sie blinken, die Spur wechseln oder bremsen - in zehn Millisekunden werden die Daten an einen Computer im nächsten Mobilfunkmast gesendet, dort mit den Daten der anderen Autos in der Umgebung abgeglichen, und wenn es brenzlig wird, werden die Fahrer der betroffenen Fahrzeuge noch im selben Augenblick gewarnt.
Ein anderes Beispiel: Hinter ein Kuppe bremsen Fahrzeuge wegen eines Staus ab. Die Fahrer der einige hundert Meter entfernt nachfolgenden Autos können die Bremslichter noch nicht sehen - aber auf den Displays erscheint bereits die Warnung. „Der Blindflug des Autos wird auf knapp einen Meter verkürzt”, sagt Knorr begeistert. Auch in den USA und Asien tüftelten Forscher an solchen Projekten. „Aber zehn Millisekunden, so kurze Reaktionszeiten hat noch keiner auf die Straße gebracht.”
Und was ist, wenn ein schlechter Autofahrer zu dicht auffährt und ständig zwischen Gas- und Bremspedal wechselt? Dann werden die Fahrer der nachfolgenden Autos nicht mit unnötigen oder sogar gefährlichen Warnungen zugemüllt: „Die gesammelten Daten werden bewertet, nur wichtige Daten werden an andere Autos weitergegeben”, erklärt Knorr.
Vier Testfahrzeuge im Einsatz
Bislang sind vier Testfahrzeuge auf der entsprechend ausgerüsteten Teststrecke so vernetzt unterwegs. Die Deutsche Telekom stellt hier schnellen LTE-Mobilfunk zur Verfügung, Nokia hat die Funkmasten zu zentralen Datenstationen für die gerade vorbeifahrenden Autos aufgerüstet. „Die Herausforderung ist, künftig Hunderte Autos so zu vernetzen, alle Daten richtig zu bewerten und auch ohne Unterbrechung von einer Funkzelle zur nächsten zu wechseln”, sagt Knorr. In zehn Jahren etwa, schätzt der Professor, könnte das Ganze serienreif sein.
Der Autozulieferer Continental kalkuliert, dass die erforderliche Technik in den Autos nur wenige hundert Euro kostet. Der Aufbau des noch schnelleren, für das automatisierte Fahren nötigen LTE-Mobilfunknachfolgers 5G werde „teuer”, sagt Telekom-Chef Timotheus Höttges. Aber das müsse nicht der Steuerzahler bezahlen: „Ich bin sicher, dass die Privatwirtschaft diese Netze baut.” Vernetztes und später autonomes Fahren werde auf jeden Fall kommen und die Mobilität völlig verändern. „Wir sind froh, dass wir in Deutschland ein solches Projekt ausprobieren können.”
Auch Dobrindt sieht die digitale Zukunft rundum positiv. Statt die Technik aus dem Ausland zu kaufen, könne die deutsche Industrie selbst daran verdienen. Und der Minister spart viel Geld, denn bald können fast doppelt so viele Autos unterwegs sein, ohne dass er neue Autobahnen bauen muss: „Wir können so 80 Prozent mehr Kapazität auf die Autobahn bringen. Und ein paar Kilometer Autobahn kosten Milliarden.” Für nicht vernetzte Autos hat sich der Minister auch schon ein neues Sonderkennzeichen überlegt: „Die werden ein H-Kennzeichen haben. H für historisch.” (dpa)
Ein Hanseat