Ab 2020: Hände weg vom Steuer!

Wer im September auf der A 8 zwischen der Raststätte Denkendorf und Flughafen (und vielleicht weiter bis Wörth) fuhr, könnte durchaus schon einem teilautonom fahrenden Daimler-Zug begegnet sein. Bis zur Premiere am 2. Oktober 2015 spulte das Vorversuchsteam um Entwickler Enrico Wohlfarth dort bereits um die 1000 Kilometer (teil-)autonom ab und optimierte die Algorhytmen, damit Lkw-Chef Wolfgang Bernhard und der Baden-Württembergische Ministerpräsident Winfried Kretschmann (Grüne) gefahrlos eine erste teilautonome "Kaffeefahrt" zwischen Denkendorf und dem Flughafen Stuttgart unternehmen konnten. Dazu holten sich die Daimler-Entwickler die Daten und Erfahrungen, die die US-Kollegen seit Mai sammelten und adaptierten sie auf die A 8. Die größten Unterschiede laut Wohlfarth: Dichterer Verkehr, geringere Geschwindigkeiten und eine Cab-Over-Kabine statt einer Haube. Sein Fazit: Die Adaption bescherte dem Kernteam seit Mai volle Arbeitstage, war aber durchaus lösbar. Für die Kamera- und Radarsysteme ist der Wegfall der Haube eher positiv. Dafür sorgen beim Actros der kürzere Radstand und die stärkeren Nick- und Schwingfrequenzen der Kabine für mehr Aufwand als beim Freightliner Cascadia Innovation Truck. Die vergleichsweise komplexen Verkehrsströme und engeren Straßen in Europa bedeuten ebenso Extra-Aufwand, dafür fällt das Geschwindigkeitsprofil einfacher aus: Bei 80 km/h ist Schluss und gefahren wird in der Regel immer rechts, wenngleich der Actros theoretisch alle Spuren nutzen dürfte. Durch die Blume bestätigt Wohlfarth, was sein Chef Bernhard verkündet: dass man erstaunlich schnelle Fortschritte mache und das System in drei bis vier Jahren, spätestens 2020, als Option serienreif sei. So sorgen mittlerweile knapp vor dem Lkw einscherende Autos nicht mehr für Notbremsungen. Wenn ihm die zu verarbeitenden Daten zu viel werden (Beispiel mehrere Linien und Begrenzungen an einer Autobahnbaustelle), tut er das sofort akustisch kund und übergibt an den Fahrer aus Fleisch und Blut, was Bernhard live an einer Autobahnbaustelle demonstrierte. Ebenso manuell musste Bernhard am Stuttgarter Flughafen die A 8 verlassen, um anschließend wieder gen Denkendorf zu fahren. Beweise per Gehirnstrommessung In Sachen Autonomie rudert Daimler zurück: Aktuell gehe es vor allem darum, dem Fahrer lange monotone Strecken abzunehmen, daran kann man sich laut Bernhard schnell gewöhnen. Auch hier pflichtet ihm Wohlfarth bei. Eine Gehirnstrommessung, die Daimler hier natürlich auch schon vornahm, soll ergeben haben, dass der Fahrer in solchen Situationen bis zu 25 Prozent entspannter fahren (lassen) kann. Weniger groß seien die Einsparungen beim Dieselverbrauch: Die beziffert Chefentwickler Sven Ennerst mit rund fünf Prozent gegenüber der aktuellen Reihe. Das ist eher wenig im Vergleich zu den weit über zehn Prozent, die der Actros seit seiner Vorstellung 2011 schon sparsamer geworden sein soll. Zurückhaltend äußert sich Ennerst auch zum Platooning und dem Projekt Sartre (Safe Road Trains for the Environment), das vor allem Volvo Trucks verfolgt. Auf kurze Abstände ist der Actros nicht ausgelegt: Da entwickeln die Schwaben sich autonom weiter. Dass den ersten PR-wirksamen Fahrten weitere folgen werden, bekräftigte Wohlfarth bereits vorab: "Dieser Zug bleibt nicht allein". Denn Daimler hat die Genehmigung zum teilautonomen Fahren nicht nur für Baden-Württemberg, sondern für ganz Deutschland. Zur IAA 2016 dürfte man schon wieder einen teilautonomen Schritt weiter sein und spätestens 2020 erwarten wir dann unter den Actros-Sonderausstattungen den Posten ADA - den "autonomous driving assistant" - mit Betonung auf "Assistant". Denn bis zur echten Autonomie ist es noch ein weiter Weg! Was andere Hersteller zum Autonomen Fahren sagen www.verkehrsrundschau.de/dokumente