Jobs für Flüchtlinge

Menschen aus anderen Ländern aufzunehmen hat bei C. E. Noerpel Tradition: Schon zu Zeiten des Balkankriegs hat sich der Speditions- und Logistikdienstleister aus Ulm für Flüchtlinge engagiert, und auch in der aktuellen Zuwanderungswelle hält die Firma ihre Türen offen. Menschen aus den Ländern Syrien, Afghanistan oder Eritrea haben die Mannschaft verstärkt. Sie fahren Gabelstapler, arbeiten im Lager oder lassen sich zur Fachkraft ausbilden. "Das ist die beste Integration", findet Elke Renz, Personalleiterin bei dem Dienstleister Noerpel. Das neueste Projekt des Ulmer Unternehmens: Ein halbes Dutzend Flüchtlinge, die in ihrer Heimat bereits in der Logistik tätig waren oder Lkw gefahren sind, werden über eine sogenannte Teilqualifizierung fit für den Job gemacht. Sie dauert nur wenige Wochen und verschafft dem Unternehmen die dringend benötigten Mitarbeiter. "Es gibt also viele neue Möglichkeiten", freut sich Renz. Arbeitskräftepotenzial gezielt nutzen Flüchtlinge in die Belegschaft aufnehmen - das ist bei vielen Logistikern mittlerweile längst Alltag. Allein seit Frühjahr 2016 haben 30.000 Flüchtlinge einen Job gefunden, meldet die Bundesagentur für Arbeit (BA). Dem stehen allerdings immer noch 300.000 Geflüchtete gegenüber, die auf Jobsuche sind. Wie können Spediteure dieses Arbeitskräftepotenzial erschließen? Und wie läuft die Anstellung von Flüchtlingen in der Praxis ab? "Zunächst müssen Sie publik machen, dass Sie Bedarf haben", sagt Konstantin Schüßler, Geschäftsführer der Wilhelm Schüssler Spedition, Heppenheim. Er rät Personalverantwortlichen, frühzeitig Kontakt zur Arbeitsagentur, zum örtlichen Ausländerbeauftragten und zu ehrenamtlichen Helfern aufzunehmen, um sie auf offene Stellen hinzuweisen. Während der ersten Flüchtlingswelle vor zwei Jahren hatte Schüssler zudem einen Tag der offenen Tür veranstaltet, bei dem sich Interessenten aus erster Hand über die Arbeit in der Logistik informieren konnten. Sie konnten eine Ameise ausprobieren und testen, was es bedeutet, im Tiefkühllager zu kommissionieren. Ein gutes Dutzend Interessenten kam, ein Afghane und ein Mann aus Äquatorialguinea wurden später als Vollzeitkräfte eingestellt. Erhöhter bürokratischer Aufwand Grundsätzlich können fast alle Flüchtlinge nach einer dreimonatigen Warteperiode eingestellt werden (siehe Kasten Seite 37), doch viele Arbeitgeber bevorzugen Personen, die mindestens 15 Monate im Land sind. Denn in diesem Fall muss die örtliche Arbeitsagentur nicht mehr prüfen, ob es Bewerber aus der EU gibt, die ebenfalls für die Stelle infrage kämen; diese sogenannte Vorrangprüfung kann mehrere Wochen dauern. "Uns war zudem wichtig, dass das Asylverfahren der Person abgeschlossen ist und zumindest eine temporäre Duldung besteht", erklärt Schüßler. Es lohne sich nur, Personen einzustellen, die eine "realistische Bleibeperspektive" hätten. Sogenannte Geduldete sind Personen, deren Asylantrag abgelehnt wurde, die jedoch aus rechtlichen oder technischen Gründen nicht abgeschoben werden können und im Land offiziell "geduldet" sind. Die Einstellung eines Flüchtlings ist in jedem Fall mit erhöhtem bürokratischem Aufwand verbunden. Unter Umständen müssen sowohl die Ausländerbehörde als auch die Bundesagentur für Arbeit der Anstellung zustimmen. Es empfiehlt sich also, frühzeitig Kontakt zu den Sachbearbeitern dort aufzunehmen. Bei der konkreten Ausgestaltung der Arbeitsverträge haben Unternehmen die gleichen Optionen wie bei einheimischen Kräften: Volloder Teilzeitstelle sind genauso möglich wie Mini-Job oder Zeitarbeit. Wobei für Letztere nur Personen infragekommen, bei denen keine Vorrangprüfung nötig ist. Problem: Bei akutem Personalmangel können Flüchtlinge meist nicht einspringen, weil die Verwaltungsprozesse zu lange dauern. "Bis Sie sicher sein können, dass die Anstellung klappt, vergehen mindestens sechs Wochen", warnt Noerpel-Personalerin Renz. Das sei deutlich zu lange, um bei einer Auftragsspitze schnell zusätzliche Lagerkräfte einstellen zu können. Erfolgsfaktor Sprachkenntnisse Wo knirscht es am häufigsten, wenn Flüchtlinge eingestellt werden sollen? Hier haben erfahrene Praktiker nur eine Antwort: bei der Sprache. "Die Menschen müssen in der Lage sein, sich mit ihren Kollegen auszutauschen - auf Deutsch", stellt Renz klar. Und bis das klappt, braucht es eine gewisse Zeit. Mindestens sechs Monate sollte der Flüchtling schon im Land sein, raten Praktiker. Außerdem müssen Arbeitgeber bereit sein, bei der Verständigung selbst aktiv zu werden, weil öffentliche Sprachkurse nicht immer ausreichend zur Verfügung stehen. Die Schüssler Spedition engagiert zum Beispiel fallweise eine eigene Sprachlehrerin, die Neuzugänge aus anderen Ländern arbeitsplatzbezogenschult. Und der Faktor Sprache ist wichtig. Wenn ein Flüchtling ein Praktikum im Betrieb absolviert, muss er - wie ein deutscher Bürger - zunächst eine Unterweisung bekommen. Dabei erfährt er, wie er sich im Lager zu verhalten hat, wie mit der EDV umzugehen ist und welche Verschwiegenheitsregeln einzuhalten sind. Per Unterschrift müssen alle Praktikanten versichern, dass sie die Unterweisung verstanden haben. Doch üblicherweise sind diese Dokumente in Amtsdeutsch verfasst - und selbst für Einheimische bisweilen schwer zu verstehen. Das Speditions- und Logistikunternehmen Hellmann (siehe Kasten Seite 35) geht deshalb dazu über, die entsprechenden Unterlagen in sogenannte leichte Sprache übersetzen zu lassen. Das ist eine vereinfachte Version von Deutsch, in der nur kurze Sätze verwendet werden dürfen und Fremdwörter tabu sind. Restrisiko Abschiebung Der zweite Erfolgsfaktor bei der Beschäftigung von Flüchtlingen ist die persönliche Betreuung. Ganz gleich, ob es sich um einen Lagerhelfer oder Auszubildenden handelt: Der Zuwanderer braucht einen Ansprechpartner, der ihn bei kleinen und großen Problemen unterstützt. Das kann ein Kollege sein oder ein Profi bei der örtlichen Flüchtlingshilfe. "Bei uns hat sich ein erfahrener Kollege als Mentor gefunden", erzählt Spediteur Schüßler. Er hilft nicht nur bei Sprachproblemen weiter, sondern zeigt den Neuen auch die Kniffe des Alltags. "Zum Beispiel, dass sie sich Aufträge mit vielen Pick-Positionen suchen sollen", schmunzelt Schüßler. Ein Risiko bleibt: Geduldete Personen können jederzeit abgeschoben werden, selbst wenn sie fest angestellt sind oder sich in der Ausbildung befinden. Diese Erfahrung musste Noerpel schon mehrmals machen: Ein Flüchtling etwa, der seine Ausbildung im Unternehmen schon fast beendet hatte, bekam zwei Wochen vor seiner mündlichen Prüfung Besuch von der Polizei. Er sollte abgeschoben werden. Noerpel wandte sich an den Flüchtlingsrat Ulm, der wiederum einen Rechtsanwalt einschaltete. So konnte die Abschiebung des jungen Mannes, der sechs Jahre zuvor als Vollwaise nach Deutschland gekommen war, in letzter Sekunde verhindert werden. So gut gehen solche Fälle nicht immer aus. "Es kann sein, dass ein Mensch einfach morgens nicht mehr kommt. Mit diesem Risiko muss man leben", sagt Personalleiterin Renz. Insgesamt machen Transport- und Speditionsbetriebe, die Flüchtlinge beschäftigen, gute Erfahrungen. Wie unter deutschen Mitarbeitern gibt es auch hier gute und weniger gute Kräfte. "Ein Mitarbeiter hatte zwar die Ausbildung nach dem dritten Anlauf bestanden, konnte sich aber nie richtig einfinden", erzählt Renz. "Vielleicht war er zu traumatisiert." Und natürlich ist die Einarbeitung von Flüchtlingen aufwendiger als bei deutschen Kollegen "Einer unserer Mitarbeiter hat ein ganzes Jahr gebraucht, um Fuß zu fassen - dafür ist er heute unser bester Kommissionierer", sagt Spediteur Schüßler. Hinzu kommt, dass die Zuwanderer sicher nicht jede Lücke auf dem Arbeitsmarkt füllen können. Auf dem Höhepunkt der Flüchtlingswelle hatte ein deutscher Logistikkonzern versucht, einige der Neuankömmlinge als Fahrer zu rekrutieren. "Viele der jungen Leute gaben an, schon Lkw gefahren zu sein. Aber dann zeigte sich, dass viele weder lesen noch schreiben konnten. Sie hätten die deutschen Prüfungen niemals geschafft", berichtet der Personalleiter des Unternehmens, das nicht namentlich genannt werden will. Letztendlich wurde der Vorstoß, Flüchtlinge als Fahrer zu rekrutieren, auf Eis gelegt. Was raten Betriebe, die Flüchtlinge beschäftigen? "Keine Angst vor der Sprachthematik", rät Renz, "und holen Sie frühzeitig Infos zu Unterstützungs- und Hilfsangeboten ein". Schüßler betont, dass im Unternehmen "eine gewisse Offenheit" herrschen müsse. Das dürfte in der Logistik, in der traditionell viele Nationen arbeiten, kein Problem sein. Ansonsten raten alle Profis: Ausprobieren! "Ob die Menschen zu uns kommen oder wir sie im Ausland rekrutieren, macht keinen Unterschied", meint Personalerin Renz. "Das wird der Arbeitsmarkt der Zukunft." Mehr im Dossier Arbeitsrecht & Personalwesen www.verkehrsrundschau.de/dossiers Praxislösung Hellmann Worldwide Logistics "Wir stellen jedem Flüchtling einen Betreuer zur Seite" Am 1. August starteten vier Flüchtlinge bei Hellmann Worldwide Logistics in Osnabrück ihre Ausbildung. Sie hatten dort zuvor ein Praktikum absolviert. Parallel dazu bietet das Logistikunternehmen Zuwanderern eine weitere neue Einstiegsmöglichkeit: Gemeinsam mit anderen örtlichen Logistikern und der Dekra wird eine Qualifizierung angeboten, die auf dem Beruf des Lagerhelfers, Lagerspezialisten bis hin zum EU-Berufskraftfahrer aufbaut. "Wir haben festgestellt, dass viele Flüchtlinge zügig Geld verdienen wollen", erklärt Anja Staschinski, Personalreferentin bei Hellmann. Die Qualifizierung sei für jene Personen interessant, denen eine dreijährige Ausbildung zu langwierig oder schwierig ist. Alle Menschen, die Interesse mitbrächten, sich mit der Arbeit identifizierten und integrationsfreudig seien, hätten im Unternehmen eine Chance, so Staschinski.Ein zentraler Punkt bei der Integration aus der Sicht der Praktikerin: persönliche Unterstützung. Deshalb stellt Hellmann jedem Flüchtling einen Betreuer zur Seite. Er hilft dabei, sich in Unternehmen und Alltag zurechtzufinden, und erklärt, wie die deutsche Arbeitswelt funktioniert - bis hin zu Kleinigkeiten wie einer korrekten Krankmeldung. Einige Hellmann-Personaler haben sich außerdem zu sogenannten Sprachbegleitern ausbilden lassen, die erste Deutschkenntnisse vermitteln können.Eine große Herausforderung aus Sicht der Personalreferentin Staschinksi stellt nach wie vor die Verwaltung dar. Je nachdem, an welche Behörde oder welchen Bearbeiter man sich wende, falle die Unterstützung anders aus."Jeder Fall ist ein Einzelfall", sagt sie. Insgesamt sei es natürlich einfacher, einen Menschen mit deutschem Pass einzustellen, dennoch rät Staschinksi allen Unternehmen, den Zuwanderern eine Chance zu geben. "Auch wir können viel lernen." cg Praxislösung: BTG Internationale Spedition "Meine Angst vor der Bürokratie war völlig unbegründet" "Wir hatten enorme Probleme, Mitarbeiter zu finden - und 500 Meter neben unserem Betrieb liegt ein Flüchtlingsheim, sagt Cornelia Hengeler. Sie leitet die Niederlassung der BTG Internationale Spedition in Kempten und sucht immer händeringend Kräfte, die zum Beispiel bei der Be- und Entladung von Lkw anpacken.Schon Mitte 2015 wagte sie einen Versuch und beantragte beim Landratsamt, zwei Flüchtlinge auf 450-Euro-Basis (Mini-Job) beschäftigen zu dürfen. Hengeler musste nur einen sehr moderaten Fragebogen ausfüllen - ein zusätzlicher Gang zur Arbeitsagentur war nicht nötig."Meine Angst vor der Bürokratie war völlig unbegründet", resümiert sie. Probleme, zum Beispiel mit einer zeitraubenden Vorrangprüfung, hatte sie nicht. Schon zwei Wochen später kam das Okay vom Amt. Seitdem verstärken zwei Männer aus dem afrikanischen Uganda die Mannschaft von BTG. Eine Vollzeitstelle kann Hengeler den Neuen nicht anbieten, weil das anfallende Arbeitspensum dafür noch nicht ausreicht. Die Flüchtlinge werden vor allem zu Stoßzeiten eingesetzt. Obwohl zunächst nur einer der Männer ein wenig Deutsch sprach, lief die Einarbeitung problemlos."Am Anfang muss man diesen Mitarbeitern ein bisschen mehr Zeit geben. Die Benutzung einer Elektro-Ameise kannten die zwei neuen Kollegen aus Uganda zum Beispiel nicht. Da musste dann zunächst einfach mit leeren Gitterboxen geübt werden", berichtet Hengeler. Sie ist mit den neuen Kräften äußerst zufrieden, beschreibt sie als fleißig und flexibel.Einer der Flüchtlinge hat am 1. August dieses Jahres sogar eine Ausbildung im Speditionsunternehmen begonnen. Zeitgleich allerdings wurde sein Asylantrag abgewiesen, wogegen er jetzt klagt."Mit dieser Perspektive muss man bedauerlicherweise leben", räumt Hengeler ein. Dennoch würde sie auch anderen Transport- und Logistikbetrieben raten, Flüchtlinge einzustellen."Suchen Sie frühzeitig den Kontakt zu den Behörden, stellen Sie Fragen, probieren Sie, haben Sie keine Berührungsängste." cg

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