Jetzt ist lernen angesagt

Nach der Mitfahrt im Freightliner "Inspiration Truck" stand jetzt der Actros mit "Highway Pilot" zur Live-Demonstration auf der Autobahn A 8 bereit. Seit der Premiere in Nevada hat das System wieder dazugelernt.Wobei Vorentwicklungschef Martin Zeilinger zugibt, dass die Strecke samt Baustelle vorprogrammiert ist und das Fahrzeug genau weiß, wann es selbst fahren kann und wann es die Kontrolle wieder an an Zeilinger zurückgeben muss.Den magischen blauen Knopf zum Aktivieren lässt Daimler allerdings "blaumachen": Stattdessen wurde die Aktivierung des Highway-Pilot auf die Lenkradtasten des Tempomaten gelegt, dem er funktional zugeordnet wird. Schon kurz nach der Autobahnauffahrt leuchtet das blaue Symbol im Display, Zeilinger kann den Knopf drücken und der Actros fährt allein.Spannend sind jetzt im Feierabendverkehr auf der A 8 vor allem gefährliche Situationen wie ein unsicher auf der Beschleunigungsspur fahrender Pkw oder knapp vor dem Zug einscherende Autos. Doch hier leistet der Abstandstempomat ganze Arbeit und sortiert die Situationen sauber auseinander: Einscherende und sich entfernende Autos erkennt er und hält die Geschwindigkeit respektive reduziert diese unmerklich, um den nötigen Sicherheitsabstand wieder herzustellen. Ein einscherender, aber nicht schneller werdender Pkw sorgt dagegen für eine kleine anpassende "Notbremsung". Das alles kann aber schon der aktuelle Actros mit Abstandstempomat und Notbremsassistent.Wo die Tücken der Praxis liegenSpannend ist das Lenken. Aber auch das klappt perfekt. Basis dafür ist das ebenfalls bereits erhältliche Spurhaltesystem Lane Keeping Assist. Der Actros hält sauber die Spur und korrigiert sanft und minimal. Einzige Ausnahme sind laut Zeilinger Spurrillen, die auf die Räder einwirken und ihrerseits Lenkbewegungen auslösen. Auf diese reagiert der Highway-Pilot mit Gegenlenken, was im ungünstigsten Fall zu einem leichten Schlingerkurs werden kann. Entsprechend haben die Entwickler für solche Fälle theoretisch eine Möglichkeit hinterlegt, leicht mittig versetzt, neben der Hauptspur des "Führungsschlauches" zu fahren, der in Baustellen und auf Landstraßen natürlich deutlich enger wird.Kurz vor der Ausfahrt provoziert Zeilinger zudem den Notmodus des Systems, indem er die Kontrolle nicht übernimmt: Aus dem orangen Warnsignal mit Piepen wird eine rote Anzeige mit Dauerwarnton, anschließend verzögert der Actros unter Setzen des Warnblinkers und würde bis zum Stillstand abbremsen. Doch ganz so weit lässt es Zeilinger nicht kommen und übernimmt das Steuer wieder.Kaum Synergien mit den Pkw-KollegenAußerdem ist es jederzeit möglich, den Roboter zu übersteuern: Sobald Zeilinger ins Lenkrad greift, Gas oder Bremse betätigt, ist er selbst wieder Herr des Geschehens. Auf langen monotonen Strecken hat es durchaus etwas Angenehmes, wenn man die Kontrolle per Knopfdruck abgeben kann - was auf gut ausgebauten Fernstraßen kein Problem darstellt.Technisch ist das Paket laut Zeilinger geschnürt: Es handelt sich im Prinzip um Daimlers komplette Unfallverhütungsarmada mit Abstandsregeltempomat, Spurhalte- und Notbremsassistent, erweitert um die elektronisch unterstützte Lenkung, die aktuell bei den Vierachsern die Lenkkräfte reduziert und präzisiert und für den Highway-Pilot jetzt eben elektronisch angesteuert wird. Während die elektronischen Lenkungen im Pkw mittlerweile gang und gäbe sind, stehen sie im Lkw erst am Anfang: "Die Komponenten sind im Prinzip alle vorhanden und in den Serienfahrzeugen verbaut", entzaubert Zeilinger den autonom fahrenden Actros.Und wie hoch sind die Synergieeffekte mit den Pkw-Kollegen? Geringer als man denkt, was laut Zeilinger an den unterschiedlichen Größen und Gewichten liegt: "Einem Pkw kann man künftig auch ein aktives Ausweichmanöver beibringen, während wir im Lkw immer bestrebt sind, im Ernstfall Geschwindigkeit herauszunehmen." Außerdem werden an die Kameraund Radarsysteme andere Anforderungen gestellt, da sich die Lkw-Kabine deutlich stärker bewegt als ein Pkw. Da der Fahrer hier immer überwachend tätig sein muss, erwartet Daimler für den Highway-Piloten auch keine rechtlichen oder versicherungstechnischen Probleme. Die kämen laut Zeilinger erst im nächsten Schritt, bei dem der Fahrer auch andere Tätigkeiten verrichten könnte. Wobei sich dann die Frage stellt, welche Tätigkeiten das sein könnten.Und wer dann im Falle eines Falles haftet und wie dann die Fahrzeit auf der Fahrerkarte verbucht wird. Hier gibt es noch viel Diskussionsbedarf. Außerdem müsse dafür die Infrastruktur massiv ausgebaut werden, wozu sich laut Zeilinger Mautbrücken, Ampeln oder Verkehrszeichen nutzen ließen. Auch Baustellen müssten dann künftig mit den Fahrzeugen kommunizieren. Jetzt geht es aber erst mal in die Serienentwicklung des Highway-Piloten. Basis für das Ganze ist eine sogenannte Micro-Autobox, auf deren Plattform alle Daten implementiert werden. Und dazu fahren die nach Paragraf 19.6 zugelassenen Erprobungszüge in ganz Deutschland. Dazu nutzt man auch Navidaten, womit wir bei dem nächsten Schritt sind: Vordringliches Ziel ist es laut Zeilinger jetzt, der Software möglichst viele Gefahrsituationen und Straßenverläufe beizubringen, um den Highway-Piloten dann "in drei bis vier Jahren zur Serienreife" zu bringen, wobei man hier mit der IAA 2018 nicht so falsch liegen dürfte. Das System ist also "eingeschult", ab jetzt ist "Lernen" angesagt.Mehr finden Sie im Dossier Autonomes Fahren www.verkehrsrundschau.de/dossiers