Immer weniger Kohle

Kohletransporte müssen regelmäßig durchgerechnet werden. Diese Erfahrung machte GDF Suez bei der Versorgung des Kraftwerks Farge südlich von Bremen. Seit 1998 ist dieser Standort mit Importkohle ab Nordenham über die Weser-Schifffahrt beliefert worden. 2013 wechselte GDF Suez zur Bahn. Weil das Unternehmen ein neues Kraftwerk in Wilhelmshaven eröffnete und Synergieeffekte mit dessen Versorgung ermittelte, wurde Kohle für Farge in diesem Nordseehafen entladen und mit Zügen von Heavy Haul Power International (HHPI) weitertransportiert. Anfang 2014 kehrte GDF Suez zur Binnenschifffahrt zurück. Die Versorgung über die Weser war unterm Strich doch kostengünstiger. Auch wenn die Schiene vorerst den Kürzeren zog: Das Beispiel zeigt, dass sie bei Kohletransporten einen Kostenvergleich mit der Binnenschifffahrt nicht scheuen muss. Und GDF Suez hält sich ein Hintertürchen offen. "Für 2015 ist die Option Schiene nicht vom Tisch", teilte Kraftwerkleiter Marco Meyer einer Lokalzeitung mit: Offenbar rechnet der Energieversorger mit einem ständigen Auf und Ab der Transportpreise und schließt nur noch Lieferverträge mit kurzen Laufzeiten ab. Das ist nicht erstaunlich. Vorbei sind die Zeiten, als ausschließlich DB Schenker Rail (DBSR) den Markt dominierte. Neben HHPI in Erfurt gibt es weitere Anbieter wie die Hafengemeinschaftsunternehmen Rheincargo in Köln und Neuss, die Rhenus-Beteiligung Niederrheinische Verkehrsbetriebe AG (NIAG) in Moers und der europäische Player TX Logistik in Bad Honnef. Auch ausländische Wettbewerber wie die polnische PKP Cargo sondieren den Markt. Allerdings konzentrieren sich viele DBSR-Konkurrenten auf einzelne Regionen und Destinationen. So versorgt TX Logistik fast ausschließlich das Kraftwerk Elverlingsen im Sauerland mit wöchentlich zwölf Rundläufen sowie den Zechenstandort Bottrop. Dagegen verkehren DBSR-Züge flächendeckend in Deutschland mit hiesiger und Importkohle. So werden über das eigene Hub Oberhausen-West Kraft- und Stahlwerke in West- und Süddeutschland mit Steinkohle aus den Häfen Amsterdam, Rotterdam und Antwerpen versorgt. Die übrigen Marktteilnehmer konzentrieren sich auf Importe. Dem Statistischen Bundesamt zufolge sind 2013 die Einfuhren um 15,2 Prozent auf 50,6 Millionen Tonnen gestiegen und machen mittlerweile fast 80 Prozent des deutschen Verbrauchs aus. Bei Braunkohle dominieren hingegen Transporte aus deutschen Abbauregionen. 2013 wurden 55,5 Millionen Tonnen (minus 0,6 Prozent) vorwiegend mit DBSR-Zügen umgeschlagen. Wichtige Rolle der Bahnen im Hinterland 2014 werden allerdings auch die Steinkohle-Importe kaum wachsen. Als Folge des milden Winters sind im ersten Halbjahr lediglich 22,1 Millionen Tonnen Kohle (1. Halbjahr 2013: 22,8 Millionen Tonnen) eingeführt worden. Der Löwenanteil kommt via Rotterdam. Für 2013 meldet dieser Hafen 25,3 Millionen Tonnen Importkohle für Deutschland. 26,5 Prozent sind per Eisenbahn ausgeführt worden. Auch in fast allen anderen Nordseehäfen macht der Anteil der Schiene am Modal Split wenigstens ein Viertel aus. Im Rhenus-Hafen Nordenham wird ein Drittel der Kohleimporte auf die Schiene verladen, im Hamburger Terminal Hansaport, das täglich bis zu zehn Ganzzüge belädt, dürfte der Bahn-Anteil sogar bei knapp 50 Prozent liegen. Die hohen Importvolumina 2013 haben manchem Bahnunternehmen kräftige Zuwächse beschert. Das größte Plus meldet Rheincargo: 5,7 Millionen Tonnen Kohle hat die Tochter der Hafen- und Güterverkehr Köln (HGK) und Neuss Düsseldorfer Häfen (NDH) transportiert. 2012 waren es mit zwei Millionen Tonnen nicht mal halb so viel. Vor allem Großaufträge der Energiekonzerne RWE und Steag sorgten für dieses Wachstum. Trotz der derzeit glänzenden Geschäfte sieht das Unternehmen die Zukunft seiner Kohletransporte nüchtern. "Als Folge der Energiewende wird dieser Geschäftszweig insgesamt zurückgehen", sagt Rheincargo-Sprecher Michael Fuchs. So mancher Marktteilnehmer spürt bereits jetzt die Auswirkungen des Erneuerbare-Energie-Gesetzes (EEG). Weil die Versorger regenerative Energien bevorzugt ins Stromnetz einspeisen müssen, hat der Energieträger Kohle immer häufiger das Nachsehen. Infolgedessen berichtet DBSR von einer wachsenden Zahl kurzfristiger Transportstornierungen. Zudem bereitet den Logistikdienstleistern die geplante Stilllegung unrentabler Kraftwerke Sorgen. "Die Transporte werden in den nächsten Jahren schwerer planbar", sagt Jörg Hilker, Leiter Industry Sector Metals & Coal bei DBSR. "Außerdem drohen Überkapazitäten bei den Umschlagsanlagen." Als erste Konsequenz hat sich das DBSR-Schwesterunternehmen RBH Logistics von den Umschlagsanlagen auf der Duisburger Kohleninsel zurückgezogen. Weitere Standortschließungen könnten bald folgen. Importkohle aus Russland, USA und Kolumbien Häfen rüsten sich für mehr Kohlemengen aus dem Ausland 2018 wird Deutschland vollständig aus der Steinkohleförderung aussteigen und letzte Zechen wie Bottrop schließen. Heimische Kraft- und Stahlwerke können dann nur noch mit Importkohle versorgt werden.Aber schon heute dominieren Lieferanten aus Übersee. 2013 führte Deutschland vor allem aus Russland, USA und Kolumbien Steinkohle ein. 2014 kommen größere Volumina aus Südafrika, das zum drittgrößten Importeur aufsteigt. Dagegen spielt Importkohle aus den EU-Ländern nur eine untergeordnete Rolle. Die größten Volumina kommen aus Polen (2013: 3,4 Millionen Tonnen).Als Konsequenz baut mancher Hafen seine Infrastruktur für Kohleimporte weiter aus. Den Anfang machte Rotterdam mit einem 35 Hektar großen Areal südlich der Maasebene, das 2012 eröffnet wurde. Die deutschen Häfen legen nach. Hansaport in Hamburg investierte in automatische Zugbeladestationen und fahrerlose Güterloks, Wilhelmshaven modernisierte sein Bulk Terminal mit neuen Schiffsentladern und Förderanlagen. 2013 wurden hier erstmals über drei Millionen Tonnen Kohle umgeschlagen. Von einem "vollen Erfolg" schwärmt Andreas Schmidt, Geschäftsführer des Terminal-Betreibers Rhenus Midgard. "Wir können Waggons bis zu 50 Kilogramm genau beladen, was europäischer Rekord ist." Auch der Binnenhafen Duisburg baut seine Infrastruktur aus und übernimmt die Umschlagsanlagen von RBH Logistics. "In einem Hinterlandhafen sind Lagerkosten und logistische Zusatzdienstleistungen wie Mischen und Sieben günstiger als in Seehäfen", begründet Hafen-Sprecher Julian Böcker diese Maßnahme. bot