Huthi-Rebellen im Roten Meer: Folgen für die Lebensmittel-Branche

Tiefkühlware und Fruchtkonserven aus China und Vietnam könnten in deutschen Supermärkten bald knapp werden. Die Ware kommt bis zu 20 Tage später an - oder zum Teil gar nicht, weil Containerkapazitäten fehlen, klagt ein Importeur im "Handelsblatt". Die Folgen zeigen sich bereits jetzt: Discounter Aldi hat mittlerweile die Werbung für Aktionsware gestoppt, weil ihr Eintreffen in Deutschland unsicher ist. Kunden ziehen Aufträge zurück Die Krise im Roten Meer zieht immer weitere Kreise - auch in der Lebensmittel-Branche. Seit die jemenitischen Huthi-Rebellen im Oktober 2023 begonnen haben, Frachtschiffe zu beschießen, rutscht die Logistik stückweise in die Krise. Rund jedes dritte Frachtschiff meidet schon den Suezkanal und fährt nun über das Kap der Guten Hoffnung nach Europa. Die Folgen: Waren aus Asien kommen zwei Wochen später an, Containerpreise steigen, Liefertermine werden verpasst. Droht jetzt ein neuer Logistik-Gau? "Einige Kunden ziehen schon ihre Aufträge zurück und warten ab, bis die Preise wieder runtergehen", berichtet die Geschäftsführerin einer Hamburger Seefracht-Spedition, die namentlich nicht genannt werden will. So manchen ihrer Kunden treffe die Krise hart. Ein Importeur etwa hatte Gartenprodukte in China für deutsche Baumärkte bestellt. Da das Containerschiff sicherheitshalber den Umweg über Südafrika nahm, wird die Ware nicht rechtzeitig zum Start in die Gartensaison beim Kunden eintreffen. "Dieser Unternehmer bleibt auf seinen Kosten sitzen", sagt die Spediteurin. Rund 40 Prozent aller zwischen Europa und Asien gehandelten Waren fahren an der Küste des Jemen vorbei. Doch die Angriffe dort strahlen längst global aus. "Die Auswirkungen sind auch im Transpazifik-Raum zu spüren und zum Beispiel bei Transporten von Asien nach Afrika - kein einziges Schiff fährt derzeit nach Fahrplan", berichtet Helge Neumann-Lezius, bei Hellmann Worldwide Logistics für das weltweite VollcontainerGeschäft (FCL) verantwortlich. Die Speditionen reagieren darauf, indem sie zusätzliche Schiffe einsetzen oder andere Verkehrsträger nutzen. Die Reederei Hapag-Lloyd bietet seit Ende Januar eine neue Notfalllösung an: Containerschiffe können ihre Ladung an drei Häfen im Persischen Golf löschen, von wo aus sie auf dem Landweg nach Dschiddah am Roten Meer transportiert wird; so umgeht man die Meerenge an der jemenitischen Küste, wo die Angriffe stattfinden. Hellmann transportiert Fracht auf dem Seeweg nach Dubai, wo sie konsolidiert und per Luftfracht weiterbefördert wird. Daneben nutzt man verstärkt die Bahnverbindung von China nach Europa. "Im Moment kann die Logistikbranche die Kosten an die Kunden weiterleiten", so Neumann-Lezius. Das Problem der Nichtplanbarkeit Viele erinnert die aktuelle Lage an die Havarie des Schiffes "Ever Given" im Jahr 2021, als der Suezkanal wochenlang blockiert war. "Anders als bei der ,Ever Given' wissen wir aber nicht, wie lange die Störung andauert. Die Nichtplanbarkeit ist schlimmer als die Zusatzkosten", sagt Hartmut Reinhard, Logistik-Professor an der Technischen Hochschule Köln. Er überschlägt, was eine andauernde Krise kostet: Die Charter eines großen Containerschiffs liegt bei rund 100.000 Euro pro Tag. Macht bei zehn Tagen extra für den Umweg über Südafrika eine Million Euro. Die gleiche Summe kommt für die längere Containermiete hinzu. Der zusätzliche Kraftstoff schlägt mit rund 600.000 Euro zu Buche, dafür fällt die Gebühr für die Fahrt durch den Suezkanal weg, rund 700.000 Euro. "In der Summe kostet der Umweg pro Schiff also rund 1,9 Millionen Euro", so Reinhard. Hinzu kommt der sogenannte Kapazitätseffekt: Braucht jedes Schiff von Asien nach Europa 25 Prozent länger, werden 25 Prozent mehr Schiffe gebraucht, um die gleiche Ladung im gleichen Zeitraum zu befördern. Das ist allerdings ein theoretischer Wert, tatsächlich dürfte die Zusatznachfrage geringer ausfallen. Ist der Suezkanal dauerhaft blockiert, würden weltweit elf Prozent mehr Containerschiffe und fünf Prozent mehr Massengut-Frachter gebraucht, berichtet die "Welt" mit Verweis auf die Schifffahrts-Organisation Bimco, Kopenhagen. Wer die Mehrkosten trägt Der Kapazitätseffekt könnte die Logistiker härter treffen als die Zusatzkosten, warnt Reinhard, "da bei einer Nachfrageerhöhung ohne entsprechendes Angebot die Preise oft unverhältnismäßig steigen". Außer bei bestehenden Überkapazitäten. Daneben drohen weitere Nebenwirkungen: Durch den verstärkten Schiffsverkehr könnten Leercontainer knapp werden, wegen fehlender Planbarkeit sind Engpässe an den Terminals möglich - und der lange Südafrika-Umweg dürfte den CO2-Ausstoß erhöhen. Speditionen, die einen Seetransport gebucht haben, und plötzlich mit den Zuschlägen der Reeder konfrontiert sind, müssen diese meist schlucken. "In den Konnossementen stehen in der Regel Klauseln zur Weitergabe von Zusatzkosten", sagt Transportrechts-Experte und Rechtsanwalt Tristan Wegner. Zudem gilt für Verträge mit Reedereien oft ausländisches Recht, etwa britisches oder US-amerikanisches, was die Anfechtung erschwert. Hat der Spediteur seinem Kunden einen festen Liefertermin zugesichert und kann ihn wegen der Krise nicht einhalten, kann er den Reeder dafür nicht haftbar machen, da Schiffseigner grundsätzlich keine festen Ankunftszeiten zusichern, sondern nur einen Schätzwert (Estimated Time of Arrival). Verpasst der Spediteur im Nachlauf etwa ein gebuchtes Rampen-Zeitfenster, ist das - finanziell gesehen - sein Problem. "15 bis 20 Tage längere Transit-Zeiten" Sie sind Geschäftsführerin des mittelständischen Unternehmens Contibridge Schifffahrt und Spedition in Hamburg. Was ist derzeit durch die Krise im Roten Meer die größte Herausforderung in ihrem Tagesgeschäft? Es ist schwierig, zum Routing der Schiffe genaue Informationen zu bekommen. Einige fahren noch durch den Suezkanal, andere nicht. Aktuell gehen wir davon aus, dass alle Schiffe den Umweg über Afrika nehmen. Dadurch verlängern sich die Transitzeiten im Export nach Asien um 15 bis 20 Tage. Wie verändern sich dadurch die Kosten? Die Reedereien erheben einen Notfall-Zuschlag, die Emergency Contigency Surcharge. Sie liegt aktuell bei rund 400 US-Dollar für einen 20-Fuß-Container bis zu 1000 US-Dollar für einen 40-Fuß-Container, wobei manche Reedereien bis zu 1500 US-Dollar verlangen. Können Sie diese Zusatzkosten an die Kunden durchreichen? Ja, wir haben unsere Angebote entsprechend gestaltet. Das gilt auch für Zusatzkosten, die im Nachlauf entstehen, etwa bei der Verschiebung von Bahn- oder Lkw-Transporten. Den Mehraufwand, der durch die Anpassung der Transporte und die Kommunikation mit Kunden und Reedern entsteht, müssen wir allerdings selbst tragen. Wie reagieren die Kunden auf die gestiegenen Kosten? Es gibt immer Diskussionen, da Mehrkosten nicht in der Preiskalkulation berücksichtigt werden konnten - vor allem bei den Importen. Wäre es möglich, vom Schiff auf die Bahn auszuweichen? Für uns nicht. China Rail ist keine Alternative, dafür sind die Kosten zu hoch. Ist die Situation mit Corona vergleichbar? Grundsätzlich schon. Auch jetzt sind wieder Leercontainer und Schiffsraum knapp. Aber was den Umfang der Krise angeht, sind wir vom Corona-Niveau noch weit entfernt. Der Extremfall Der absolute Gau für Spediteure ist der Abbruch des Seetransports: Da eine Fahrt durch das Rote Meer zu riskant ist, könnte die Reederei die Ladung vor Ort löschen lassen. In Schiffsfracht-Briefen steht eine Klausel, die jedem Kapitän das Recht dazu gibt. Dann müsste der Spediteur den Weitertransport organisieren, was teuer werden kann. In diesem Extremfall ist es theoretisch möglich, den Kunden an den Zusatzkosten zu beteiligen, selbst ohne entsprechende Klausel im Vertrag. "Dann kann der Spediteur einen Ausgleichsanspruch geltend machen, sollte vorher aber Weisungen eingeholt haben", so Wegner. Dass ein Kunde seinen Spediteur wegen einer krisenbedingten Verspätung verklagt, kommt selten vor. Um aber auf der sicheren Seite zu sein, rät Anwalt Wegner allen Spediteuren dringend, ihre Verträge zu überprüfen und gegebenenfalls eine Klausel einzufügen, nach der Zusatzkosten, die auf dem Seeweg entstehen, an den Endkunden auch bei festen Raten weitergereicht werden. Trotz der Krise sind die meisten Spediteure noch gelassen - denn in der Seefracht gibt es reichlich Überkapazitäten. Experten sprechen von 25 Prozent. 2023 lief das Geschäft so schleppend, dass die Reedereien einige Schiffe auf Reede gelegt haben, um die Preise zu stützen. Nur eine Frage treibt alle derzeit um: Setzen die Huthi-Rebellen ihre Angriffe fort? Oder reichte die Intervention der Amerikaner und Briten aus, um sie auszuschalten? Doch selbst wenn die Attacken aufhören, wird die globale Container-Schifffahrt lange brauchen, um sich zu erholen. "Ich gehe davon aus, dass das gesamte erste Halbjahr unter dem Einfluss dieser Situation steht", schätzt Neumann-Lezius.

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