Henkel plant Transporte wieder selbst

Wer kennt Henkel oder zumindest seine Produkte nicht? Ein weltweit aktiver Konzern mit Marken wie Persil, Schwarzkopf, Pattex, aber auch Klebstoffen für Industrie und Handwerk (zum Beispiel Loctite). Über ein weltumspannendes Logistiknetzwerk mit mehreren hundert Werken und Lagern beliefert Henkel verschiedene Branchen: natürlich den Handel, aber auch die Automobilindustrie, Bauindustrie oder die Dienstleistungsbranche. Eine komplexe Logistik mit einem hohen Aufkommen verantworten die Logistikexperten bei Henkel, damit die Kunden der drei Geschäftsfelder Adhesive Technologies (Klebstoff-Technologien), Beauty Care (Kosmetik) und Laundry & Home Care (Wasch- und Reinigungsmittel) pünktlich ihre Produkte erhalten. Es handelt sich auch deshalb um eine sehr anspruchsvolle Logistik, weil sich die Strukturen bei den Warenempfängern stark unterscheiden: Neben den großen Zentrallagern werden durch eine ausgeklügelte Transportlogistik auch Baustellen beliefert. Aber auch der Friseursalon vor Ort erhält Haarpflegeprodukte direkt ohne Umwege von Henkel. Das stellt das Transportmanagement zur Erfüllung der Serviceanforderungen des Kunden zu optimalen Kosten vor große Herausforderungen. Um noch effizienter zu werden, wurden vor etwa fünf Jahren erste Überlegungen in Richtung eines Transportmanagementsystems (TMS) gestartet - mit dem Ergebnis, dass Henkel mittlerweile in Europa und einigen asiatischen Ländern seine Transporte selbst plant und steuert. Zu Beginn der Überlegungen stand die Analyse der Ist-Situation bei Henkel. Innerhalb des Unternehmens gab es unterschiedliche TMS-Systeme verschiedener Anbieter mit Verbindungen zu unterschiedlichen SAP-Plattformen. Ein Meilenstein der neu strukturierten Transportplanung von Henkel war daher die Einführung eines zentralen, globalen SAP-Systems für alle drei Geschäftsbereiche. "Vor Einführung des zentralen TMS haben wir im Grunde dem Spediteur die Sendung übergeben, der dann alles weitere geplant hat. Zum großen Teil haben wir erst wieder Informationen erhalten, wenn die Sendung beim Kunden angekommen war. Hilfreiche Details darüber, wie der Spediteur den Transport abgewickelt hat, oder ob es dabei Probleme gab, fehlten oft", schildert Robert Meckel, Henkel-Projektleiter TMS Business, die Lage vor 2014. Hinzu kam, dass die Transporte an den einzelnen Standorten organisiert wurden. Eine zentrale Planung fand nicht statt. Mobile Anwendung für den Lkw-Fahrer "Wir wollten mehr Transparenz und Kontrolle über unser Transportgeschäft erhalten, denn nur so können wir unseren Kunden einen noch besseren Service durch pro-aktive Information bieten", so Meckel. Die Prozesse sollten einfacher, standardisiert und weitgehend automatisiert ablaufen. Manuelle Eingriffe sollten auf nicht zu standardisierende Transportprozesse limitiert werden. Strategisch wichtig war dabei die Einführung einer mobilen Anwendung für den Lkw-Fahrer. Vorzüge also, die man mit der Digitalisierung verbindet. Henkel holte mit BearingPoint ein Beratungsunternehmen ins Haus, das diesen Prozess begleitete. BearingPoint erstellte Analysen zur Ist-Situation, begleitete die Phase, in der das einheitliche neue Prozessmodell ausgearbeitet wurde, und unterstützte die Ausschreibung sowie die Umsetzung für ein TMS. Die Wahl fiel auf ein TMS des Softwareanbieters Oracle. "Wir haben bei der Wahl die Henkel-Experten an den Logistikstandorten einbezogen", sagt Thomas Becker, bei BearingPoint federführend verantwortlich für die Einführung des TMS bei Henkel. Denn ein solches Projekt sei mit gravierenden Veränderungen verbunden. Entscheidend für das Projekt war auch die Unterstützung durch das Top-Management von Henkel. Die TMS-Initiative ist einer der strategischen Pfeiler des One-Global-Supply-Chain-Programms von Henkel - also die Einführung einer zentralen Supply Chain. "Alle Bereiche stehen voll hinter diesem ambitionierten Projekt und haben zu der erfolgreichen Umsetzung beigetragen" sagt Matthias Czaja, Corporate Senior Vice President Beauty Care und Sponsor des TMS-Projekts. Spanien und Portugal sowie Taiwan waren die ersten Länder, in denen das neue TMS im Jahr 2015 implementiert wurde. In vier weiteren Phasen wurde das System dann in Europa and Greater China eingeführt - und zwar parallel zur Migration der verschiedenen SAP-Systeme auf eine globale SAP-Plattform. "Diese parallelen Projekte mussten eng miteinander verzahnt werden. In der letzten Phase sind 15 Länder gleichzeitig live gegangen. Mittlerweile läuft das System in 30 Ländern. Alle Lkw-Transporte werden in Europa über das System abgewickelt", sagt Uwe Peuser, IT-Projektleiter bei Henkel. Henkel organisiert das Frachtgeschäft Neben der reinen Transportplanung sind für Henkel mit dem neuen TMS zahlreiche Vorteile verbunden. "Wir können jetzt viel schneller Ausschreibungen realisieren", nennt Meckel ein Beispiel. Per Knopfdruck stellt das System die dafür benötigten Daten bereit, die vorher aufwendig zusammengesucht werden mussten. "Wir können Ausschreibungen auch genauer formulieren, weil die Daten jetzt detaillierter vorliegen - und sie so auch schneller umsetzen", nennt er einen weiteren Pluspunkt. So könne man Angebote nicht nur bezogen auf die jeweiligen Standorte erstellen, sondern heruntergebrochen auf einzelne Routen. Becker nennt ein Beispiel für die neuen Möglichkeiten: "Die Logistik-Experten von Henkel können nun entscheiden, ob der Transport via Milkrun, Crossdocking, Direktverkehre oder Stückgut abgewickelt werden soll." Damit habe Henkel Freiheiten gewonnen, aber auch mehr Verantwortung übernommen, da bei Henkel nun Aufgaben liegen, die früher der Kontraktlogistiker erledigt habe. "Die Organisation des Frachtgeschäftes macht jetzt das TMS-System", fährt Becker fort. Doch Vorteile sieht Meckel auch auf der Seite der Transportdienstleister: "Letztlich geht es darum, sicherzustellen, dass unsere Ware den Kunden sicher und pünktlich erreicht. Dank des neuen TMS können wir die avisierten Transportmengen exakter vorhersagen. Die Dienstleister haben eine viel bessere Planungssicherheit und müssen keine Puffer einbauen." Auch das Gutschriftverfahren würde sich verbessern und damit der Rechnungsprüfungsaufwand für den Spediteur verringern. Auch wenn das System bereits in 30 Ländern seine Feuertaufe bestanden hat: Noch sind nicht alle Möglichkeiten ausgeschöpft, wie Becker verdeutlicht. So gibt es in dem TMS zwei Templates: für den Landverkehr und den Seeverkehr. "Das System wird erst im nächsten Jahr auch in Nordamerika eingeführt. Deshalb kommt das Template zum Seeverkehr zwischen China und den USA noch nicht zur Anwendung." Da Henkel viele Produkte von China aus per Schiff in die USA liefert - in China befindet sich unter anderem das größte Klebstoffwerk von Henkel - kann das Unternehmen für diese Transporte das TMS noch nicht nutzen. "Doch wir wollen natürlich die gesamte Supply Chain vom Werk bis zum Kunden im TMS abbilden. Wenn der Disponent in den USA weiß, wann die Ware mit welchem Schiff im Hafen ankommt, kann er schon vorher die Kapazitäten im Nachlauf entsprechend planen", sagt Meckel. Zentrale Planung der Europaverkehre Neben verschiedenen Vorleistungen, die zur Einführung des TMS erforderlich waren, sind bei Henkel auch die Strukturen angepasst worden. So gibt es zentrale Shared Service-Center, die die Planung der Transporte übernehmen. Für Europa ist es das Shared Service-Center in Bratislava. Dort arbeitet ein Team von Transportplanern, die zentral die Transporte organisieren. Doch auch an den Werksstandorten sitzen weiterhin Ansprechpartner. "Der Koordinator vor Ort regelt Besonderheiten wie Sonderfahrten oder Kuriertransporte, die immer wieder anfallen und zentral nicht gelöst werden können", sagt Meckel. Becker bezeichnet die neue Struktur als eine "Zentralisierung der Planungsfunktion mit gleichzeitiger Aufrechterhaltung der lokalen Reaktionsfähigkeit". "Die Koordinatoren vor Ort werden jetzt nicht mehr durch das Tagesgeschäft beeinträchtigt und können sich stärker einem reibungslosen Ablauf der Transporte widmen", so Becker. Damit will sich Henkel einem weiteren Ziel nähern. "Ganz einfach formuliert: Wir wollen einen Lkw bestmöglich ausnutzen. Denn letztlich möchte ich eine 'full truck load' kaufen", sagt Meckel. Voraussetzung dafür ist ein konsolidierungsfähiges Volumen. Das kann Henkel mit seinem hohen Aufkommen liefern. Die Installation eines TMS fügt sich in das Gesamt-Logistikkonzept, das auch eine optimierte Lagerstruktur umfasst. "So können wir Lager aus den Bereichen Beauty Care und Laundry & Home Care näher beieinander legen, um die Produkte beider Sparten zu den gemeinsamen Kunden auf einem Lkw zu befördern", sagt der Henkel-Manager. Anbindung der Dienstleister über EDI Von großer Bedeutung ist die Anbindung der Transportdienstleister an das TMS. Für Dienstleister, die regelmäßig größere Mengen für Henkel befördern, wird die Kommunikation über eine klassische EDI-Anbindung angestrebt. "Das ist für uns die einfachste und sicherste Form", so IT-Projektleiter Peuser. Dienstleister, die nur sporadisch für Henkel fahren, können sich über ein Internet-Portal mit entsprechenden Zugangsdaten einwählen. "Henkel ist für die digitale Transformation gut gerüstet: Lieferungsplanung, automatisierte Kommunikation mit dem Spediteur, Auftragsabwicklung bis hin zur automatisierten Rechnungserstellung und Weiterleitung in das Finanzsystem. Damit ist der Boden bereitet, um weitere Aktivitäten rund um die Digitalisierung bewältigen zu können", sagt Becker. Von den Transportdienstleistern erwartet Meckel, dass auch sie sich weiterentwickeln. Eine gute Qualität, sichere Transporte und Zusatzdienstleistungen stünden dabei im Fokus. Als Beispiel nennt er, dass die Dienstleister ihre Fahrer schulen und sie mit Smartphones ausstatten, mittels derer sie per installierter App Statusmeldungen zu der Sendung in das System einfließen lassen können. "Diese Informationen sind wichtig, um die Kunden über mögliche Verzögerungen zu unterrichten, um Ursachen für Abladeprobleme zu ermitteln und gegebenenfalls mit entsprechenden Maßnahmen darauf reagieren zu können", sagt Meckel. Transportkosten deutlich gesenkt "Die Dienstleister müssen sich auf neue Gegebenheiten und unsere Bedürfnisse einlassen - das können Speditionskonzerne genauso wie Mittelständler." Womöglich sei die Einstiegshürde für Mittelständler sogar abgesenkt worden. "Denn die haben sich an einen so großen Verlader wie Henkel womöglich nicht herangetraut. Mit dem TMS wissen sie jetzt aber genau, was auf sie zukommt", so der Henkel-Manager. Insgesamt ist Peuser mit der Installation des neuen TMS sehr zufrieden. Anfangsschwierigkeiten wurden mittlerweile gelöst, Transportkosten wurden deutlich reduziert und die Effizienz gesteigert. Und das alles mit dem einen Ziel: den bestmöglichen Service für die Kunden zu liefern. Mehr zum Thema im Dossier Speditionssoftware & TMS www.verkehrsrundschau.de/dossiers Daten + Fakten Ertragsstarker Konzern Am bekanntesten dürfte Henkel über seine Konsumgüter sein wie Persil, Somat oder Schwarzkopf. Doch den größten Umsatz macht das Unternehmen mit seinen Klebstoffen für Industrie und Handel (48 Prozent des Umsatzes von 18,7 Milliaren Euro im Jahr 2016). Mit mehr als 50.000 Mitarbeitern hat der Konzern 2016 eine bereinigte Umsatzrendite von 16,9 Prozent erwirtschaftet. Henkel ist in 120 Staaten und auf allen Kontinenten der Erde mit Niederlassungen vertreten. cd TMS gefährden Geschäftsmodelle der Spediteure TMS-Systeme verändern die Transportwelt Transportmanagement-System (TMS): Ja oder Nein? Aus Sicht von Thomas Becker, Senior Manager bei BearingPoint, ist die Antwort eindeutig."TMS werden immer häufiger zum Einsatz kommen. Das zeigt die Entwicklung in den USA", sagt Becker. Der US-Markt sei dem europäischen immer etwas voraus, weil dort die Liberalisierung früher eingeleitet wurde. Außerdem würde der Fortschritt in der digitalen Technik dazu führen, dass sich für immer mehr Unternehmen der Einsatz eines solchen Instrumentes lohnt."Aber natürlich hat nicht jeder ein so hohes Aufkommen wie Henkel", schränkt Becker zugleich ein. Ein gewisses Konsolidierungsvolumen sei notwendig, wenn sich ein TMS rentieren soll.Mittlerweile bieten auch große Dienstleister ihren Kunden ein eigenes TMS an. Sie nehmen dabei die Rolle eines 4pler (Fourth-party logistics provider, also eines Dienstleisters, der keine eigenen Kapazitäten einbringt) ein. "Daher stellt sich weniger die Frage, ob sich TMS durchsetzen wird, sondern wer das macht", so die Einschätzung des Beraters. Die Schallgrenze, ab der sich ein eigenes TMS lohnt, schätzt Becker bei einem jährlichen Frachtbudget zwischen 50 und 100 Millionen Euro - derzeit. Aber er ist sich sicher, dass die Eintrittsschwelle sinken wird."Vielleicht liegt in fünf Jahren die Grenze für ein eigenes TMS schon bei 10 Millionen Euro Frachtvolumen", so der Berater."Spätestens dann ist das Geschäftsmodell des einen oder anderen Spediteurs tatsächlich in Gefahr", fährt Becker fort.Denn das TMS eines Verladers könne Aufgaben wie Planung und Disposition übernehmen, die vorher der Spediteur abgewickelt habe."Die Welt ist in Bewegung. Wer stehen bleibt, läuft Gefahr, sich auf der Verliererseite wiederzufinden", prognostiziert er. Nach seiner Ansicht wird ein Unternehmen, das sehr kleinteilig ausliefert, weiterhin eher einem Spediteur die Planung und Abwicklung der Logistik überlassen."Wenn aber größere Partien, also ab Teilpartien, zu verschicken sind, dann können Verlader diese Aufgaben auch selber wahrnehmen", sagt Becker.cd

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