Handelslogistik

Handelslogistik Was der Handel in Zukunft will Die Belieferung von Handels-filialen in den Innenstädten steht vor einer kompletten Trendwende. Was sich dadurch in der Handelslogistik für Transport- und Speditionsdienstleister ändert, lesen Sie hier. Eine Dame hält derzeit die Logistikentscheider im Handel besonders auf Trab: das ist Tante Emma. Glaubt man nämlich Experten, steht gerade ihr, vor allem ihrem Laden, wieder eine große Zukunft bevor. „Wir werden eine Renaissance von Kleinflächen in Innenstadtlagen erleben“, davon zeigt sich Thomas Kempcke überzeugt, Logistikexperte beim Kölner EHI Retail Institute. Schuld an der wiederentdeckten Liebe zu Tante-Emma-Läden sei die demografische Entwicklung, so Kempcke. Sie führe dazu, dass sich ältere Menschen wieder stärker in die Innenstädte zurückziehen. „Das wird die Einkaufsgewohnheiten und Ladenkonzepte zwangsläufig verändern“, glaubt er.Und damit zwangsläufig auch die Liefer- und Logistikstrukturen im Handel. Denn wie lassen sich diese Kleinstflächen versorgen? Diese Frage bereitet Transporteuren und Spediteuren, die in der Handelsdistribution tätig sind, Kopfzerbrechen, schließlich ist in Fußgängerzonen zwischen 22 und 6 Uhr keine Belieferung möglich. Außerdem drohen möglichereweise zusätzliche Einschränkungen, etwa durch eine Citymaut oder verschärfte Umweltzonen. „Bei der urbanen Logistik werden wir also völlig neue Wege gehen müssen“, resümiert Thomas Kahlmann, Leiter Logistik Konzern bei der Rewe-Group in Köln. Kahlmann muss es wissen, denn gemeinsam mit Wettbewerbern, der Industrie und dem Fraunhofer IML hat Rewe unlängst ein Forschungsprojekt aus der Taufe gehoben, das ein zukunftsfähiges Logistikkonzept für Innenstädte entwickeln soll. Ein mögliches Szenario ist: Die Einzelhändler – vom Supermarkt bis zur Bekleidungskette – betreiben vor den Toren der Stadt einen gemeinsamen Hub, von dem aus spezialisierte Spediteure alle Filialen in der Innenstadt versorgen, unter Umständen sogar mit Elektrofahrzeugen. Bis es so weit ist, empfiehlt Rewe-Mann Kahlmann Speditionsdienstleistern, ihren Fuhrpark auf kleinteiligere City-Belieferungen vorzubereiten: „Fahrzeuge mit Hebebühnen sind unerlässlich, genau wie ein Koffer für temperaturgeführte Transporte“, sagt er. Vorprogrammierte Interessenkonflikte Stefan Krautwurst-Leister, Vertriebs-Bereichsleiter Food Logistik bei Dachser in Kempten, befürchtet hingegen: „Alle Händler werden versuchen, eine Anlieferung vor der Öffnung des Geschäfts zu erreichen.“ Dies könne zu „Interessenkonflikten führen“, moniert er. Neben der eingangs beschriebenen Renaissance der Tante-Emma-Läden, hält aber auch das Thema „Nachhaltigkeit“ die Handelslogistiker und deren Dienstleister auf Trab. 98 Prozent aller Handelshäuser arbeiten an diesem Thema. Das zeigt die eingangs genannte EHI-Studie. Allerdings konzentrieren sich die meisten Unternehmen auf den verstärkten Einsatz von Tourenoptimierungs-Software. Alternative Antriebe in den Fahrzeugen spielen hingegen bislang kaum eine Rolle. Gleichwohl: „An Green Logistics kommt man nicht herum“, sagt Rewe-Group-Logistikleiter Kahlmann. Rewe treibt deshalb intern das Thema mit Hochdruck voran: So wird der eigene Fuhrpark auf Fahrzeuge umgestellt, die die Euro-5-Norm erfüllen; außerdem schult Rewe seine Fahrer derzeit in Kraftstoff sparender Fahrweise; im Jahr 2011 sollen zudem alle LKW mit GPS ausgestattet sein, um Routen optimieren und Staus umfahren zu können. 70 Prozent der 2300 LKW, die für Rewe täglich fahren, stammen allerdings von externen Spediteuren. Dass diese Dienstleister in ihrem Fuhrpark die neue Norm umsetzen, erwartet Kahlmann aber nur „auf lange Sicht“. Eine weitere Facette der grünen Welle ist die zunehmende Nachfrage nach regional erzeugten Produkten. Was um die Ecke erzeugt wird, kommt mit weniger umweltschädlichen Transporten aus – so das Kalkül einer wachsenden Verbrauchergruppe. „Dieser Trend ist in Ansätzen spürbar“, bestätigt Dachser-Mann Krautwurst-Leister. Hier und da würden sich deshalb Transportwege in Zukunft verkürzen. Im Vergleich zum Massenvolumen seien Regio-Produkte aber immer noch recht unbedeutend. Das ökologisch sinnvollste Transportmittel ist freilich der LKW, der immer voll beladen fährt. Das weiß auch der Handel und versucht daher eifrig, die Auslastung seiner LKW zu erhöhen – sofern möglich. „Wir alleine können keine wirksamen Bündelungseffekte mehr erzielen“, betont Christian Bodi, seit 1. Juli bei dm Drogeriemarkt für das Ressort Logistik verantwortlich. Das Karlsruher Unternehmen betreibt keinen eigenen Fuhrpark, ist also darauf angewiesen, dass die Dienstleister den Frachtraum in ihren Fahrzeugen füllen, etwa indem sie mit der Konkurrenz zusammenarbeiten. Bodi weiß, dass viele Speditionen solchen Allianzen skeptisch gegenüberstehen, gibt aber zu bedenken: „Je länger man wartet, desto größer wird der Leidensdruck.“ Dienstleister, die auch Lager betreiben, könnten die Auslastung auch aus eigener Kraft verbessern. „Ein Ansatz wäre zum Beispiel, bei Transporten aus Multiuser-Warehouses im Rahmen der Quellgebietsbündelung die Waren zu konsolidieren“, sagt Krautwurst-Leister von Dachser. „Die Flexibilität ist hier einfach größer als bei direkten Transporten, wo kurzfristig über Nacht-Zustellungen zu erfolgen haben.“ Dass aber nicht nur Handel und Dienstleister künftig Allianzen schmieden müssen, zeigt das Beispiel Mars. Der Schokoriegelhersteller kooperiert seit letztem Jahr auf der letzten Meile bis zum Supermarkt mit seinem Erzrivalen Ferrero – vorerst nur in Nordrhein-Westfalen. Zwei Drittel aller Lieferpunkte konnten gebündelt werden; statt 15 Stopps pro Tag und LKW sind nur noch acht nötig. Das Projekt läuft so erfolgreich, dass Mars sogar noch weitere Partner mit ins Boot holen will. Ein Beispiel, das wohl Schule machen wird. „Solche Hersteller-Kooperationen wird man häufiger sehen“, erwartet EHI-Experte Kempcke. Kleinere Mengen – dafür häufiger Für eine weitere Bündelung der Transporte spricht auch, dass der Handel künftig seine Filialen immer häufiger beliefern lassen will – mit immer kleineren Mengen. So sollen Puffer-Lagerflächen vor Ort eingespart und die Verräumung der Ware beschleunigt werden. Um bei der höheren Taktzahl wirtschaftlich arbeiten zu können, werden Speditionen schlichtweg kooperieren müssen. „Hier wünschen wir uns Dienstleister, die noch mehr mithelfen, neue Ideen zu entwickeln“, so dm-Manager Bodi. Weitere Veränderungen wird es an der Rampe geben. Rewe und Edeka sind bereits vorgeprescht und haben das Zeitfenster-Management des Anbieters Mercareon eingeführt: Spediteure, die anliefern wollen, müssen sich schon jetzt im Internet dafür ein Zeitfenster reservieren. Rewe konnte dank des Systems die durchschnittliche Wartezeit von 90 auf 30 Minuten reduzieren. Und Rewe und Edeka sind erst der Anfang, andere Händler werden folgen. „Das Geschehen an der Rampe muss weiter professionalisiert werden“, fordert auch dm-Logistikchef Bodi. Unumstritten sind die Lieferfenster aber nicht. So klagen Spediteure darüber, dass manche Händler bequeme Zeitfenster für bestimmte Lieferanten von vornherein blocken, was Rewe-Group-Logistikleiter Kahlmann indes bestreitet. „Bei uns gibt es freie Wahl.“ Bleibt schlussendlich die spannende Frage: Wird der Handel künftig verstärkt auf Eigen- oder Fremdfuhrpark setzen? Eindeutige Antworten darauf – Fehlanzeige. Wahrscheinlichstes Szenario ist indes: „Die meisten Händler setzen auch künftig auf eine Mischung aus Eigenfuhrpark für die Grundlast und Dienstleister für die Nachfragespitzen“, schätzt Marktkenner Kempcke. So hat Metro zuletzt Teile seines Fuhrparks an Dritte vergeben. Seine Lager betreibt Metro aber lieber selbst ... ❙❚■ Constantin Gillies, freier Journalist Sind Innenstadtbelieferungen künftig nur mehr mit Hybrid- oder Elektrofahrzeugen möglich? branchen-spezial branchen-spezial Handelslogistik Die VerkehrsRundschau beleuchtet die Aussichten für die Märkte: VR 28: Der NFZ-Markt in Deutschland stabilisiert sich VR 29: Boom nach der Krise? Entwicklung in den Seehäfen VR 30: So entwickelt sich der Handel weiter VR 31: Der Transportmarkt in Polen nach der Krise Handelslogistik Das Revival der Citylogistik Nicht zuletzt die strikteren Umweltauflagen in den Kommunen führen dazu, dass Belieferungen von Handelsfilialen vor Herausforderungen steht. Nicht leichter wird die logistische Aufgabe für Speditionsbetriebe zudem durch die Renaissance von Tante-Emma-Läden. Logistikexperten fordern vor diesem Hintergrund völlig neue Strukturen in der urbanen Logistik. Mit dem Ziel, Transporte in die Innenstadt künftig stärker zu bündeln. Das bedeutet für Spediteure, dass sich nicht nur auf Kundenseite stärker Allianzen bilden, sondern sich auch Spediteure in der Belieferung zusammenschließe müssen – das Revival der Citylogistik steht bevor. eh Fazit „Suboptimale gewachsene Strukturen“ Neue Wege in der Lieferlogistik geht Michael Krings, Geschäftsführer Logistik & Verwaltung bei der Parfümeriekette Douglas. Wie ist die Logistik bei Douglas organisiert? Michael Krings: Wir haben 100 Prozent unserer Transporte ausgelagert, und auch unsere Cross-Docking-Center, in denen die Waren ausgezeichnet und regalfertig vorbereitet werden, werden überwiegend von Dienstleistern betrieben. Wie werden sich mittelfristig die Transportpreise entwickeln? Die Richtung geht ganz klar nach oben, bedingt durch steigende Energiepreise. Derzeit haben wir verstärkt auch hochvolumige Artikel wie Duschgels, Sets und Bodylotions von unserer Eigenmarke zu transportieren. Das erhöht die Transportkosten zusätzlich. Viele Handelsunternehmen suchen derzeit nach neuen Lieferkonzepten für die Innenstadt – Douglas auch? Wir betreiben schon länger Citylogistik: Unsere Transportdienstleister arbeiten oft auch mit Kunden aus dem Textilbereich zusammen. Daraus ergeben sich zweifach Synergien: Zum einen wird das Transportaufkommen geglättet, da die beiden Branchen eine unterschiedliche Saisonalität haben. Zum anderen lassen sich so Transporte in die Fußgängerzonen und Einkaufszentren bündeln. Ist nachhaltige Logistik bei Douglas ein Thema? Natürlich! Allerdings sollte man lieber erst andere Stellen optimieren, bevor neue Fahrzeuge angeschafft werden. Ein Beispiel: Wir haben Anfang des Jahres zusammen mit dem Fraunhofer IML die Zuordnung der Filialen zu den Distributionszentren überarbeitet. Die gewachsenen Strukturen waren nicht immer optimal: So wurden Waren von Stutt-gart nach Gießen gefahren, obwohl es ein Zentrum in Aschaffenburg gibt. Allein die Überarbeitung dieser Relationen hat den CO2-Ausstoß um die Hälfte gesenkt! cg Interview Michael Krings

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