"Guten Abend, Polizei"

Alkoholisiert hinters Lenkrad? Das sollte für jeden Berufskraftfahrer per se tabu sein. Und nicht nur für jene, die mit Gefahrgut unterwegs sind und der 0,0-Promille-Grenze unterstehen. Die Realität auf deutschen Straßen ist jedoch eine andere. Bei mehreren Großkontrollen im vergangenen Dezember und Januar in verschiedenen Bundesländern - es wurden jeweils über 1000 Lkw-Fahrer kontrolliert - stellte die Verkehrspolizei bei Hunderten Fahrern hohe Atemalkoholwerte fest. Die Kontrollen fanden bewusst Sonntagabend, kurz vor Ende des Lkw-Fahrverbots, auf Raststätten statt. 190 von 1200 Fahrern alkoholisiert In Hessen waren unter 1200 Fahrern 190 alkoholisiert; 79 von ihnen musste die geplante Abfahrt untersagt werden (Ablauf: siehe Interview auf Seite 20). Ein ähnliches Bild in Rheinland-Pfalz und Baden-Württemberg: 68 von 238 Fahrern alkoholisiert, 25 davon mit Werten von mehr als 1,1 Promille. Bei allen Betrunkenen wurden Führerschein, Fahrzeugschein und Frachtpapiere beschlagnahmt. "Das Kontrollergebnis erhärtet die Annahme, dass sieben bis neun Prozent der osteuropäischen Lkw-Fahrer sonntags vor Fahrantritt alkoholisiert sind", erklärte Polizeidirektor Dieter Schäfer, Chef der Verkehrspolizei Mannheim. Schäfer spricht sich dafür aus, dass sogenannte Alkohol-Interlocks bei Lkw-Fahrern, die auffällig geworden sind, weil sie zu tief ins Glas geschaut haben, künftig Pflicht werden. "Das würde die Gefahr von Trunkenheitsunfällen deutlich reduzieren." Im Herbst 2018 waren von Mannheim aus im Rahmen der Verkehrssicherheitsinitiative "Max Achtzig" die ersten Stichprobenkontrollen initiiert worden, denen die bundesweiten Großkontrollen folgten. Sind überall auf unseren Straßen betrunkene Ausländer mit ihren tickenden Lkw-Bomben unterwegs? Ein solcher Stammtisch-tauglicher Generalverdacht könnte zumindest in der Bevölkerung entstehen. Medienberichte von Bild-Zeitung bis Stern TV schüren diese Vorbehalte. Anteil der Alkoholunfälle 4,4 Prozent Ein Blick auf die aktuelle Unfallstatistik relativiert diesen Eindruck: Laut dem Statistischen Bundesamt war Alkoholeinfluss 2017 bei 4,4 Prozent aller Unfälle mit Personenschaden eine der Unfallursachen. Zwei Drittel dieser insgesamt 13.463 Unfälle passierten innerorts, die weitaus meisten an einem Freitag. 231 Menschen starben, 4530 wurden schwer verletzt. Bei 382 von diesen Unfällen (2,8 Prozent) waren Lkw beteiligt. Wie viele der beteiligten Fahrer aus dem Ausland kamen, ist nicht erfasst. Der Anteil gebietsfremder Fahrzeuge ab 7,5 Tonnen in Deutschland liegt aktuell bei rund 42 Prozent. Lkw-Fahrer riskieren, wenn sie trinken und fahren, ihr berufliches und finanzielles Ende. Abgesehen von der zwischenmenschlichen Schuld, die sie zu tragen haben, müssen sie damit rechnen, dass die Versicherungen wie Arbeitgeber sich ihr Geld zurückholen. Nach Paragraf 2 b der Allgemeinen Bedingungen für die Kraftfahrtversicherung (AKB) ist der Versicherer "in der Kraftfahrzeug-Haftpflichtversicherung von der Verpflichtung zur Leistung frei, wenn der Fahrer infolge Genusses alkoholischer Getränke oder anderer berauschender Mittel nicht in der Lage ist, das Fahrzeug sicher zu führen." In puncto Arbeitnehmerhaftung gilt dasselbe: Gemäß dem "Pflichtverletzungsparagrafen" 280 Absatz 1 Bürgerliches Gesetzbuch (BGB) muss der Schuldner (Arbeitnehmer) Schadensersatz leisten, wenn er schuldhaft eine Pflicht verletzt hat. Vorsatz und jede Form der Fahrlässigkeit beeinträchtigen das Arbeitsverhältnis. Trunkenheitsfahrten werden vor Gericht meist als grobe Fahrlässigkeit bewertet. Doch wer Alkohol trinkt, denkt nicht über so etwas nach. Wer trinkt, ignoriert auftretende Unsicherheiten und schätzt seine Fahrtüchtigkeit höher ein, als sie ist. Beim diesjährigen Verkehrsgerichtstag in Goslar berieten die Verkehrssicherheitsexperten (Bericht siehe VR 5/2019) auch darüber, wie man Alkolocks sinnvoll einsetzen könnte. Dem Gesetzgeber empfahl man ein Modellprogramm bei der Rehabilitation von Alkoholsündern: Alkolocks zum Beispiel als Alternative zur vorläufigen Entziehung der Fahrerlaubnis. Viele aus der Branche befürworten Alkolocks, etwa der TÜV, der ADAC oder auch der Deutsche Verkehrssicherheitsrat. DVR-Sprecherin Julia Frohman: "Anders als das Fahrverbot oder der Entzug der Fahrerlaubnis hat das Programm einen erzieherischen Effekt. Das finden wir gut." Zustimmung auch vom Bund gegen Alkohol und Drogen im Straßenverkehr e.V. BADS: "Der Einsatz in anderen Ländern zeigt, dass die Programme zu einem beachtlichen Rückgang der alkoholbedingten Unfälle mit Todesfolge führen." Null-Promille-Grenze für alle Fahrer Kurz nach Veröffentlichung der Ergebnisse der letzten Großkontrollen sprach sich der Unternehmensverband Logistik Schleswig-Holstein für eine Verschärfung der Promillegrenze für Fahrer im Transportwesen aus. "Die Tatsache, dass vor allem Fahrer von osteuropäischen Unternehmen wochenlang unterwegs und von ihren Familien getrennt sind, ist eine große Herausforderung und Belastung", so Geschäftsführer Thomas Rackow, "aber der Griff zur Flasche sollte kein Ausweg sein." Nach Ansicht des Verbandes kann es nur eine Lösung geben: 0,0 Promille für die gesamte Branche. Für Schleswig-Holstein hat der Verband tarifrechtlich geregelt, dass bei Alkoholkonsum während der Arbeitszeit eine fristlose Kündigung des Arbeitnehmers möglich ist. Eine solche Klausel im Arbeitsvertrag ist eine klare Ansage an die Fahrer. Genauso wie es die 0,0-Promille-Regelung in der Branche wäre. Gerade in Ländern, aus denen ausländische Fahrer kommen, ist man strenger. In Tschechien, der Ukraine oder Weißrussland heißt es für Lkw-Fahrer: null Komma null. Vielleicht suggerieren ja die "erlaubten" 0,5 Promille so manchem von ihnen, dass es erlaubt sei, hierzulande "ein wenig" zu trinken und sich dann ans Steuer zu setzen. Der DVR plädiert schon seit Jahren für die 0,0-Grenze - aber für Fahrzeugführer aller Klassen. "Mit dessen Umsetzung besteht die Chance, die Zahl der Getöteten und Schwerverletzten deutlich zu senken", ist Hauptgeschäftsführer Christian Kellner überzeugt. Eine Strafbewehrung würde dann ab 0,19 Promille erfolgen, denn erst ab einem solchen Wert lässt sich Alkohol im Blut nachweisen. Ein weiterer Anstoß kommt vom Interessenverband der technischen Überwachungsvereine VdTÜV: die Promillegrenze für die Anordnung einer MPU von jetzt 1,6 Promille auf 1,1 abzusenken, Die 1,1- bis 1,59-Promille-Kandidaten sollen dann mithilfe von Alkolocks die Chance bekommen, ihre Sperrfrist bis zur Wiedererlangung der Fahrerlaubnis zu verkürzen. Eine repräsentative Umfrage im Auftrag des Verbandes ergab, dass 73 Prozent der Bundesbürger ein strengeres Vorgehen gegen schwere Alkoholsünder fordern. Richard Goebelt, Bereichsleiter beim VdTÜV: "Fahrer mit mehr als 1,1 Promille im Blut sind absolut fahruntüchtig. Die MPU ist ein wirksames Instrument, um bei Alkoholfahrern eine Verhaltensänderung zu bewirken." BGL: Heimkehrpflicht nach vier Wochen Eine klare Meinung zu dem Thema alkoholisierte Fahrer hat auch der Hauptgeschäftsführer des BGL (Bundesverband Güterkraftverkehr, Logistik und Entsorgung), Dirk Engelhardt: "Wir müssen das Problem übermäßigen Alkoholkonsums osteuropäischer Lkw-Fahrer an der Wurzel packen." Wer regelmäßig am Wochenende zu Hause bei seiner Familie sein könne, habe auch "keinen Grund, aufgrund sozialer Isolation zur Flasche zu greifen". Der BGL ruft die Europaabgeordneten dazu auf, dem Vorschlag der EU-Verkehrsminister für eine Heimkehrpflicht nach spätestens vier Wochen Einsatzzeit zuzustimmen und die Abstimmung darüber nicht zu vertagen. Mehr zum Thema finden Sie im Dossier Kontrollpraxis www.verkehrsrundschau.de/dossiers Arbeitsrecht Wann darf gekündigt werden?Das Arbeitsverhältnis eines Berufskraftfahrers kann grundsätzlich verhaltensbedingt gekündigt werden, wenn er sein Fahrzeug unter Alkoholeinfluss führt. Was aber, wenn der Mitarbeiter Alkoholsucht geltend macht?Diese Frage entschied das Arbeitsgericht Berlin am 03.04.2014 durch ein häufig zitiertes Urteil (AZ. 24 Ca 8017/13). Ein Lkw-Fahrer hatte mit seinem Lkw mit 0,64 Promille einen Unfall mit Personenschaden verursacht. Im Betrieb bestand absolutes Alkoholverbot. Der Arbeitgeber kündigte ihm fristlos, hilfsweise fristgemäß. Der Mann wehrte sich: Er sei alkoholkrank, er habe seine vertraglichen Verpflichtungen nicht schuldhaft verletzt.Das Arbeitsgericht hielt in dem Fall keine fristlose, aber eine ordentliche Kündigung für rechtswirksam. Der Mann habe seine arbeitsvertraglichen Pflichten schwerwiegend und in vorwerfbarer Weise verletzt. Der Arbeitgeber dürfe von einem Berufskraftfahrer erwarten, dass dieser nüchtern zum Fahrtantritt erscheine und auch während der Fahrt bleibe. Eine Alkoholerkrankung könne den Arbeitnehmer nicht entlasten. Auch eine Abmahnung habe es nicht geben müssen. Denn "der Arbeitgeber muss dafür Sorge tragen, dass das Alkoholverbot von allen Fahrern beachtet wird". Dies sei in diesem Fall mit einer bloßen Abmahnung nicht zu erreichen. sk Statement Realistisches Bild der Branche?Die viel diskutierten Alkoholkontrollen bei Lkw-Fahrern auf Autobahnrastplätzen zum Ende des Sonntagsfahrverbots gingen in den letzten Wochen durch die gesamte Medienlandschaft - von Bild bis Stern TV. Die Kontrollen der hessischen Polizei sorgten teils für reißerische und erschreckende Schlagzeilen. Doch bildet diese Kontrolle tatsächlich ein realistisches Bild der Branche ab? Ich sage: Nein. Natürlich ist jeder alkoholisierte Fahrer am Steuer, ganz gleich, ob Lkw oder Pkw, einer zu viel.Auch wenn die Zahlen der Präventivkontrollen der hessischen Polizei erschreckend sind, müssen diese meines Erachtens ins rechte Bild gerückt werden. Wann fanden die Kontrollen statt? Wann planten die Fahrer, wieder die Fahrt aufzunehmen? Ist die Stichprobe groß genug, um einen Rückschluss auf die gesamte Branche zu ziehen? Was sind die eigentlichen Ursachen für den Alkoholkonsum? - All diese Informationen fehlen in den Berichten. Es fehlt an einer differenzierten Berichterstattung, aber es ist eben einfacher, Stereotypen treu zu bleiben.Die Heimkehrpflicht kann helfenDer Alkoholkonsum kommt schließlich nicht von ungefähr. Vorwiegend mittel- und osteuropäische Fahrer treffen sich mit Gleichgesinnten fernab von Familie und sozialem Umfeld auf Autobahnraststätten und verbringen so ihre Wochenendruhezeit, sprich: ihre Freizeit. Geselliges Miteinander trotz Einsamkeit am Rande der lauten Autobahn: Hier führt eins zum anderen. Der Vorschlag der Verkehrsministerkonferenz hinsichtlich einer Heimkehrpflicht nach spätestens vier Wochen "on the road" kann daher eine mögliche Stellschraube bei der Ursachenbekämpfung sein.Der BWVL vertritt die Interessen von rund 1200 Unternehmen aller Größenordnungen aus Industrie und Handel in puncto Transport und Logistik. Mehr unter:www.bwvl.deLea Metzler, stellvertretende Geschäftsführerin des Bundesverbandes Wirtschaft, Verkehr und Logistik (BWVL)

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