Gericht bremst Elbvertiefung

Das ist ein bitterer Rückschlag für die Hafen- und Logistikwirtschaft im Großraum Hamburg: Auch nach zwölf Jahren kommt die Fahrrinnenanpassung der Elbe nicht aus den juristischen Querelen heraus. Anstatt ein Urteil zu sprechen, setzte das Bundesverwaltungsgericht in Leipzig das Verfahren aus. In Hamburg ist man zunächst schockiert Es will auf ein Urteil des Europäischen Gerichtshofs (EuGH) warten, das im Frühjahr 2015 erwartet wird. Es geht um die Anwendung des europäischen Gewässerrechtes auf Wasserbauprojekte. Das Bundesverwaltungsgericht selbst hatte dem EuGH im Zuge des Verfahrens zur Weservertiefung offene Fragen zur Präzisierung vorgelegt. In Hamburg zeigte man sich im ersten Moment schockiert, aber dennoch optimistisch. Man habe zwar einen anderen Spruch erhofft, rechne aber weiter mit einem positiven Ausgangs des Verfahrens, sagte Hamburgs Erster Bürgermeister Olaf Scholz (SPD). "Mit Bedauern" hat der Zentralverband der deutschen Seehafenbetriebe (ZDS) den Aussetzungsbeschluss zur Kenntnis genommen. "Wir begrüßen allerdings die vorläufige Einschätzung des Gerichts, welche die Bestandskraft der Planfeststellungsbeschlüsse trotz bestehender einzelner Mängel grundsätzlich nicht infrage stellt", sagte ZDS-Hauptgeschäftsführer Daniel Hosseus. Angesichts der stetig zunehmenden Schiffsgrößenentwicklung seien Fahrrinnenanpassungen unverzichtbar, um die Erreichbarkeit der deutschen Seehäfen für immer größer werdende Schiffe sicherzustellen. Hamburg wird von immer mehr Containerschiffen mit einer Stellplatzkapazität von über 10.000 TEU (20-Fuß-Container) angelaufen. Allein im ersten Halbjahr 2014 wurden fast 250 Containerschiffe dieser Größenklasse gezählt: 27 Prozent mehr als im Vorjahreszeitraum. Ziel der Fahrrinnenanpassung ist es, diesen Schiffen künftig tideunabhängig einen Tiefgang von 13,50 Metern zu ermöglichen - bei Flut sogar 14,50 Meter. Außerdem sieht das Projekt Begegnungsboxen vor, in denen Großschiffe aneinander vorbeifahren können. Das verbessert die Flexibilität und die Erreichbarkeit des Hafens. 400 Millionen Euro soll die Fahrrinnenanpassung kosten - aufgrund der Verzögerungen sind Kostensteigerungen durchaus wahrscheinlich. Der Schnäpel ist bedroht Dass die Elbvertiefung überhaupt in die Mühlen der Justiz geriet, liegt an Klagen der Naturschutzverbände Nabu und BUND. Sie sehen durch die Fahrrinnenanpassung geschützte Tier- und Pflanzenarten wie den Schierlings-Wasserfenchel und den Schnäpel bedroht. Niedersächsische Anrainergemeinden befürchten zudem negative Auswirkungen auf den Hochwasserschutz. Nach dem vom Bundesverwaltungsgericht verhängten Baustopp aus dem Jahr 2013 hatte der Hamburger Senat mit einem Planergänzungsbeschluss nachgebessert - den Richtern war es offenbar zu wenig. In der Logistikwirtschaft herrscht nun Frust. "Der Ausbau der seeseitigen Zufahrten zu unseren Seehäfen ist ein Projekt von nationaler Bedeutung", sagt Willem van der Schalk, Vizepräsident des DSLV (Deutscher Speditions- und Logistikverband) und Vorsitzender des Komitees Deutscher Seehafenspediteure (KDS). "Jetzt droht eine juristische Hängepartie, die Logistikunternehmen und die maritime Wirtschaft dazu zwingt, Investitionsentscheidungen bis zur endgültigen Klärung aufzuschieben." Das Verbandsklagerecht könne von jedem Umweltverband als Blockadeinstrument gegen dringend benötigte Infrastrukturvorhaben genutzt werden, moniert van der Schalk. Die hiermit verbundenen bürokratischen Dimensionen verzögerten Planung und Umsetzung und seien zunehmend standort- und arbeitsplatzgefährdend, bemängelt er. "Das Mammutverfahren muss bald ein Ende haben", fordert van der Schalk. "Ansonsten drohen Fluss und Gelder zu versanden." "Es ist mehr als enttäuschend, dass nach über zwölf Jahren, nachdem Hamburg beim Bund den Antrag für die Fahrrinnenanpassung gestellt hat, immer noch keine Planungssicherheit vorliegt", ärgert sich Johan Schryver, Vorsitzer des Vereins Hamburger Spediteure. Mehr CO2-Ausstoß ohne Elb-Vertiefung Der Unternehmensverband Hafen Hamburg (UVHH) bewertet die Hängepartie bei der Elbvertiefung als eine Folge des ausufernden Planungsrechtes. "Die Entscheidung des Gerichts, das Verfahren auszusetzen, bis der EuGH eine Grundsatzentscheidung getroffen hat, ist offenkundig unumgänglich. Dies ist ein deutlicher Beleg dafür, dass das Planungsrecht auch auf europäischer Ebene zu komplex und handwerklich unsauber ausgestaltet ist", sagte UVHH-Präsident Gunther Bonz. Einen interessanten Beitrag zur Elbvertiefung hat die Wochenzeitschrift "Die Zeit" in ihrer Online-Ausgabe veröffentlicht. Autor Frank Drieschner kommt in einer Ökobilanz für das Projekt zu der Erkenntnis, dass unter dem Strich eine halbe Million Tonnen CO2 pro Jahr zusätzlich emittiert würden, wenn die großen Containerschiffe Hamburg nicht erreichen könnten. Grund sei eine Veränderung der Verkehrsströme zulasten der Schifffahrt und zugunsten des LKW. "Die Umwelt würde keineswegs von einem Verzicht auf die Elbvertiefung profitieren", folgert Drieschner. Warum die Richter das Verfahren aussetzten Bereits eine Vorentscheidung am 23. Oktober in Luxemburg? Das europäische Gewässerrecht verbietet eine Verschlechterung der Wasserqualität durch Baumaßnahmen. Dies kann aber weder bei Weser- noch Elbvertiefung kategorisch ausgeschlossen werden. Den Leipziger Bundesrichtern ist unklar, wie sie das europäische Recht in den vorliegenden Fällen anwenden und unter welchen Voraussetzungen sie Ausnahmegenehmigungen erteilen dürfen. Einen wichtigen Hinweis auf die Tendenz des Europäischen Gerichtshofes (EuGH) wird es voraussichtlich am 23. Oktober geben. Dann will der Generalanwalt in Luxemburg Stellung nehmen. Das Gericht folgt sehr häufig dessen Auffassung.Der vorsitzende Richter des 7. Senats am Bundesverwaltungsgericht, Rüdiger Nolte, hatte für den Hamburger Senat, der für die Planung zuständig ist, noch eine weitere bittere Pille dabei. Nach seiner vorläufigen Einschätzung leiden die Planfeststellungsbeschlüsse im Bereich der Umweltverträglichkeitsprüfung an verschiedenen Mängeln. Diese seien aber behebbar und führten nicht zur Aufhebung der Planfeststellungsbeschlüsse. hel Stimmen zum Urteil "Das Leipziger Urteil ist ein schlimmer Rückschlag für Hamburg! Die Entscheidung bedeutet einen großen Zeitverlust und bringt hohe finanzielle Einbußen für unseren Standort mit sich."Michael Westhagemann, Vorsitzender Industrieverband Hamburg (IVH)"Die Hängepartie geht weiter und Hamburg verliert noch mehr Zeit. Unsere Wettbewerber reiben sich die Hände, internationale Beobachter und Kunden schütteln ihre Köpfe."Hans Fabian Kruse, Präsident des norddeutschen Unternehmensverbandes Groß- und Außenhandel, Dienstleistung"Ich bedauere die Verzögerung eines wichtigen Infrastrukturprojekts im Norden. Am Hamburger Hafen und an modernen Transportwegen hängen Hunderttausende von Arbeitsplätzen in der gesamten Region."Uwe Polkaehn, Vorsitzender DGB Nord"Die heutige Entscheidung aus Leipzig ist eine schwere Schlappe für den Bürgermeister und die Planer der Elbvertiefung. Sie haben die Bedeutung der Umweltbelange jahrelang unterschätzt"Jens Kerstan, Fraktionschef der Grünen in der Hamburger Bürgerschaft"Eine Zusammenarbeit der drei Hafenstandorte Hamburg, Bremerhaven und Wilhelmshaven ist ein Beitrag, um den Anforderungen an die Umwelt und die Schifffahrt gleichermaßen gerecht zu werden. Es ist unverantwortbar, die Elbe und deren einzigartige Natur für wenige Großcontainerschiffe weiter zu zerstören, während im seeschifftiefen Jade-Weser-Port in Wilhelmshaven Kurzarbeit herrscht"Gemeinsame Erklärung der Umweltschutzverbände Nabu, BUND und WWF dpa/hel

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