Gegen den Verfall

Also doch wieder eine Sperrung: Seit dem 16. Juni dürfen Fahrzeuge über 3,5 Tonnen die Rheinbrücke der A 1 bei Leverkusen nicht mehr befahren. Neue Baumängel machten die Maßnahme nötig, heißt es. Eine Hiobsbotschaft für die Chemieindustrie, denn allein sie schickt jeden Tag 500 LKW über die Brücke. Jetzt müssen die Transporte einen großen Umweg nehmen - und der wird teuer. "Wir erwarten Mehrkosten in Höhe von einem mittleren fünfstelligen Betrag pro Tag", sagt Ernst Grigat, Leiter des Chempark, an dem 70 Unternehmen ansässig sind. Verladerverband macht Druck Aber nicht nur Grigat ist bedient. Die gesamte Chemiebranche schlägt Alarm: Vier Tage vor der Sperrungsmitteilung, am 12. Juni, hat der Verband der Chemischen Industrie (VCI) eine groß anlegte Initiative zum Thema Infrastruktur angekündigt: "Deutschland muss einen weiteren Verfall des Verkehrsnetzes stoppen", sagte Gerd Deimel, Vice President von Lanxess Deutschland und Sprecher der Initiative. Er will erreichen, dass die Regierung sich endlich des Themas Infrastruktur annimmt und einen Masterplan aufstellt, wie Verkehrswege erhalten und ausgebaut werden können. Solche Forderungen waren schon oft zu hören. Was den Vorstoß des VCI auszeichnet, ist seine breite Basis: Zum einen sind Dickschiffe wie BASF, Evonik oder Lanxess beteiligt, zum anderen hat der VCI alle großen Logistikverbände von BGL bis zum Verband Deutscher Verkehrsunternehmen (VDV) mit ins Boot geholt. Das unausgesprochene Druckmittel: Wird jetzt nicht mehr in Verkehrswege investiert, steht es in Zukunft schlecht um die Chemie - und dem Staat entgehen hohe Steuereinnahmen. Bei der Vorstellung seiner Initiative hat der VCI ein düsteres Bild gezeichnet: 2500 Straßenbrücken seien sanierungsbedürftig. Es gebe 1400 marode Eisenbahnbrücken. Vielerorts hätten Schleusen schon über ein Jahrhundert auf dem Buckel. "Außerdem fehlen in der Binnenschifffahrt moderne Umschlagpunkte", kritisierte Deimel. Ausgehend von der Bestandsaufnahme hat der VCI eine lange To-do-Liste formuliert: Die Brücken über den westdeutschen Kanälen sollen erhöht werden, damit Container auf den Schiffen doppellagig transportiert werden können. Im Rhein-Main-Gebiet soll ein neuer Knotenpunkt zum Umschlag vom Schiff auf den LKW entstehen. Darüber hinaus wird angeregt, spezielle Schienentrassen und Autobahn-Fahrspuren ausschließlich für den Güterverkehr einzurichten. Die Dienstleister begrüßen die Ideen - und fügen eigene hinzu. "Die Vorschläge zur Verbesserung der Schiffbarkeit des Rheins müssen umgesetzt werden", meint Thomas Schmidt, Vorsitzender der Geschäftsführung bei Infraserv Logistics, Frankfurt am Main. Aber wie kann die große Modernisierung in Gang gebracht werden? Zunächst einmal fordern die Chemieunternehmen, auf Bundesebene eine zentrale Planungsstelle einzurichten. Bisher verteilt Berlin die Mittel für Verkehrsinfrastruktur nach einem komplizierten Schlüsselsystem auf die Bundesländer, ohne Rücksicht darauf, wo der Modernisierungsbedarf am größten ist. Daneben macht sich der VCI dafür stark, Gelder über mehrere Jahre hinweg zur Verfügung zu stellen. Alle diese Ziele will der VCI nur mit intensiver Lobbyarbeit erreichen. Geplant ist, sich direkt an die Haushaltspolitiker zu wenden. Zusätzliche Abgaben lehnt der VCI ab, genau wie die Dienstleister. "Einnahmen aus dem Verkehr sind heute bereits durch Maut und Steuern vorhanden", meint Schmidt, "weitere Abgaben würden die Wettbewerbsfähigkeit der Industrie und die Verbraucher nur zusätzlich belasten". Bleibt die Frage: Wie realistisch sind die Pläne des Masterplans? Unabhängige Marktbeobachter nehmen die Initiative durchaus ernst. "Das hat Gewicht, weil es direkt von der Wirtschaft kommt", meint Gunnar Platz von der Unternehmensberatung Planco. Auch die Idee, die Planung zu zentralisieren, hält er für richtig, wenn auch für schwer umsetzbar. "Die Länder werden sich ihre Kompetenzen nicht so leicht wegnehmen lassen", so Platz. Das größte Hindernis allerdings sieht der Marktkenner in der Finanzierung. "Es braucht mehr Haushaltsmittel und Effizienzsteigerungen. Ohne höhere Beiträge der Nutzer wird es nicht gehen. Allerdings: Ob höhere Nutzerbeiträge wirklich der Verkehrsinfrastruktur zugute kommen, ist nach bisherigen Erfahrungen nicht sicher."

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