Straßburg/Bremen. Der Aufbau des Satellitensystems Galileo wird für die europäischen Steuerzahler weitaus teurer als bislang kalkuliert. Die Europäische Kommission veranschlagt für den Aufbau der Infrastruktur bis 2020 rund 5,3 Milliarden Euro, das sind 1,9 Milliarden Euro zusätzlich. Dies geht aus einem Bericht hervor, den Industriekommissar Antonio Tajani am Dienstag vorstellte. Deutschland pocht trotz der Kostensteigerung auf einen vollständigen Aufbau des Galileo-Systems.
Der Konstrukteur von 14 Galileo-Satelliten, das Bremer Unternehmen OHB, kämpft derweil mit den Folgen einer brisanten Wikileaks-Veröffentlichung: Manager Berry Smutny, der Galileo als "Unfug" bezeichnet haben soll, wurde freigestellt. Bei OHB stand er der Systems-Sparte vor. "Wir haben gemerkt, dass wir den Reputationsschaden aufgrund der Story nicht hätten begrenzen können, wenn wir jetzt nicht schnell gehandelt hätten", sagte Marco Fuchs, Vorstandschef der Muttergesellschaft OHB Technology, der Nachrichtenagentur dpa.
OHB-Manager Smutny soll das Projekt als Steuerverschwendung bezeichnet haben
Smutny soll das Galileo-Projekt gegenüber US-Diplomaten als "Verschwendung von Steuergeldern" und "Unfug" bezeichnet haben, was er dem Unternehmen zufolge an Eides statt bestreitet. Laut Wikileaks soll das brisante Gespräch Anfang Oktober 2009 stattgefunden haben. Smutny war da erst kurze Zeit bei OHB. Smutny ist der erste deutsche Top-Manager, der wegen Veröffentlichungen der Enthüllungsplattform Wikileaks gehen muss.
Von der Kostenexplosion bei Galileo ist OHB nach eigenen Angaben aber nicht betroffen: "Wir liegen im Zeitplan, wir liegen im Kostenplan. Die Satelliten, die wir bauen, kosten wie vertraglich vereinbart 566 Millionen, und es gibt keine Kostensteigerungen", versicherte Vorstandschef Marco Fuchs.
Laut EU-Kommission betreffen die Kostensteigerungen vielmehr die Fertigstellung der Galileo-Infrastruktur: Bisher wird Galileo zwischen 2007 und 2013 mit 3,4 Milliarden Euro aus dem EU-Haushalt finanziert - jetzt dürften von 2014 bis 2020 weitere 1,9 Milliarden Euro nötig sein, heißt es in dem Bericht. Zu den neuen Zahlen verlautete aus Kreisen der Bundesregierung, bei der Entwicklung so komplexer Systeme seien höhere Kosten in der Praxis fast unvermeidlich.
Die jährlichen Betriebskosten liegen bei 800 Millionen Euro
Der Europäische Rechnungshof kalkuliert schon seit längerem mit Kosten von mehr als fünf Milliarden Euro. Die jährlichen Betriebskosten von Galileo setzt die EU-Kommission jetzt mit 800 Millionen Euro an. Zuvor war laut der "Frankfurter Allgemeinen Zeitung" von 750 Millionen Euro ausgegangen worden. "Wir begrüßen die bisherigen Fortschritte und sind fest entschlossen, dieses Projekt zum Erfolg zu führen", erklärte Tajani.
Mit Galileo könne sich Europa in einer Wachstumsbranche behaupten, die durch die Globalisierung und den Eintritt von Schwellenländern geprägt sein werde. Das weltweite Geschäftsvolumen mit Satellitennavigationsanwendungen sei kräftig gestiegen und werde für 2020 auf 240 Milliarden Euro geschätzt.
Die ersten drei Dienste sollen ab 2014 angeboten werden und über zunächst 18 Satelliten laufen - 14 sind bei OHB in Bremen in Auftrag gegeben. Geplant ist, später zwei weitere Dienste bereitzustellen, sobald die volle Funktionsfähigkeit mit 30 Satelliten erreicht ist. Nach der Vergabe von vier Auftragspaketen an die Industrie mit einem Gesamtvolumen von 1,25 Milliarden Euro soll in diesem Jahr der Zuschlag für zwei letzte Pakete erteilt werden.
Mit Galileo wollen die EU und die Europäische Weltraumorganisation ESA die Vormachtstellung des US-Dienstes GPS (Global Positioning System) brechen. Galileo soll präziser als das amerikanische System arbeiten und weltweit die metergenaue Positionsbestimmung möglich machen. Auch China und Russland haben Systeme am Start. (dpa)